Wolfsburg. Manfred Bort ist bei VW verantwortlich für die Nachbesserung der manipulierten Motoren. Im Interview zieht er eine Zwischenbilanz.

Unser Leser Peter Pracht aus Baddeckenstedt fragt:

Uns steht laut Gesetz nichts an Entschädigung zu, nur eine Umrüstung. Ist die so, wie sie sein muss? Den Schwarzen Peter haben wir beim nächsten TÜV hoffentlich nicht gezogen.

Zigtausende VW-Modelle, die von den Abgas-Manipulationen betroffen sind, erhalten in diesen Tagen und Wochen ein Update für die Motorsoftware. Nachgerüstet werden stets Dieselmotoren des Typs EA 189 mit 1,2 Litern, 1,6 Litern oder 2,0 Litern Hubraum. Ob die Sorge unseres Lesers berechtigt ist, was die Umrüstung kostet und warum Kunden in Deutschland keine Entschädigung erhalten, beantwortet Manfred Bort, Beauftragter des VW-Markenvorstands für die Nachrüstungen, im Interview mit Andreas Schweiger.

Herr Dr. Bort, kommt das Auto unseres Lesers mit seinem Software-Update problemlos durch die nächste Hauptuntersuchung, etwa beim Tüv?

Ja, natürlich. Das Software-Update gewährleistet, dass die betroffenen Diesel-Motoren des Typs EA 189 gesetzeskonform sind. Nur wenn die Motoren nicht nachgerüstet werden, kann es Probleme bei einer künftigen Hauptuntersuchung geben.

„Wir sind der Ansicht, dass es für Entschädigungsleistungen und damit im Zusammenhang stehende Kundenklagen in anderen Teilen der Welt keine Rechtsgrundlage gibt. “
„Wir sind der Ansicht, dass es für Entschädigungsleistungen und damit im Zusammenhang stehende Kundenklagen in anderen Teilen der Welt keine Rechtsgrundlage gibt. “ © Manfred Bort, Beauftragter des VW-Markenvorstands für die Nachrüstungen

Das heißt, die Prüfplakette wird dann nicht erteilt?

Grundsätzlich gibt das der Gesetzgeber vor. Deshalb ist der Rückruf, um die Motoren nachrüsten zu lassen, in Deutschland verpflichtend. Wer dieser Verpflichtung nicht nachkommt, kann ein Problem bei einer zukünftigen Hauptuntersuchung bekommen.

Wird das von Volkswagen veranlasst?

Nein, für die Durchsetzung der gesetzlichen Bestimmungen ist der Staat zuständig. Wir bitten unsere Kunden schriftlich, einen Termin mit der Werkstatt zu vereinbaren, damit das Software-Update aufgespielt werden kann. In diesem Schreiben weisen wir auch auf die rechtlichen Konsequenzen hin, die drohen, wenn der Halter dem Rückruf nicht nachkommt. Wenn er dem Rückruf nicht folgt, endet unser Handlungsspielraum.

Informiert Volkswagen das Kraftfahrt-Bundesamt, wenn ein Halter dem Rückruf nicht nachkommt?

Nein, das Prinzip funktioniert umgekehrt: Das Kraftfahrt-Bundesamt wird über alle durchgeführten Nachrüstungen informiert. So erfährt es automatisch, bei welchem Fahrzeug das Update noch aussteht.

Gibt es Fälle, in denen Halter ein Update ablehnen, obwohl die Stilllegung ihres Autos droht?

In Ausnahmen gibt es das. Ein uns bekannter Grund: Fahrzeughalter haben die Motorsoftware verändern lassen. Dabei handelt es sich oft um illegale Eingriffe, zum Beispiel wenn ein sogenanntes Chip-Tuning ohne Eintrag in die Fahrzeugpapiere vorgenommen wurde.

Wie viele Konzern-Modelle wurden bisher nachgerüstet?

Weltweit 3,55 Millionen. Das entspricht etwa einem Drittel der in Summe etwa 11 Millionen betroffenen Fahrzeuge, wovon 8,5 Millionen in Europa zugelassen sind.

Und in Deutschland?

In Deutschland sind gut 2,5 Millionen Konzern-Modelle betroffen, davon etwa 1,5 Millionen der Marke Volkswagen. Nachgerüstet wurden inzwischen fast 1,5 Millionen Konzern-Modelle, darunter sind mehr als eine Million der Marke Volkswagen.

Bis wann sollen die Nachrüstungen beendet sein?

Wir sind zuversichtlich, das bis zum Herbst 2017 zu schaffen. Wir rüsten derzeit wöchentlich etwa 250 000 Autos weltweit um, in Deutschland sind es zuletzt bis zu 100 000 jede Woche. Ich bin positiv überrascht, wie schnell wir nun vorankommen. Das läuft technisch wirklich sehr gut. Das liegt auch daran, dass wir Großrechner aufgerüstet und die Werkstätten über 10.000 zusätzliche Testgeräte angeschafft haben. So wird gewährleistet, dass wir allen Kunden möglichst schnell Termine anbieten und die Umrüstung der Fahrzeuge erfolgreich durchführen können.

Liegen für alle Modelle die Freigaben für die Nachrüstung vor?

Für die Marke Volkswagen liegen uns in Europa nahezu alle behördlichen Freigaben zur Umrüstung vor. Für eine kleine Anzahl von Fahrzeugen mit EU6-Typ-Genehmigung, also weniger als 0,5 Prozent der in Europa betroffenen Gesamtzahl, erwarten wir die ausstehende Freigabe, und in Kürze sollten wir die letzten technischen Lösungen unseren Kunden zur Verfügung stellen können.

Läuft die Nachrüstung weltweit gleichmäßig?

Grundsätzlich sind wir sehr zufrieden mit der Akzeptanz. Die Rückmeldung aus dem Handel und von Seiten unserer Kunden ist positiv. Aber wir erkennen durchaus regionale Unterschiede, wie zügig wir mit der Umrüstung vorankommen. In Deutschland, Österreich und der Schweiz oder England kommen wir vergleichsweise schnell voran. In einigen Ländern Ost-Europas liegen die Abarbeitungsquoten bisher noch darunter.

Wie hoch ist die Nachrüstungsquote in Deutschland?

Bei den Nachrüstungen, die vom Kraftfahrt-Bundesamt im ersten Halbjahr 2016 freigegeben wurden, liegt die Quote über 80 und sogar 90 Prozent. Bei den Nachrüstungen, die im Herbst und zum Jahresende freigegeben wurden, liegen wir bereits nach wenigen Wochen bei gut 40 Prozent. Das sind sehr gute Werte. Bei anderen Rückrufen – auch sicherheitsrelevanten Feldaktionen – haben wir in der Vergangenheit oft deutlich geringere Quoten verzeichnet.

Wie viel wird Volkswagen in Summe für die Nachrüstungen bezahlen müssen?

Die Kosten pro Auto liegen deutlich im zweistelligen Euro-Bereich. Sie wissen, dass Volkswagen für die Aufarbeitung der Abgas-Thematik mehr als 22 Milliarden Euro an Belastungen erfasst und entsprechende Vorsorge gebildet hat. Die Kosten für die Umrüstungen sind darin enthalten.

Die Fachpresse berichtet von Mängeln, die angeblich durch die Nachrüstungen entstehen. So soll ein Ventil in der Abgas-Reinigung verrußen – mit der Folge, dass das Auto nicht mehr anspringt. Was ist dran an diesen Vorwürfen?

Konkret geht es um das von Ihnen angesprochene Abgasrückführventil (AGR-Ventil) und im Detail auch um den AGR-Kühler. Dabei handelt es sich um Bauteile, die auch in der Vergangenheit und lange vor dem Software-Update in Einzelfällen von unseren Kunden beanstandet wurden. Grundsätzlich gilt: Diese Bauteile können versotten. Eine mögliche Ursache kann im individuellen Fahrprofil des jeweiligen Fahrzeugs begründet liegen. Dass die Bauteile wegen des Software-Updates versotten, ist technisch nicht möglich. Die Versottung kommt nicht über Nacht, sondern ist das Resultat einer Langzeitnutzung über Zehntausende von Kilometern.

Werden die Nachrüstungen häufig beanstandet?

Natürlich kommt es in Einzelfällen vor. Bei vielen Millionen betroffenen Fahrzeugen, die mehrheitlich schon viele Jahre im Einsatz sind und zehntausende – teilweise hunderttausende – Kilometer Fahrleistung sowie ganz unterschiedliche Wartungshistorien aufweisen, wären gar keine Beanstandungen sehr verwunderlich. Dabei nehmen wir jeden Hinweis sehr ernst. Unsere Händler werden von uns aktiv aufgefordert, jede Beanstandung direkt an uns weiterzuleiten.

Sind die Beanstandungen berechtigt?

Eine technische Ursache aufgrund der Umrüstung können wir bislang nicht erkennen. Wir stellen außerdem sehr wohl fest, dass unsere Kunden in Bezug auf die Nachrüstung vielfach sehr sensibel sind. Sie beobachten ihr Auto genauer. Dafür haben wir volles Verständnis. Uns liegt es am Herzen, allen Beanstandungen schnell nachgehen zu können. Daher arbeiten wir eng mit unseren Händlern zusammen. Sie bekommen von uns zum Beispiel Unterstützung, wenn es um die Analyse von Motordaten geht, die im Werkstattalltag sonst keine Rolle spielen. Die Händler wiederum machen zum Beispiel von den beanstandeten Autos Fotos, damit wir schon aus der Ferne mit der Diagnose starten können.

Und wenn Sie den Fehler nicht finden?

Wir kümmern uns um jeden Einzelfall. Das kann bedeuten, dass wir ein betroffenes Auto auch schon mal zu uns ins Werk holen. Ohnehin haben wir 1500 Gebrauchtfahrzeuge zurückgekauft, um mit ihnen die Alltagstauglichkeit des Software-Updates zu testen. Dazu sind wir viele Millionen von Kilometern gefahren.

Musste ein Update trotzdem überarbeitet werden, weil es sich in der Praxis nicht bewährt hat?

Leider gab es im vergangenen Jahr bei der technischen Lösung für etwa 13 000 Golf-Modelle mit 2,0-Liter-TDI-Motor eine auffällige Häufung eines Problembildes: Der Motor ruckelte nach der Umrüstung in einigen Fahrsituationen bei einer kleinen Anzahl dieser Modellgruppe. Außerdem haben wir bei einer bestimmten Motor-Getriebe-Version eines 2,0-Liter-Tiguan-Modells eine Reihe von Beanstandungen im Zusammenhang mit der Akustik verzeichnet. Gleichzeitig gab es beim Betrieb der ganz überwiegenden Mehrzahl der genannten Fahrzeuge nach dem Software-Update überhaupt keine Probleme. Trotzdem haben wir beide Beanstandungsfälle zum Anlass genommen, die Softwarelösung nachzubessern. Selbstverständlich sind diese Erfahrungswerte darüber hinaus in die Software-Varianten aller nachfolgenden Updates eingeflossen. Seitdem konnten wir alle Beanstandungen auf Ursachen zurückführen, die nicht im Zusammenhang mit dem Software-Update stehen. Das alles geschieht übrigens stets nach Information an und Freigabe durch die zuständigen Behörden.

Für wie viele Software-Varianten wurde ein Update erforderlich?

Für mehr als 750, das war sehr aufwendig. Es mussten etwa 250 000 Datenwerte in den Steuergräten verändert werden. Gemessen an der Komplexität funktionierte die ganze Kette von der Entwicklung bis zur Umsetzung in den Werkstätten sehr gut und reibungslos. Gerade zu Beginn der Aktion gab es die einen oder anderen Kollegen, die Zweifel hatten, ob wir bis Ende 2016 den Kunden eine technische Lösung anbieten können. Schließlich war es eine riesige Herausforderung für alle Beteiligten, denn es mussten quasi aus dem Stand Lösungen gefunden werden, ohne dass es für diese Mammutaufgabe eine Blaupause gegeben hat. Aber dank des bereichsübergreifenden und unkomplizierten Zusammenwirkens vieler Kollegen – vom Top-Management bis zum Sachbearbeiter – sowie mit Hilfe der vielen Beteiligten bei unseren Lieferanten sind wir seit Jahresbeginn in der Lage, quasi alle betroffenen Volkswagen erfolgreich umzurüsten.

VW-Halter in Deutschland, deren Autos von den Abgas-Manipulationen betroffen sind, kritisieren, dass sie im Gegensatz zu den Kunden in den USA keine Entschädigung erhalten. Warum ist das so?

Die Regelungen zu Stickoxid-Emissionsgrenzwerten für Fahrzeuge in den USA sind sehr viel strenger als in anderen Teilen der Welt, und die Motorenvarianten unterscheiden sich ebenfalls erheblich. Die daraus resultierenden technischen Anforderungen an die Dieselmotoren-Technologie sind in den USA anspruchsvoller und die technischen Lösungen für die betroffenen Fahrzeuge infolgedessen aufwendiger.

Ferner sind wir der Ansicht, dass es für Entschädigungsleistungen und damit im Zusammenhang stehende Kundenklagen in anderen Teilen der Welt keine Rechtsgrundlage gibt. Alle betroffenen Fahrzeuge sind technisch sicher und fahrbereit. Sie können uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt und auch weiterhin verkauft werden. Wir gehen zudem derzeit davon aus, dass die Überarbeitung der betroffenen Fahrzeuge keine nachteiligen Auswirkungen auf den Restwert haben wird.

Dies bestätigt die aktuelle Marktsituation: Die Abgas-Thematik hat bislang im deutschen Markt sowie in vielen weiteren Märkten keine negativen Auswirkungen auf die Restwerte der betroffenen Fahrzeuge mit EA 189-Dieselmotor oder andere Fahrzeuge der Konzernmarken. Sowohl die Fahrzeugverkäufe der Volkswagen Financial Services AG selbst, die positive Vermarktungsergebnisse ausweisen, als auch in Deutschland unabhängige Stellen wie die Deutsche Automobil Treuhand und Schwacke bestätigen dies.