Braunschweig. Die Landwirtschaftskammer fordert ein langfristiges Bodenschutzkonzept für Planung, Bau und Betrieb von Erdkabeltrassen.

Unser Leser Gerd Marquardt aus Salzgitter fragt:

Die Landwirte befürchten eine Erwärmung des Bodens durch Erdkabel. Lässt sich die Wärmeabgabe der Kabel berechnen?

Die Antwort recherchierte Johannes Kaufmann

Je mehr Kernreaktoren und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, desto stärker verlagert sich die Stromproduktion nach Norden. Um die vor allem mit Windrädern generierte elektrische Energie von der Küste in die industriestarken Regionen des Südens zu transportieren, braucht es neue Hochspannungstrassen.

Doch gegen deren Bau regt sich großer Widerstand in den betroffenen Gemeinden. Ein Ergebnis: Unter anderem die Gleichstrom-Trasse Südlink, die in unserer Region durch den Kreis Peine und die Gemeinde Baddeckenstedt verlaufen könnte, soll nun unterirdisch verlegt werden. Doch während Bürgerinitiativen zufrieden sind, begehren nun die Landwirte auf. „Wir würden lieber unter der Strippe als auf der Strippe ackern“, sagt Ulrich Löhr, Strombeauftragter und Vorsitzender des Landvolks Braunschweiger Land. Die Landwirte fürchten gravierende Folgen – durch den Bau der Leitungen, Aushub und Wiederverbringung des Bodens und durch die Erwärmung der Kabel.

Denn immer wenn Strom durch eine Leitung fließt, wird ein Teil dieser elektrischen Energie in Wärme ungewandelt. Berechnen lässt sich dies über das sogenannte Stromwärmegesetz. Die entstehende Wärme ist dabei abhängig von der elektrischen Leistung und der Dauer des Stromflusses.

Da bei Kupferkabeln mit steigender Temperatur auch der elektrische Widerstand steigt und außerdem das Kabel beschädigt wird, gibt es Maximaltemperaturen für den Betrieb von Stromleitungen. Diese technische Grenztemperatur beträgt bei Drehstromkabeln 90 Grad Celsius.

„Wir würden lieber unter der Strippe als auf der Strippe ackern.“
„Wir würden lieber unter der Strippe als auf der Strippe ackern.“ © Ulrich Löhr, Vorsitzender des Landvolks Braunschweiger Land

Allerdings ist der Kupferkern einer Hochspannungsleitung von mehreren Schichten anderen Materials umgeben. Erreicht der Kern die technische Grenztemperatur von 90 Grad Celsius, dürfte der äußere Kabelmantel etwa 70 bis 75 Grad Celsius warm werden. Das hat Professor Heinrich Brakelmann vom Institut für Energietransport und -speicherung der Universität Duisburg-Essen für ein Gutachten für den Übertragungsnetzbetreiber Amprion berechnet.

Darüber hinaus werden Erdkabel innerhalb eines Schutzrohrs verlegt. Auf Grundlage von Brakelmanns Berechnungen geht der Autor des Gutachtens, Professor Peter Trüby vom Institut für Bodenkunde der Universität Freiburg, davon aus, dass das im Kontakt zum Boden stehende Rohr bei normalen Betriebsbedingungen höchstens 33 Grad Celsius warm wird. Bei maximaler Dauerlast könne die Temperatur am Rohr auf bis zu 50 Grad Celsius steigen.

Als Modell für die Rechnung diente eine Drehstromleitung mit einer Spannung von 380 Kilovolt. „Bei Gleichstromkabeln, deren maximale Leitertemperatur mit 70 Grad Celsius geringer bleibt als bei Drehstromkabeln mit 90 Grad, ist die Angelegenheit noch harmloser“, kommentiert Professor Brakelmann mögliche Auswirkungen auf den Boden. Denn diese würden von Netzbetreibern und Landwirten „oft reichlich übertrieben“.

Vor der Ermittlung dieser Werte hat Professor Trüby in Freiburg einen mehrjährigen Freilandversuch mit im Boden verlegten Warmwasserrohren durchgeführt. Für das Maximalszenario wurden die Rohre für mehrere Wochen auf 70 Grad Celsius erwärmt. Ein Dauerversuch mit 50 Grad lief über elf Monate.

In seinem Gutachten kommt Trüby zu dem Ergebnis, dass sich die Erwärmung des Bodens vor allem auf den Bereich direkt über dem Kabel beschränkt. Bei dauerhaft 50 Grad Celsius am Rohr könne die Temperatur an der Oberfläche um maximal drei Grad steigen. Der Wasserhaushalt des Bodens sei nicht beeinflusst worden. Auch die Auswirkungen auf die Landwirtschaft seien gering. „Die vielfach geäußerten Befürchtungen, die von den Erdkabeln ausgehende Bodenerwärmung könnte zu substanziellen Ertragseinbußen oder gar zu einem Totalausfall landwirtschaftlicher Kulturen führen, sind durch die Experimente widerlegt“, schreibt Trüby.

Das sieht allerdings nicht nur das Landvolk anders, sondern auch die Landwirtschaftskammer (LWK). „Das Gutachten von Professor Trüby für Amprion ist nicht maßgeblich und nicht repräsentativ“, sagt Jörg Fortmann, zuständig für Wasser- und Bodenschutz bei der LWK-Bezirksstelle Bremervörde.

Er sieht noch jede Menge Forschungsbedarf bei den Auswirkungen von Erdkabeln auf die Landwirtschaft. „Verschiedene Standorte sind unterschiedlich sensibel, je nach Wassergehalt und Boden“, gibt er zu bedenken. Auch über die biochemischen Auswirkungen sei wenig bekannt sowie daran anknüpfend über die Folgen für Flora und Fauna, speziell die Mikrobiologie der Bodenorganismen.

„Solche grundsätzlichen Fragen sollten eigentlich im Vorfeld geklärt werden“, sagt Fortmann. Stattdessen werde die Erdverkabelung zu einem großen Experiment. Daher fordert die Landwirtschaftskammer, Bodenschutz schon in der Planung der Trassen einzubeziehen. Darüber hinaus müsse der Bau bodenkundlich begleitet und der Betrieb der Leitungen an repräsentativen Standorten langfristig überwacht werden. „Temperatur, Wasser, Pflanzenphysiologie, Artenspektrum, Mikrobiologie – all das muss gemessen werden“, so Fortmann.

Tennet zeigt sich in vielen Fragen gesprächsbereit. „Wir müssen jeden Boden einzeln anschauen, Proben nehmen und genau prüfen“, sagt Pressesprecher Mathias Fischer. Auch eine bodenschutzfachliche Begleitung des Baus sei vorgesehen.

Mit Bauernvertretern werde im Vorfeld verhandelt. „Wir schließen einen Vertrag mit jedem betroffenen Landeigentümer. Wir nehmen niemandem sein Land weg“, so Fischer. Für Schäden komme das Unternehmen auf. Ernteverluste seien nach wenigen Jahren aber, basierend auf den bisherigen Erfahrungen, nicht zu erwarten.

Diese Erfahrungen stammen vor allem aus Schleswig-Holstein. Dort betreibt Tennet bereits einige Erdkabel-Leitungen und plant, weitere zu verlegen. Auch dort gebe es „berechtigte Fragen und Bedenken von Landwirten“, wie die Sprecherin des Energiewende- und Landwirtschaftsministeriums, Nicola Kabel, mitteilt. Tennet habe eine bodenkundliche Baubegleitung zugesagt.

Auch das Landvolk, das erste Gespräche mit Tennet geführt hat, hält sich mit Kritik am Netzbetreiber zurück. Das Unternehmen zeige sich beim Bodenschutz durchaus kooperativ. „Tennet macht schon viel“, sagt Ulrich Löhr.

Dennoch sieht Jörg Fortmann von der LWK noch jede Menge unbeantworteter Fragen bei der Erdverkabelung. So könnten Böden, die reich an Eisensulfid sind, versauern, wenn sie beim Aushub belüftet werden. Vorfluter könnten von den Trassen durchschnitten werden und die Drainage von Ackern behindern. Der Sand, auf dem die Kabel gebettet sind, könnte zu einer Abflussrinne für Niederschlagswasser werden, was zu einer Vernässung von Senken und zum Austrocknen höhergelegener Böden führe könnte. Auch könnten 1,3 Meter Boden über den Kabeln zu wenig sein. „Auf Lössböden reichen die Wurzeln von Zuckerrüben deutlich tiefer“, gibt Fortmann zu bedenken.

Zumindest einige dieser Probleme könnte womöglich eine neue Technik lösen. Die Firma AGS-Verfahrenstechnik hat ein Verfahren zum Verlegen wassergekühlter Erdkabel entwickelt. Das Verlegen des Kabels in einem mit Wasser gefüllten Rohr ermögliche es, „ultralange Teilstücke“ zu verlegen und dadurch die „Anzahl von Verbindungsmuffen und Bauwerken im Trassenverlauf“ zu vermindern, schreibt das Unternehmen auf seiner Internetseite.

Wegen der Kühlung könnten die einzelnen Kabelstränge deutlich näher aneinander verlegt werden. „Damit werden die physikalischen und technischen Voraussetzungen geschaffen, um im Höchstspannungsbereich Kompakt- und Schmaltrassen zu errichten (Trassenbreite ca. 2 m)“, schreibt das Unternehmen in einer gemeinsamen Information mit den Stadtwerken Stade.

Dort wurde das Verlegeverfahren mit einem Kabel-Dummy an einer Pilotstrecke getestet. „Der nächste Schritt ist die Kühlung mit einem echten Kabel, hoffentlich noch in diesem Jahr“, sagt Christoph Born, Geschäftsführer der Stadtwerke Stade. Die Obstbauern im Alten Land hätten ähnliche Probleme wie die Landwirte in unserer Region, meint Born: „Ich bin überzeugt, dass die Technik einige Probleme lösen kann.“

Bei Tennet zeigt man sich interessiert. „Wir stehen in Kontakt mit den Stadtwerken Stade. Unsere Techniker werden sich das demnächst vor Ort anschauen“, sagt Mathias Fischer. Das Unternehmen sei offen für solche Innovationen, die Technik für Südlink stehe noch nicht fest.