Berlin. Experten empfehlen, Schüler über negative Folgen des Konsums aufzuklären. Auch Cannabis sei gefährlich.

Sie stehen in der großen Pause vor dem Schultor, manche kommen sogar auf den Schulhof: Für Drogendealer sind deutsche Schulen ein lukrativer Umschlagplatz. Denn kiffen gilt bei vielen Jugendlichen als cool, auf Partys kreist der Joint. Bundesweite Zahlen zu Drogendelikten am Tatort Schule gibt es nicht – doch das, was die einzelnen Länderbehörden melden, zeichnet ein düsteres Bild: Auf Deutschlands Schulhöfen hat die Rauschgiftkriminalität in den vergangenen Jahren zum Teil drastisch zugenommen.

In Baden-Württemberg etwa hat sich die Zahl der Drogendelikte am Tatort Schule zwischen 2011 und 2015 von 348 Fällen auf 939 Fälle fast verdreifacht, Nordrhein-Westfalen meldet eine Verdoppelung der Fälle (von 443 auf 897 Delikte), Thüringen ebenfalls (von 40 auf 80 Delikte). In Niedersachsen ist der Anstieg vergleichsweise moderat: 2011 registrierte die Polizei 286 Fälle, 2015 waren es 348. In 293 Fällen ging es dabei 2015 um Cannabis. Auch in vielen anderen Bundesländern stiegen die Zahlen an, in den meisten Fällen erwischte die Polizei dabei Jugendliche – und überall ging es in erster Linie um Cannabis.

Cannabis ist die am weitesten verbreitete illegale Droge in Deutschland. Von 282 604 bundesweit erfassten Straftaten im Jahr 2015 waren laut Polizeistatistik 163 702 Cannabisdelikte, zwei Prozent mehr als im Vorjahr.

Zigaretten und Alkohol sind weniger angesagt

Zigaretten sind out, auch der Alkoholkonsum geht langsam zurück – Kiffen aber liegt bei vielen Jugendlichen im Trend. Etwa jeder zehnte Jugendliche und jeder dritte junge Erwachsene hat schon mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) warnte erst kürzlich: „Der Anteil der Jugendlichen, die in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert haben, ist aktuell weiter verbreitet als 2011.“

Vor dem Schulhof, im Stadtpark oder auf einer Party: Jeder vierte Jugendliche zwischen 12 und 17 Jahren hat laut BZgA schon mal illegale Drogen angeboten bekommen. Doch im Bundesdurchschnitt griffen weniger als die Hälfte auch tatsächlich zu. Auf die Frage, ob sie in den letzten zwölf Monaten illegale Drogen genommen hätten, sagte jeder 14. Jugendliche (7,5 Prozent), dass er etwas geraucht oder Pillen eingeworfen habe. Ein regelmäßiger Konsum illegaler Drogen ist laut BZgA bei etwa jedem hundertsten Jugendlichen festzustellen.

Rauchen ist out – kiffen ist in? Offenbar gilt das für Jugendliche unabhängig von Schulform und sozialer Herkunft. Die Anteile der Schüler, die schon einmal den Konsum einer illegalen Droge ausprobiert haben oder die in den letzten zwölf Monaten eine illegale Droge konsumiert haben, liegen in Gymnasien, Gesamt-, Real- und Hauptschulen laut BZgA auf vergleichbarem Niveau. Auch zwischen den Gruppen mit verschiedenem Migrationshintergrund gibt es demnach keine statistisch signifikanten Unterschiede.

Drogenangebot

Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU) ist besorgt – auch, weil viele das Kiffen offenbar komplett unterschätzen: „Wir haben es heute mit einem ganz anderen, viel stärkeren Cannabis zu tun. Allein bei Haschisch hat sich der THC-Gehalt in den letzten vier Jahren fast verdoppelt“, sagte die CSU-Politikerin dieser Zeitung. Während Schüler heute deutlich weniger rauchen und trinken würden als noch vor zehn Jahren, sei der Cannabiskonsum besorgniserregend: „Cannabis kann den Gehirnen junger Menschen schweren Schaden zufügen. Diese Gefahr besteht deutlich über das 18. Lebensjahr hinaus.“

Experten: Legalisierung von Cannabis würde nicht helfen

Hinzu kommt: Wer Cannabisprodukte mit sich herumträgt, macht sich strafbar. Denn bei illegalen Drogen gilt generell: Der Konsum ist nicht strafbar, der Besitz dagegen schon. Doch ob es tatsächlich zu einem Strafverfahren kommt, hängt von der Menge ab – und vom Bundesland. Denn: Das Betäubungsmittelgesetz erlaubt den Ländern selbst festzulegen, bis zu welcher Grammzahl Drogenbesitz als Bagatelldelikt behandelt wird. In der Regel liegt die Grenze bei sechs Gramm. In NRW und Rheinland-Pfalz dagegen liegt sie bei zehn Gramm, in Berlin in Einzelfällen sogar bei 15 Gramm. „Damit kann man seinen ganzen Freundeskreis versorgen“, heißt es unter Experten.

Mortler sieht sich durch die neuen Zahlen von den Schulhöfen bestätigt. Eine Legalisierung von Cannabis, wie sie etwa die Grünen fordern, hält die CSU-Politikerin für gefährlich: „Ich lehne die Freigabe des Konsums zu Freizeitzwecken ab.“ Eine Legalisierung würde von Jugendlichen als „staatliche Unbedenklichkeitsbescheinigung“ aufgefasst werden.

Auch Drogenberater Jannis Wlachojiannis von der Berliner Caritas ist gegen eine Legalisierung. „Zwar würde zunächst die Kriminalisierung des Besitzes wegfallen“, sagt er, aber die Abgabe sei trotzdem ab einem gewissen Alter erst erlaubt. „Das würde das Problem nur verschieben. Der Markt würde sich verändern.“ Die Dealer würden dann noch vermehrt auf die Unter-18-Jährigen zugehen.

Umso wichtiger ist, dass Prävention die Schüler erreicht. Da hat sich viel getan. Früher galt der Ansatz, eher mit dem erhobenen Zeigefinger zu arbeiten. Das bedeutete: „Hände weg“ oder „Bloß aufhören“.

Das war in einigen Fällen eher kontraproduktiv, weil erst das Verbot Drogen interessant machte. „Wir sind in der Präventionsarbeit da inzwischen weiter“, sagt Wlachojiannis. Es sei erstaunlich gewesen, zu sehen, dass viele Jugendliche sehr wenig über die physischen und psychischen Folgen von Drogenkonsum wissen. „Sie sollen außerdem lernen, wie sich der Druck in einer Gruppe entwickelt“, sagt Wlachojiannis. Und manche müssten schlicht lernen Nein zu sagen.

Experten beklagen, dass bisher nur wenig belegt sei, wie die Cannabis-Prävention an Schulen wirklich wirke. „Eine Befürchtung vieler Lehrer ist“, sagt Eva Hoch, Suchtexpertin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, „dass Prävention gegenteilig wirken könnte.“ Das hieße, dass erst durch die Einführung in das Thema die Jugendlichen sich für eine bestimmte Droge interessieren könnten.

Als positives Beispiel gilt für Experten ein Präventionsprogramm aus Barcelona. Es richtet sich vor allem an Schüler zwischen 14 und 16 Jahren, die in bis zu zehn Schulstunden mehr über den Drogenkonsum erfahren, die Eltern wurden mit einbezogen. „Dort konnte festgestellt werden“, sagt Hoch, „dass der Konsum signifikant gesunken ist.“ Aber vor allem: Es wurde überhaupt evaluiert.

In Braunschweig können Jugendliche und ihre Eltern bei der Jugend- und Drogenberatung (DROBS) zu Fragen rund um die Themen Sucht und Abhängigkeit beraten werden.