Stade. Ein neues Verfahren zum Verlegen von Erdkabeln könnte die Sorgen der vom Südlink betroffenen Kommunen mindern.

Unser Leser Heinz Schiefler aus Braunschweig fragt:

Es stellt sich die Frage, warum ein Erdkabel unter den Äckern verlegt werden muss. Hier bietet sich doch die A 7 an, die im Eigentum der Bundesrepublik ist.

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Der Vorschlag unseres Lesers würde den Obstbauern im Alten Land gefallen. Und Werner Spiegel von der Firma AGS-Verfahrenstechnik gibt ihnen Recht: „Das ist ohnehin totes Land. Wenn der Verkehrsminister erlaubt, das Kabel unter Fernstraßen zu verlegen, wäre das perfekt“. Spiegel hat ein Heimspiel: In der Werkstatt der Stadtwerke Stade erklärt der Bauingenieur knapp 50 Landwirten, Lokalpolitikern und interessierten Bürgern das von seiner Firma entwickelte Erdkabelverfahren.

Mitten durchs Alte Land soll der Südlink, die große Höchstspannungs-Gleichstromtrasse, die Strom aus dem windigen Norden in den energiehungrigen Süden liefern soll, verlaufen. Spiegel möchte die Trasse bauen, und er hofft auf die Unterstützung der betroffenen Kommunen. Den Sitz seiner Firma hat er extra nach Stade verlegt.

„25 Kilometer kommen garantiert, wenn wir Pech haben sogar 75“, verweist Gerd Lefers auf die möglichen Trassenverläufe im Landkreis Stade. Lefers ist Obstbauer und Mitglied im Umweltausschuss des Kreistages. Das Erdkabel sei Gesetz, das werde sich nicht verhindern lassen. Doch in Richtung Tennet, dem Netzbetreiber des Südlinks, fordert er: „Wenn ihr hier durch wollt, dann benehmt euch und nehmt das schonendste Verfahren.“

Südlink neu

Das Kabel schwimmt im Rohr wie ein U-Boot

Das schonendste Verfahren, davon haben Spiegel und die Stadtwerke Stade, die Gesellschafter der AGS-Verfahrenstechnik sind, Gerd Lefers überzeugt, wird derzeit in Stade erprobt und heute präsentiert. Spiegel erklärt es an einem Modell: Das Erdkabel wird nicht wie beim üblichen Verfahren direkt in einen Graben auf ein Sandbett gelegt, sondern von einem Transportrohr umhüllt. Dieses Rohr wiederum wird in ein mit Wasser geflutetes Leerrohr eingeschwemmt.

„Das Transportrohr mit dem Kabel ist wie ein U-Boot“, erklärt Spiegel seinen Zuhörern und deutet auf ein Modell aus Plexiglas. Das Gewicht des Kabels und der Auftrieb durch das luftgefüllte Transportrohr halten sich die Waage: Das Kabelrohr schwimmt in der Mitte des Wasserrohrs.

„So lässt sich das Kabel mit dem Wasserstrom leicht bewegen. Man muss noch nicht einmal daran ziehen“, sagt Spiegel. Falls nötig, werde außerdem am Transportrohr gezogen, nicht am Kabel. Das ist ein wichtiger Vorteil des Verfahrens. Ein einzelner Meter eines solchen Erdkabels wiegt 50 Kilogramm. Das führt dazu, dass beim Verlegen enorme Kräfte auf die langen Kabelstücke einwirken und diese beschädigen können. Das begrenzt die maximale Länge der Teilstücke – und je kürzer die Stücke, desto mehr Muffen mit den dazugehörigen Schächten werden zum Verbinden der Abschnitte benötigt.

Lange Kabelstücke verringern den Aufwand für Bau und Wartung

„Wir können ultralange Kabel einziehen“, sagt Spiegel und verspricht: Auf mindestens die Hälfte der teuren und im Bau aufwendigen Muffenschächte könne beim AGS-Verfahren gegenüber dem konventionellen Erdkabelbau verzichtet werden. Letztendlich werde die Länge der Kabelstücke allein durch den Transport begrenzt. Mehr als 40 Tonnen darf ein LKW in Deutschland nicht auf die Straße bringen. Bei Anlieferung auf dem Seeweg könnte man hingegen durchaus auch fünf Kilometer lange Kabelstücke verlegen, sagt Spiegel.

Das zahle sich auch bei der Wartung aus, denn die Muffen an den Verbindungen sind die Schwachstellen des Erdkabelsystems. Darüber hinaus sei die Reparatur einfacher: „Was wir reinziehen, können wir auch wieder rausziehen. Das Verfahren ist reversibel.“ Ein erneutes Aufbrechen des Bodens sei nicht nötig.

Das ist den Landwirten besonders wichtig. „Für Dauerkulturen wie den Obstbau wäre alles andere inakzeptabel“, sagt Lefers. „Allein die Rekultivierung nach dem Anlegen der Trasse dauert fünf Jahre. Wenn dann nach 20 Jahren wegen eines kaputten Kabels alles wieder aufgerissen werden muss, ist der Boden zerstört.“

Eine weitere Sorge der Landwirte betrifft die mögliche Erwärmung des Bodens durch Erdkabel. Das Braunschweiger Landvolk, das nach den aktuellen Plänen für die Trasse im Kreis Peine und den Gemeinden Baddeckenstedt und Burgdorf vom Südlink betroffen sein wird, äußert ähnliche Bedenken. Die Wärme könne sich auf die Ackerkulturen auswirken, etwa indem durch das Schmelzen einer Schneedecke über den Kabeln Saatgut früher austreibt. Bei spätem Frost seien diese Pflanzen dann gefährdet.

Auch hier sei der Obstbau besonders sensibel, sagt Gerd Lefers: „Schon eine leichte Erwärmung an der Oberfläche führt dazu, dass die Beregnung angepasst werden muss.“

Aktive Kühlung ermöglicht schmalere Trassen

Und auch diese Sorge kann Werner Spiegel den Bauern nehmen. „Wärme, die der Landwirt nicht haben will, kann über das Wasser in den Rohren abgeführt werden“, erklärt er. Technisch sei das kein Problem: „Da das Wasser schon drin ist im Rohr, ist die Kühlung ein marginaler Aufwand. Ein paar kleine Pumphäuschen mit Wasserpumpen und Wärmetauschern reichen aus.“ Und die Kühlung schone auch die Kabel, die ansonsten bei zu starker Erhitzung durch Absenken der Leistung geschützt werden müssten. Gekühlte Kabel hingegen könnten zu jeder Jahreszeit mit der gleichen Leistung betrieben werden und hielten außerdem länger.

Der größte Vorteil der Kühlung liegt allerdings in der geringeren Trassenbreite. Damit sie sich nicht gegenseitig erhitzen, müssen herkömmliche Erdkabel in relativ großem Abstand voneinander verlegt werden. Das führt zu Trassen von 20 Metern Breite – und mehr. Gekühlte Kabel könnten hingegen dicht nebeneinander oder sogar übereinander gepackt werden. Spiegel spricht von zwei Meter breiten Trassen.

Das könnte auch die Umsetzung des Vorschlags unseres Lesers möglich machen. „Wenn Infrastrukturen gekoppelt werden, kommt es zu Interaktionen. Bau oder Reparatur eines Erdkabels könnten also den Verkehr auf der Autobahn beeinträchtigen“, fasst Professor Michael Oeser die Schwierigkeiten zusammen. Am Institut für Straßenwesen der RWTH Aachen untersucht der Bauingenieur derzeit, ob Straßenbau und Erdkabel verträglich zu kombinieren sind. Die AGS-Technik könnte das ermöglichen.

„Wenn die Baustelle auf den Seitenstreifen beschränkt ist, würde der Verkehr kaum behindert“, sagt Oeser. Möglich sei auch, keinen offenen Graben anzulegen, sondern lediglich kleine Löcher, von denen aus horizontal gebohrt werde. In Zukunft könnten darüber hinaus bei anstehenden Bauarbeiten wie Spurerweiterungen vorsorglich leere Tunnel unter der Straße gebaut werden, in die später bei Bedarf Kabelrohre eingeschwemmt werden.

Zunächst will Oeser klären, ob das Verfahren wirtschaftlich und technisch umsetzbar ist. Schon jetzt hält der Bauingenieur dies aber für wahrscheinlich. „Am Ende ist es eine Frage des politischen Willens“, meint Oeser.

Mindestens ein politischer Entscheider ist bereits überzeugt. Oliver Grundmann, CDU-Bundestagsabgeordneter aus Stade, nennt das Pilotprojekt der Stadtwerke einen „Meilenstein für die Energiewende mit bundesweiter Strahlkraft“. Er sei bereits im Gespräch mit dem Verkehrsministerium und der Bundesnetzagentur, versichert er den Landwirten und Lokalpolitikern in Stade.

Auch Werner Spiegel setzt auf öffentliche Unterstützung für sein Verfahren. „Wir können die ganzen 800 Kilometer Südlink in schmaler, gekühlter Ausführung bauen“, sagt er. Aber das müsse politisch entschieden werden, und dafür müssten die Betroffenen sich einmischen. Netzbetreiber Tennet werde nicht von sich aus den Einsatz der Technik vorschlagen. Die Kommunen müssten dies einfordern.

Mitarbeiter von Tennet haben sich das Verfahren vor kurzem vorführen lassen. „Unsere Techniker haben viele Eindrücke mitgenommen, die wir nun in Ruhe und ergebnisoffen auswerten werden“, verspricht Unternehmenssprecher Mathias Fischer.

„Sie brauchen Lobbyisten“, fasst einer der Zuhörer bei der Veranstaltung in Stade zusammen. Nach der Diskussion dürften zumindest einige der Obstbauern im Alten Land dazuzählen.