Berlin. Außenminister Frank-Walter Steinmeier über seine Erwartungen an Russland – und an den gewählten US-Präsidenten Donald Trump.

Die Weltpolitik zu Gast in Deutschland: Am Donnerstag treffen sich in Hamburg die Außenminister der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Außenminister Frank-Walter Steinmeier erklärt im Interview mit Jochen Gaugele und Matthias Iken, was der Gipfel zur Lösung der großen Konflikte, etwa in der Ukraine, beitragen kann. Fragen nach seiner Zukunft als Staatsoberhaupt will er noch nicht beantworten.

Herr Steinmeier, in acht Wochen dürften Sie zum Bundespräsidenten gewählt werden. Wie sieht Ihre Abschiedstour als Außenminister aus?

Sie haben da offenbar ganz falsche Vorstellungen. Ein kurzer Blick auf die Weltkarte genügt, um zu sehen, dass für Atempausen und Abschiedszeremonien keine Zeit ist: Syrien, Ukraine, Irak, Libyen und Europa – die Liste der die deutsche Außenpolitik in Atem haltenden Krisen und Konflikte ist lang. All das erfordert unsere volle Kraft und meine volle Aufmerksamkeit. Mir bleibt gerade in diesen Tagen wenig Raum, um an künftige Aufgaben zu denken.

In Hamburg findet diese Woche das OSZE-Treffen mit mehr als 50 Außenministern statt. Eignet sich dieses Forum, um große Konflikte zu lösen?

Der Frieden in Europa ist erstmals seit einer ganzen Generation wieder gefährdet. Die OSZE ist die einzige gesamteuropäische Organisation, in der alle Staaten aus Ost und West plus die USA und Kanada vereint sind und zusammenkommen können, um Fragen der europäischen Friedensordnung und Sicherheitsarchitektur zu besprechen. Auch in Zeiten von Internet und Videokonferenzen lassen sich die großen Herausforderungen und Konflikte nur besprechen und überwinden, wenn tatsächlich alle gemeinsam miteinander am Tisch sitzen und reden.

Worauf kommt es jetzt an, um den Ukraine-Konflikt zu befrieden?

Der Stand der Umsetzung der Minsker Abkommen ist alles andere als zufriedenstellend. Wir haben in den letzten Monaten viel Stillstand erlebt. Der Waffenstillstand wird immer noch täglich verletzt, auch in den großen politischen Fragen sind wir nicht weitergekommen. Die Konfliktparteien graben sich sprichwörtlich in ihren Schützengräben ein. Mein französischer Amtskollege Jean-Marc Ayrault und ich haben uns deshalb am vergangenen Dienstag mit den Außenministern Russlands und der Ukraine in Minsk getroffen und wieder nach Wegen gesucht, wie wir den Stillstand überwinden können. Immerhin: Die Konfliktparteien wollen dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz Zugang zu den politischen Gefangenen gewähren, um einen Gefangenenaustausch vorzubereiten. Ich hoffe, dass ein Gefangenenaustausch noch vor Weihnachten gelingt. Das wäre mehr als ein Lichtblick.

Immer wieder gibt es Forderungen, die Russland-Sanktionen zu lockern. Würde das helfen?

Russland kennt unsere Position: Sanktionen sind kein Selbstzweck. Wenn signifikante Schritte bei der Umsetzung des Minsker Abkommens erreicht sind, kann über eine Anpassung auf der Sanktionsseite nachgedacht werden. Ich würde mir das wünschen, aber an dem Punkt sind wir noch nicht – das hat unser letztes Treffen in Minsk leider belegt.

Die Welt rätselt, was vom nächsten US-Präsidenten Donald Trump zu erwarten ist. Sind Sie inzwischen schlauer als vor der Wahl in Amerika?

Wir bemühen uns, Hinweise zu finden auf die Richtung der künftigen amerikanischen Außenpolitik. Aber solange die Regierungsbildung nicht abgeschlossen ist, bleibt vieles Spekulation. Wir müssen uns aber darauf einstellen, dass sich die amerikanische Außenpolitik verändern wird. Korrekturen in der amerikanischen Handelspolitik sind ja jetzt schon erkennbar. Der angekündigte Ausstieg der USA aus dem Transpazifischen Freihandelsabkommen TPP macht einen außenpolitischen Fokus der Amerikaner auf China noch dringlicher. Ich hoffe, dass die künftige amerikanische Administration, wie alle ihre Vorgänger, das transatlantische Verhältnis wertschätzt – nicht nur zu Deutschland, sondern zu Europa insgesamt. Die Beziehungen zwischen Europa und Amerika sind das Fundament des Westens. Sie müssen von beiden Seiten gepflegt werden.

Wie groß ist die Gefahr, dass Amerika als Schutzmacht der Europäer ausfällt?

Ich gehe jedenfalls nicht davon aus, dass es zu einem von manchen befürchteten Rückzug der USA aus der Nato kommt. Aber klar ist: Die Amerikaner werden ihre Forderung, dass sich die Europäer stärker an der Gewährleistung der eigenen Sicherheit beteiligen, sicher noch deutlicher formulieren.