Berlin. Seit dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt kommen immer neue Vorschläge zum besseren Schutz vor Anschlägen.

Der Terroranschlag von Berlin hat eine Debatte um staatliche Versäumnisse und einen besseren Schutz der Bürger entfacht. „Wir brauchen ein neues Anti-Terror-Paket“, sagte Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft, unserer Zeitung. Mehr Videoüberwachung, Ausbau der Vorratsdatenspeicherung, konsequentere Abschiebung, engerer Informationsaustausch zwischen den Bundesländern. In den Regierungsparteien CDU, CSU und SPD läuft die Diskussion auf Hochtouren. Welche der Forderungen sind sinnvoll und durchsetzbar?

„Gefährder“ länger in Abschiebehaft

Der Vorschlag: Bereits im Oktober brachte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) einen Gesetzentwurf mit dem Ziel ein, „Gefährder“ in Abschiebehaft zu nehmen. Die Union drängt auch darauf, darüber hinaus die Abschiebehaft von vier auf 14 Tage zu verlängern, wenn die Ausreisefrist für einen abgelehnten Asylbewerber abgelaufen und zu befürchten ist, dass er die Abschiebung vereiteln will. Im Herbst stieß de Maizière bei der SPD noch auf taube Ohren. Jetzt sagt SPD-Vizechef Ralf Stegner in der „Welt“, „wer die allgemeine Sicherheit gefährdet, darf nicht auf freiem Fuß unterwegs sein“. Bewegt sich was?

Die Bewertung: Vier Tage sind zu wenig. Eine längere Frist würde helfen. Es kann aber passieren, dass ein Gefährder auch nach 14 Tagen nicht abgeschoben werden kann, weil seine Nationalität ungeklärt ist oder – wie im Fall des Attentäters Anis Amri – das Herkunftsland die Ausweispapiere nicht ausgestellt hat. Einen Gefährder unbegrenzt festzuhalten, ist im Rechtsstaat unrealistisch. Der Begriff Gefährder ist abstrakt, wenig beweiskräftig. Und eine Abschiebehaft muss von einem Richter angeordnet werden.

Transitzonen und mehr sichere Herkunftsstaaten

Der Vorschlag: Die Vorstellung vor allem der CSU ist, Asylbewerber in Transitzonen festzuhalten, bis ihr Status geklärt ist. Wer seine Herkunft verschleiert, bliebe dort hängen. Seit einem Jahr kämpft die Union auch dafür, gerade Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, um die Verfahren zu beschleunigen.

Die Bewertung: Das hat Sinn. Erstens wäre es ein Anreiz, sich in den Transitzonen korrekt auszuweisen. Zweitens hätte sich der Staat in der Vergangenheit so manchen Gefährder auf Distanz halten können. Drittens würde es auch die Abschiebung erleichtern. Die Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten wird aber politisch blockiert. Ob die Grünen sich umstimmen lassen oder die SPD eine Kurskorrektur einleitet? Womöglich wird die Forderung zurückgestellt, sobald sich die erste Aufregung gelegt hat. Das Thema wird auf der Tagesordnung bleiben, erst im Wahlkampf, später bei Koalitionsverhandlungen.

Videoüberwachung stärken

Der Vorschlag: Die Union will die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen ausweiten. Das Bundeskabinett hat gerade erst die grundsätzlichen Grundlagen dafür geschaffen.

Die Bewertung: Kein Bundesland wird daran vorbeikommen, mehr Videokameras einzusetzen. Wer wie das Land Berlin zögert, kommt in Argumentationsnöte. Ob man Amri mit Videoüberwachung zuvorgekommen wäre? Eher nicht. Aber die Polizei wäre nach der Tat vielleicht früher auf seine Spur gekommen. Videoüberwachung hilft zumindest bei der Fahndung. Darauf zu verzichten, ist nicht erklärbar.

Fußfesseln für Gefährder

Der Vorschlag: Gefährder sollen nach einer Haftstrafe Fußfesseln tragen. Damit könne man die Polizei bei ihrer Observation entlasten und Bewegungsprofile in Echtzeit erstellen, meint die CDU.

Die Bewertung: Bisher ist die Fußfessel ein Instrument, um die Einhaltung von Auflagen zu überprüfen. Ein Extremist, der einen Anschlag verüben will, wird die Fußfessel ablegen, abtauchen, zuschlagen. Aber: Wenigstens wären die Behörden alarmiert und könnten den letzten Aufenthaltsort eines Täters ermitteln. Wäre einen Versuch wert. Man muss Erfahrungen sammeln.

Datenspeicherung ausweiten

Der Vorschlag: Ein Dauerproblem im Kampf gegen den Terrorismus ist die Kommunikation. Der Verfassungsschutz soll nach dem Vorschlag der CSU lückenlos überwachen, mit wem ein mutmaßlicher Extremist im Kontakt ist und was verabredet wird.

Die Bewertung: Eigentlich ist das Problem erkannt. Mit der Vorratsdatenspeicherung haben die Behörden die notwendigen Befugnisse. Ob eine längere Speicherfrist, wie von Wendt gefordert (sechs Monate statt zehn Wochen), vor Gericht Bestand hätte, ist fraglich. Der Punkt ist, dass die Befugnisse in der Praxis oft nichts nützen, weil die Anbieter vieler Plattformen im Ausland sitzen und nicht rechtlich verpflichtet sind, eine verschlüsselte Kommunikation offenzulegen. Deswegen geht de Maizière einen anderen Weg. Er baut mit „Zitis“ eine Zentralstelle mit 400 Mitarbeitern auf, um solche Gespräche abhören zu können. „Zitis“ hört nicht selber ab, sondern erarbeitet die notwendige Technik. Nur so können die Behörden ihre Befugnisse auch nutzen und in die verschlüsselte Kommunikation beispielsweise von Messengerdiensten wie zum Beispiel Whats-App eindringen. Was sie dürfen, das müssen die Sicherheitsbehörden auch können. Schnelle Erfolge sind allerdings nicht zu erwarten.

Mehr Befugnisse für den Verfassungsschutz

Der Vorschlag: Die CSU fordert, dass der Verfassungsschutz schon 14-Jährige beobachtet. Richtig ist, dass sich Heranwachsende schon im Kindesalter radikalisieren. In Ludwigshafen machte kurz vor Weihnachten der Fall eines Zwölfjährigen Schlagzeilen, der einen Bombenanschlag verüben wollte. Und in Hannover griff ein 15-jähriges Mädchen einen Polizisten an.

Die Bewertung: Die Forderung hat nicht mal für den Verfassungsschutz Priorität. Zum einen sind die Fallzahlen minimal. Zum anderen kann er schon heute bei einem begründeten Verdacht Informationen über 14- bis 16-Jährige sammeln.