London. Ein Attentäter überfährt mehrere Passanten und versucht in London, ins Parlament einzudringen.

Gespenstisches spielt sich am Mittwochnachmittag in London ab: An der Westminster Bridge, im politischen Zentrum der britischen Hauptstadt, in unmittelbarer Nähe zum Parlament, liegen plötzlich Menschen auf
der Straße. Einige bluten stark, andere sind offenbar bewusstlos. Ein Körper steckt fast unter dem riesigen Rad eines der roten Londoner Busse. Sanitäter schieben Verletzte im Eilschritt zu den Ambulanzwagen. Mindestens vier Menschen werden getötet, darunter ein Polizist und der Täter. Rettungshubschrauber dröhnen über dem Parlament. Mitarbeiter der Hafenbehörde retten eine Frau, die in Panik von der Brücke in die Themse gesprungen ist.

Es dauert nur wenige Minuten nach dem ersten Alarm um kurz vor 16 Uhr, bis Polizisten mit Schutzschilden anrücken. Zwischen den Helfern rennen schwarz gekleidete Polizisten der Spezialeinheit „Armed Response Unit“ mit ihren automatischen Waffen. Blau-gelbe Polizeifahrzeuge riegeln die Brücke und den Platz vor dem Parlament ab. Jenseits der blau-weißen Absperrbänder bilden sich Menschengruppen mit fassungslosen, verschreckten, verzweifelten Gesichtern. London, die politische, die Finanz-Metropole, die pulsierende und lebenslustige Großstadt, bekommt an diesem Nachmittag einen Stich. Wieder einmal, denn schon 2005 wurde die Metropole von einem Anschlag erschüttert, damals
detonieren Sprengsätze in der
U-Bahn und in einem Bus.

Der Fahrer des Wagens war in Schwarz gekleidet

Nach Zeugenaussagen hat sich die Attacke so abgespielt: Kurz vor
15 Uhr (Ortszeit) fährt ein japanischer Geländewagen von der Südseite der Themse auf die Westminster Bridge. Es ist die Brücke, die zum Parlament führt. Kurz vor dem Nordufer schwenkt das Fahrzeug nach links, fährt über einen Bordstein auf den Radweg und von dort aus auf den Bürgersteig. Hier mäht der Wagen reihenweise Menschen nieder. Es gibt mindestens zwanzig Verletzte, sehr viele davon schwer. Auch drei Schüler aus Frankreich seien darunter, berichten französische Medien. Der Wagen kommt am Nordufer an und fährt weiter. Dort kracht er links in den Zaun, der die Straße vom Parlament trennt.

Ein Mann, ganz in Schwarz gekleidet, steigt aus und läuft auf der Bridge Street weiter, biegt am Vorplatz des Parlaments nach links ab und nochmals nach links in den „New Palace Yard“. Damit befindet er sich innerhalb des
Parlamentskomplexes. Beobachter der Szene berichten, dass er ein Messer mit einer 15 bis 20 Zentimeter langen Klinge schwingt. Er sticht einen Polizisten nieder und rennt weiter auf den Eingang des Parlaments zu. Es fallen Schüsse. Zwei weitere Wachpolizisten rufen dem Mann zu, er solle stehen bleiben. Dann eröffnen sie das Feuer. Nach Angaben von Zeugen fallen vier Schüsse, der Mann bleibt am Boden liegen. Der britische Staatssekretär Tobias Ellwood wird zum Helden, weil er versucht, den niedergestochenen Polizisten zu retten. Der Politiker der Konservativen gibt dem Opfer Mund-zu-Mund-Beatmung und versucht, dessen Blutungen zu stillen. Vergeblich.

Die Polizei gibt am frühen Abend bekannt, sie gehe von „einer terroristischen Tat aus, bis wir Näheres wissen“. Ein Journalist des Fernsehsenders BBC erklärt per Twitter, in dem Geländewagen hätten vermutlich zwei Personen gesessen.

Innerhalb des Parlaments wird der „Lockdown“ ausgerufen: Keiner kommt mehr raus, keiner darf hinein. Außer Premierministerin Theresa May. Als die Schüsse fallen, handeln ihre Leibwächter sofort. Sie bugsieren sie in ihren silbernen Jaguar und fahren zum Regierungssitz in Downing Street Nummer 10. „Die Premierministerin ist sicher“, heißt es wenig später. Für die anderen Parlamentarier sowie Lobbyisten, Journalisten und andere Besucher beginnt eine lange Wartezeit.

Der Labour-Abgeordnete Barry Sheerman veröffentlicht auf Twitter eine Reihe Fotos von den eingeschlossenen Parlamentariern. Eine Schulklasse, die gerade das Parlament besucht, vertreibt sich die Zeit mit Liedersingen – eine sehr britische Reaktion. Königin Elizabeth II. befindet sich im Buckingham-Palast. Die Tore sind geschlossen, bewaffnete Polizisten bewachen die Zugänge. Das weltberühmte Riesenrad „London Eye“, das schräg gegenüber dem Parlament steht, wird angehalten. Die Menschen sitzen in den Kabinen fest. Man stehe in ständigem Kontakt mit den Gästen, teilen die Betreiber auf Twitter mit. Es ist die Stunde, in der die hohe Politik pausiert, die Kontroversen auf Eis gelegt werden. „Unsere Gedanken sind bei unseren britischen Freunden“, betont der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert. Die in den nächsten Monaten anstehenden harten Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ruhen in diesen Stunden. „Wir erklären uns solidarisch mit den britischen Bürgern“, sagt der Brexit-Unterhändler der EU, Michel Barnier. Premierministerin May bestellt am Mittwochabend das Sicherheitskabinett ein, teilt aber später mit, dass sich an der Terrorwarnstufe nichts ändere.