Braunschweig. In Braunschweig zeigt Vizekanzler Sigmar Gabriel seine Stärken: Rhetorik, Leidenschaft und den Mut zur klaren Kante. Ob das gegen Merkel reicht?

Im Saal der Braunschweiger Stadthalle rechnen sie alle damit: „Der Sigmar macht’s“, sagt ein SPD-Urgestein. „Das ist längst ausgemachte Sache. Der Sigmar ist jetzt einfach dran“, meint ein Mann in den Fünfzigern. Sigmar Gabriel, SPD-Chef und Kanzlerkandidat in spe, hat ein Heimspiel in Braunschweig. Beim Neujahrsempfang der SPD wird er mit herzlichem Beifall begrüßt. Das ist nicht überall so. Gabriel aber kommt aus der Region, hat den SPD-Bezirk selbst jahrelang geführt. Die K-Frage lässt er aber auch am Samstag unbeantwortet. Es bleibt dabei: Der Herausforderer von Kanzlerin Merkel soll am 29. Januar vorgestellt werden.

Dabei liefert Gabriel in Braunschweig eine Art Antrittsrede ab. Er erklärt, welche Akzente die SPD im Wahljahr 2017 setzen will: Die Leitthemen werden Innere Sicherheit, der Kampf gegen Rechts und der soziale Zusammenhalt sein.

Hier, in der Heimat, da verstehen ihn die Genossen offenbar. Hier fühlt er sich sichtlich wohl. „Für mich ist es ein wenig wie nach Hause kommen“, gibt Gabriel zu. Warme Worte haben sie für ihn, den so oft Gescholtenen, übrig. „Du bist ein Mensch, der nie anderen nach dem Mund redet“, bescheinigt ihm der SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil. „Wir stehen geschlossen hinter dir“, sagt Braunschweigs SPD-Chef Christos Pantazis. Ein Jahr der Entscheidungen werde es, ein intensives Jahr, bei dem die Genossen aus dem Wahlkampf kaum noch heraus kämen, so Pantazis.

Heil ergänzt: „Egal, was du Ende Januar entscheidest. Du hast die SPD in der Region an deiner Seite.“ Der Wink ist klar: Gabriel hat es selbst in der Hand. Er muss nur noch zugreifen.

Dem Umworbenen wird der Zuspruch in der Braunschweiger Stadthalle schon fast zu viel. „Macht’s nicht so tragend, wenn ihr mich einladet“, sagt Gabriel.

Es ist der gleiche Ort, an dem Gabriel im vergangenen April noch auf dem Landesparteitag der SPD durch harsche Verbal-Attacken gegen ein Juso-Mitglied aus Hannover die Stimmung trübte. Flip-Flop-Politik hatte der Juso seinem Bundeschef vorgeworfen, eine unstete Politik. Und die Frage, warum die SPD in Umfragen nur auf 21 Prozent komme, hatte der SPD-Junior dem Vizekanzler auch noch gestellt. Gabriel ließ sich bis aufs Blut reizen. „Such’ dir doch einen anderen SPD-Vorsitzenden“, blaffte er zurück.

Von Missstimmung ist am Samstag aber keine Spur. Dafür ist bei einem Neujahrsempfang kein Platz. Nun sagt Gabriel unter dem Beifall der etwa 400 Genossen: „Recht und Ordnung muss es nicht nur im Straßenverkehr geben, sondern auch am Arbeitsmarkt.“ Und weiter: „Innere Sicherheit ist ein soziales Bürgerrecht“. Nicht hängen lassen, sondern aufstehen und kämpfen, schreibt er ihnen für die kommenden Monate ins Parteibuch – auch mit Blick auf nach wie vor miserable Umfragewerte. „Wir leben in bewegten Zeiten“, sagt er. „Menschen haben das Gefühl, dass sie die Kontrolle über ihr Leben verlieren.“ Die SPD soll wieder die Richtung vorgeben. So stellt Gabriel sich das vor.

Immer wieder streut er kleine Anekdoten ein, verknüpft diese mit dem großen politischen Ganzen. Er redet 40 Minuten lang frei, die Hand zeitweise in der Hosentasche. Als „Beute-Wessi“ bezeichnet er sich. „Meine Frau kommt aus dem Osten.“ Wenn er Familienfeiern in der alten Heimat seiner Frau besuche, werde ihm manchmal ganz anders, sagt Gabriel. „Da sitze ich mit einem fünfzigjährigen Metallarbeiter zusammen an einem Tisch, der hart arbeitet und doch nur 1300 netto mit nach Hause bringt.“ Das dürfe nicht sein. „Dem kann ich nicht mit Überfliegerthemen kommen“, sagt Gabriel.

Von der erfolgreichen SPD in Braunschweig aber, da könne die Bundespartei noch viel lernen. „Ihr seid bodenständig. Ihr kümmert euch.“ Dem Volk aufs Maul zu schauen sei etwas anderes, als ihm nach dem Mund zu reden.

Verlässlichkeit nennt Gabriel zudem als wichtigen Punkt: „Gebrochene Wahlversprechen sind kleine Verbrechen an der Demokratie. Was die Leute nicht mögen, ist, wenn du erst dicke Backen machst und später nicht pusten kannst.“

In Braunschweig treten die Genossen geschlossen und selbstbewusst auf. „Die Ausgangslage für unsere Partei könnte besser sein“, sagt SPD-Bundestags-Fraktionsvize Carola Reimann mit Hinweis auf die schlechten Umfragewerte. Das müsse aber Ansporn sein.

Für die älteste Partei Deutschlands ist die Frage eines starken Kanzler-Kandidaten existenziell. Glaubwürdigkeit sei wichtiger denn je, sagt Reimanns Kollege Hubertus Heil. Die CDU und die FDP seien im Wahlkampf anders als die AfD Wettbewerber, keine Gegner. Auch Gabriel unterstützt diese Formel und bescheinigt der AfD Gemeinsamkeiten mit den Islamisten.

Gabriel kündigt an, die AfD hart attackieren zu wollen. In Braunschweig fängt er damit bereits an. Er meint die AfD-Anhänger, als er sagt, dass nicht die

15 Prozent „Schreihälse und Irren“ dieses Land bestimmten. „Es sind die 85 Prozent, die abends am Bett eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen oder sich in der Feuerwehr engagieren.“ Viele in der AfD würden zurück in die Zeit vor Willy Brandt wollen, einer Zeit, in der es an Liberalität gemangelt habe. „Manch einer in der AfD will auch zurück in die Zeit vor Adenauer.“

Dann setzt er eine Spitze gegen den baldigen US-Präsidenten Donald Trump – und hat die Lacher auf seiner Seite. Gabriel erklärt, er sei letztens in einem Naturhistorischen Museum gewesen. „Da gab’s Dinosaurier mit Riesenzähnen und ganz kleinem Kopp. Ich habe mir erzählen lassen, dass es diesen Saurier nur in Amerika gab.“ Da müsse man aufpassen, dass man dem nicht noch einmal begegnet.

Am Ende seiner Rede wird Gabriel noch einmal nachdenklich. Mit ruhiger Stimme erklärt er, dass es bei der Bundestagswahl auch um die Frage gehe, wie wir miteinander leben wollen. „Wir als SPD sind dafür, dass Menschen solidarisch sind, sich auf eine gemeinsame Zeit freuen statt erbittert gegeneinander um einen Kita-Platz oder einen Platz in der Tiefgarage zu kämpfen. Wir wollen eine freundliche Gesellschaft“, sagt Gabriel. Das Wahlprogramm hat Gabriel schon im Kopf. Nun muss er nur noch zugreifen.