Hannover. Aussteller aus unserer Region zeigen bis Freitag auf der Hannover-Messe die Zukunft in Fabriken.

Unser Leser, der sich Emil nennt, schreibt auf unseren Internetseiten:

Natürlich verspricht die Digitalisierung viele neue Geschäftsmodelle. Solche, die ohne Menschen bzw. mit immer weniger Mitarbeitern auskommen.

Dazu recherchierte Christina Lohner

Oliver Krebs hält eine Schraube in der Hand – anhand der knallroten Farbe erkennt der Roboter über eine Kamera am Ende des linken Arms, dass nun sein Einsatz gefordert ist. Etwas ungelenk, aber mit gleichmäßigen Bewegungen schraubt er die zugehörige Mutter fest.

Ein wenig unheimlich könnte der ein oder andere Besucher der Hannover-Messe die Maschine mit ihren langen roten Armen schon finden – an der Stelle, wo beim Menschen der Kopf ist, sitzt ein Tablet. Doch als der Roboter Krebs stört, schiebt der wissenschaftliche Mitarbeiter der Ostfalia-Hochschule in Wolfenbüttel dessen Arm entschieden zur Seite. Chef bleibt der Mensch. Die Technik solle in der industriellen Produktion eingesetzt werden, um den Menschen zu unterstützen, erläutert Krebs, etwa indem der Roboter ihm ein hohes Gewicht oder wiederkehrende Aufgaben abnimmt. Am Institut für Verteilte Systeme der Ostfalia erforschen Wissenschaftler deshalb die Interaktion zwischen Mensch und Roboter.

Noch nie seien auf der Hannover-Messe so viele Assistenzsysteme gezeigt worden, die Menschen bei der Arbeit unterstützen, sagt Messe-Chef Jochen Köckler. Inzwischen können die programmierten „Kollegen“ sogar selbst lernen und sich dem Arbeitstempo und Verhalten des Mitarbeiters anpassen.

Am Stand neben der Ostfalia stellt Christian Löchte einen Greifer vor, der sich durch besondere Flexibilität auszeichnet. Für seine Doktorarbeit hat er jahrelang daran getüftelt, dass dieser sich an die Objekte anpasst, die er hochheben soll. So lassen sich mit demselben Gerät sowohl Blechteile als auch Textilien, Folien oder Tüten heben. Möglich macht es die Kombination eines Luftstroms mit Granulatkügelchen. Deshalb sieht der Greifer auch nicht aus wie die herkömmlichen, sondern endet mit einem Kissen, das die Objekte ansaugt.

Mit der Entwicklung hat Löchte eine Firma gegründet: Formhand ist eine Ausgründung der Technischen Universität (TU) Braunschweig. „Die Industrie 4.0 verlangt große Flexibilität“, sagt Jörg Saathoff, der an der TU die Technologietransfer-Stelle leitet. Gemeinsam mit der Leibniz-Universität Hannover und der TU Clausthal forschen die Braunschweiger unter anderem zum Leichtbau, etwa wie sich durch sogenannte Versteifungsstrukturen die Haltbarkeit erhöhen oder aber Handarbeit stärker automatisieren lässt.

Da schrillen nicht nur bei unserem Leser die Alarmglocken. Doch Stefan Aßmann, Leiter Connected Industry bei Bosch, schloss in Hannover die oft befürchtete menschenleere Fabrik aus, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet. Zwar geht er davon aus, dass Arbeitsplätze für gering Qualifizierte weiter abgebaut werden. Dieser Abbau werde aber „überkompensiert durch neue höher qualifizierte Jobs“. Die vernetzte Industrie ermögliche höhere Produktivität, erhalte und stärke die Wettbewerbsfähigkeit – und könne so auch Arbeitsplätze sichern.

Die Salzgitter AG hat gute Erfahrungen damit gemacht, die Mitarbeiter früh in technische Entwicklungen einzubinden, wie Florian Schönberg berichtet, Software-Ingenieur bei der Software-Tochter Gesis. Dann brächten sie auch eigene Ideen ein. Zurzeit arbeitet der Konzern an einer neuen Form der Gesten-Erkennung: per Handschuh. Bisher funktioniert diese laut Schönberg vor allem per Kamera, doch in der Stahlproduktion fällt viel Staub an. Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut und der Firma Miopas, beide aus Goslar, versuchen sich die Salzgitteraner deshalb an Sensoren in Glasfasern, die zum Beispiel die Krümmung der Finger erfassen. Der Handschuh soll so künftig Daten wie Temperatur oder Druck an einen Helm senden, mit dem sich die Mitarbeiter auf einer Linse diverse Informationen anzeigen lassen können. Der Software-Ingenieur kann sich vorstellen, dass beispielsweise per Handbewegung ein Foto ausgelöst wird, um einen Arbeitsschritt zu dokumentieren.

Auf dem Stand ist in diesem Jahr kein Stahl mehr zu finden. Da die klassischen Stahlkunden nicht mehr nach Hannover kommen, wo inzwischen die Digitalisierung der Fabriken im Vordergrund steht, will der Stahlkocher zeigen, dass er bei den aktuellen Themen der Industrie vorne dabei ist. Tochterfirmen haben zum Beispiel Flaschen-Etiketten entwickelt, die sich per App zum Sprechen animieren lassen – ein Marketing-Gag –, sowie eine Gang-Analyse zur individuellen Schuhproduktion.

Vorn dabei bei den aktuellen Technologien ist auch das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik in Braunschweig. Als nach eigenen Angaben weltweit die ersten und einzigen haben die Wissenschaftler eine amorphe Kohlenwasserstoffschicht entwickelt, die als Kraftsensor fungiert. Hauchdünn lässt er sich quasi überall anbringen, wie Gruppenleiterin Saskia Biehl erläutert: ob am Windrad, auf dem Prüfstand fürs Auto oder am Werkzeug fürs Tiefziehen. Hier lässt sich zum Beispiel die Lastverteilung präzise bestimmen. Die Daten kommen per Bluetooth aufs Tablet oder Smartphone. Am Windrad lässt sich so anzeigen, wann sich Schrauben lockern und gewartet werden müssen. „Das spart enorme Kosten“, sagt Biehl – und sei sicherheitsrelevant.

Zum ersten Mal präsentiert sich in diesem Jahr auch Alstom aus Salzgitter auf der weltgrößten Industriemesse. Mit einem Modell seines Brennstoffzellen-Zugs sucht der Konzern den Kontakt zu weiteren Zulieferern für die Wasserstoff-Herstellung. VW ist diesmal dagegen nur mit seiner Nutzfahrzeug-Tochter vertreten, die im Zuge der Neuausrichtung der Marke VW die Verantwortung für den Auftritt übernommen hat. Am Stammsitz Hannover zeigt VW-Nutzfahrzeuge einen elektrisch angetriebenen „Crafter“, der in Polen vom Band läuft – dem diesjährigen Partnerland der Messe.