Braunschweig. In Niedersachsen ist kein Ende der Vogelgrippe in Sicht. Bei 28 Betrieben, in denen das Virus nachgewiesen wurde, handelt es sich um Putenbetriebe.

Unser Leser Heinrich Stoffel aus Braunschweig fragt:

Eine Frage zum Thema Vogelgrippe: Kann es sein, dass das Futter in den Geflügelmastställen aus China kommt?

Die Antwort recherchierte Lisa Claus

Bundesweit wurden seit November vergangenen Jahres 1095 infizierte Wildvögel und 95 Ausbrüche in Geflügelhaltungen gezählt. Jetzt ist die Vogelgrippe fast überall in Deutschland wieder auf dem Rückzug. Nicht so in Niedersachsen: Besonders im Kreis Cloppenburg hält sich das Virus hartnäckig. „Ohne wirksame Gegenmaßnahmen ist die Zukunft der gesamten Putenwirtschaft gefährdet“, so Niedersachsens Geflügelwirtschaftsverband.

„Es ist das mit Abstand größte Geschehen, das es seit Beginn der Aufzeichnungen gegeben hat“, sagt Professor Franz J. Conraths, Vizepräsident des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI) und Leiter des dazugehörigen Epidemiologie-Instituts im Gespräch mit unserer Zeitung. Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit beschäftigt sich mit Tierseuchenbekämpfung.

Auch die Geflügelpest fällt in diesen Forschungsbereich – besonders seit November letzten Jahres, als sie erneut in Deutschland ausbrach. Ausgelöst durch das Geflügelpestvirus H5N8, trifft sie hauptsächlich Hühner, Puten, Gänse, Enten und Wildvögel. Haben diese sich einmal infiziert, endet es meistens tödlich. Eine Übertragung auf Menschen ist sehr unwahrscheinlich, bisher gab es weltweit keine Fälle.

Niedersachsen als Geflügelhochburg hat es besonders stark getroffen – mit 34 Vogelgrippe-Fällen liegt es laut Conraths auf Platz eins der Bundesländer. Es folgen Mecklenburg-Vorpommern mit 15 und Brandenburg mit elf Fällen. „Die Viren entstehen fast immer in Südostasien“, erklärt er. Grund seien die dortigen Bedingungen in der Produktion.

Doch wie hat das Virus den Weg aus Südostasien in die deutschen Geflügelmastställe gefunden? Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Allerdings lohnt es sich, den zwei wesentlichen Thesen zur Ursachenforschung nachzuspüren: erstens der Wildvogel-These und zweitens der Geflügelindustrie-These, auf die auch die Futter-Frage unseres Lesers abzielt.

Die Wildvogel-These

Laut Conraths spricht einiges für die Wildvogelthese, die besagt, dass infizierte Wildvögel Träger des Virus sind. „Dabei ist es nicht so, dass ein Vogel in Südostasien startet und das Virus zum Beispiel bis nach Braunschweig bringt“, erklärt er. Das Virus werde von Vogel zu Vogel weitergegeben – dies sei vergleichbar mit einer „Staffelstabübergabe“, erklärt Elke Reinking, Sprecherin des FLI. Was laut Conraths dafür spricht: Die Virus-Vorläufer zwischen Ostasien, Russland und der Mongolei sind genetisch unterschiedlich. Das zeige, dass sich das Virus auf seinem Weg nach Deutschland verändert habe. Dies wäre unwahrscheinlich, würde das Virus über Geflügelindustrietransporte direkt eingeflogen, erklärt Conraths. Dann müsste es in Deutschland die gleiche Struktur haben wie das in Ostasien.

Hier in Deutschland müsse schließlich ein direkter oder indirekter Kontakt zwischen Wildvögeln und Geflügel stattgefunden haben – beispielsweise über Geräte oder Stiefel, an denen Kot haftet.

Die Geflügelindustrie-These

Laut Geflügelindustrie-These haben Transporte der Geflügelindustrie das Virus eingeschleppt. „Der Verbreitungsweg über die Produkte ist weniger wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen“, meint Conraths. Doch gibt er zu bedenken: „Bisherige Ausbruchsuntersuchungen haben keine Hinweise auf eine direkte Beziehung zu Unternehmen in Ost- oder Südostasien gegeben.“ Zudem seien Geflügelimporte aus betroffenen Gebieten verboten, so FLI-Sprecherin Reinking. Risikofaktoren innerhalb der Geflügelindustrie könnten laut Conraths theoretisch der Zukauf von Tieren, das Tränkwasser und Hygienelücken in den Ställen sein – und möglicherweise auch das Futter, dass unser Leser in seiner Frage anspricht. Aber auch hier hätten die Ausbruchsuntersuchungen keine entsprechenden Belege erbracht.

Philip Foth, Sprecher des Nabu Niedersachsen, hält die Einschleppung des Virus über die Geflügelindustrie dennoch für wahrscheinlich. Er sagt: „Der Eintrag kann durch kontaminierte Fahrzeuge, Käfige, Personen erfolgen oder aber durch den Zukauf von Eiern, Küken, Geflügel, gegebenenfalls Futtermittel und Futterzusatzstoffe.“ Auch Geflügeltransporte, beispielsweise zum Schlachthof, könnten laut Foth dazu beitragen, dass die Vogelgrippe weiter in Umlauf gerät.

Welche Rolle spielt das Futter?

Josef Abeling, Geschäftsführer des niedersächsischen Futterlieferanten „Fleming + Wendeln“, schließt die Verbreitung übers Futter fast komplett aus: Seine Fahrzeuge, sagt er, seien mit automatischen Desinfektionsanlagen ausgestattet, die Fahrer trügen Einmal-Schutzanzüge. Auch werde verhindert, dass mehrere Ställe gleichzeitig beliefert werden.

Britta Noras vom Deutschen Verband Tiernahrung schränkt darüber hinaus ein: „Das Mischfutter wird nicht extrem weit transportiert. Es ist ein eher regionales Geschäft, bei dem es um Entfernungen von 50 bis 100 Kilometern geht.“ Allerdings hänge dies auch von den jeweiligen Futterzulieferern ab, manche würden auch überregional liefern, erklärt Noras.

Aus Züchter-Perspektive bestätigt Rainer Wendt aus Zahrenholz im Kreis Gifhorn den Befund. Der Vizepräsident des Zentralverbandes der Deutschen Geflügelwirtschaft und Inhaber von Geflügelmastställen in unserer Region sagt zur Zusammensetzung des von ihm verwendeten Geflügelfutters: „Es besteht aus Weizen, gentechnikfreiem Sojaschrot und Mineralstoffen.“ Der Weizen stamme unmittelbar aus der Region – vom örtlichen Landhändler.

Laut Conraths vom Friedrich-Löffler-Institut könnten einzelne Komponenten des Futters von überall aus der Welt kommen. Doch gibt er zu bedenken: „ 28 der 34 niedersächsischen Betriebe, in denen das Vogelgrippe-Virus nachgewiesen wurde, waren Putenbetriebe. Puten bekommen üblicherweise Pelletfutter, das auf über 80 Grad erhitzt wird.“ Selbst wenn die Pellets aus Asien importiert und kontaminiert wären – 80 Grad reichten aus, um die Grippeviren abzutöten, erklärt er.

Was Conraths zufolge allerdings geprüft werden müsse: „Wurde das Futter eventuell danach kontaminiert?“ Dies könne passieren, wenn sich infizierte Wildvögel am gelagerten Futter bedienten, sagt er. „Die Wildvögel haben auch Hunger“, fügt er hinzu.

Wichtig sei also: Wie wird das Futter gelagert? Ist es so gelagert, dass Wildvögel keinen Zugang haben? Wie kommt das Futter vom LKW in das Futtersilo?“ Wenn das Futter als möglicher Virenträger infrage kommt, dann wäre es also nur mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit das importierte, sondern das nachträglich verunreinigte Futter, das schließlich in die Ställe gebracht wurde.

Was sollen Geflügelhalter tun?

Laut Friedrich-Löffler-Institut soll der Kontakt zwischen Nutzgeflügel und infizierten Wildvögeln verhindert werden: Dabei geht es um das schon erwähnte, von Wildvögeln verunreinigte Futter, aber auch um Wasser, Schuhe, Schubkarren und ähnliches. Stallpflicht, verschärfte Desinfektion und Reinigung des Materials, auf diese Stichworte laufen die sogenannten Biosicherheitsmaßnahmen hinaus. Als Reaktion auf die anhaltenden Neuausbrüche werden diese sogar noch verschärft.

Geflügelzüchter Rainer Wendt ist da durchaus einverstanden: „Das Allerwichtigste ist die Betriebshygiene“, sagt er. In seinen Ställen werde besonders auf den Kleidungswechsel geachtet – es gebe Straßen- und Stallkleidung.

Man mag das unbefriedigend finden. Aber mit letzter Klarheit ist die Verbreitung der Vogelgrippe nicht zu ergründen. Übrigens ist das gar nicht ungewöhnlich. Conraths sagt: „In aller Regel finden wir nicht die Quelle: Wir wissen in ganz wenigen Fällen mit hoher Wahrscheinlichkeit, wie das Virus in den Stall gelangt ist.“

Es gebe schlicht keine eindeutigen Beweise, sagt der Professor und riskiert sogar eine launige Bemerkung. „Das ist wie bei den Kommissaren im Fernsehkrimi: Es wird in alle Richtungen ermittelt.“