Braunschweig. Beim Leserforum zum Staatstheater verteidigt Intendant Klement herausfordernde Inszenierungen – und die Vielfalt seines Hauses.

Unser Leser Klaus-Dieter Haase fragte im Leser-Forum:

Viele Inszenierungen arbeiten heute mit Entzauberung. Muss das so sein, und muss es schon beim Weihnachtsmärchen beginnen?

Die Antwort recherchierte Florian Arnold

Die Ursprünge des Braunschweiger Staatstheaters gehen bis ins Jahr 1690 zurück. Und noch immer bewegt es viele Menschen in der Region. Zahlreiche Leserbriefe erreichten unsere Zeitung, nachdem wir zu Beginn dieser Spielzeit eine Neu-Einrichtung des Schiller-Klassikers „Die Räuber“ scharf kritisiert und über mangelnden Zuschauerzuspruch zum ambitioniert inszenierten Opernhit „Tosca“ berichtet hatten. Aktuell sorgt das Weihnachtsmärchen „Das Dschungel- buch“ für geteilte Meinungen unter den Zuschauern.

In einem Leserforum im BZV-Medienhaus stellten sich Staatstheater-Generalintendant Joachim Klement und Operndirektor Philipp Kochheim am Mittwochabend den Fragen unserer Kulturredakteure Martin Jasper und Andreas Berger – und der mehr als 120 Besucher.

Ob sich die Tendenz zum Illusionsbruch bis aufs Weihnachtsmärchen erstrecken müsse, wollte etwa Leser Klaus-Dieter Haase wissen. „Traut das Schauspiel dem Dramatischen nicht mehr?“, schloss sich Jasper an.

„Das Theater ist eine Kunstform, die schon immer auf sich ändernde Lebensumstände reagiert hat“, antwortete Klement. Viele Menschen hätten derzeit ein gestörtes Verhältnis zu jeder Form von Repräsentanz, auch zur repräsentativen Demokratie. Theatermacher setzten sich auch formal mit solchen Fragen auseinander, wie zuletzt das Regie-Festival „Fast Forward“ gezeigt habe.

„Braunschweig ist eine Großstadt. Ich sehe es als eine Verpflichtung, dem Publikum auch aktuelle Spielformen vorzustellen“, sagte Klement. Doch das sei nur ein Teil eines Gesamtangebotes, das sich durch Vielfalt auszeichnen solle. „Den überwiegenden Teil dessen, was wir hier zeigen, würde man andernorts wohl als konventionell bezeichnen.“

Auch Operndirektor Kochheim betonte, dass sein Ansatz, „Opern in ästhetisch klaren Räumen mit einer filmischen Ästhetik als große Geschichten zu erzählen“, in der Szene eher als konservativ gelten würde. Wenn er aber sorgfältig ausgewählte Gastregisseure ans Haus hole, lasse er ihnen freie Hand. „Ich will ja nicht nur Kochheim-Epigonen“. Wie die Inszenierungen dann ausfallen, erfahre auch er erst kurz vor der Premiere.

Ob ihn die teils brüske Ablehnung der „Tosca“ erstaunt habe?, wollte Jasper wissen. Zum einen gebe es auch viel Beifall für die Arbeit von Roland Schwab, einem sehr namhaften Regisseur, sagte Kochheim. Zum anderen habe „Tosca“ auch bei der Uraufführung Skandal gemacht. „Es ist doch schön, wenn eine hinlänglich bekannte Oper immer noch so eine Wirkungsmacht entfaltet.“

Klement betonte, es gehe ja keinesfalls darum, gegen das Publikum anzuspielen. Theater-Stammgast Günter Tresp aus Wolfenbüttel kritisierte aber, der Spielplan sei nicht mehr ausgewogen, sondern modernistische Handschriften herrschten vor. Das sah Klement anders.

„Wir befragen regelmäßig unser Publikum, auch bei Familienstücken wie dem ,Dschungelbuch’“, erklärte er. Der Ansatz der Inszenierung sei, dass die Schauspieler das Stück zunächst so spielen, wie es Kinder tun würden. Das Team habe nach der Premiere daran gearbeitet, ihn noch plausibler zu machen. Das Stück sei jetzt 15 Minuten kürzer. „Unser Eindruck ist, dass es den Kindern leichter fällt, sich darauf einzulassen, als den Erwachsenen.“

Gleichwohl sei die Handschrift vieler Inszenierungen, namentlich auch der „Räuber“, abstrakt, kühl, bewusst desillusionierend bemerkte unser Redakteur Andreas Berger. „Und das in Zeiten, in denen vor allem die Unterhaltungs- und Eventkultur floriert. Müsste das Theater da nicht auch leidenschaftlicher, theatraler, zauberkistenhafter agieren?“

Klement wies auch das zurück: Das Justizdrama „Terror“ etwa sei ein Renner, obwohl es ohne große Theatralik auskomme. Weil das Stück aktuell sei, relevant und das Publikum einbeziehe. „Wir haben am Haus nicht die Losung ausgegeben, möglichst reduziert und blutarm zu spielen“, pointierte Klement.

Ihm bleibe rätselhaft, warum in Braunschweig Mundpropaganda so schlecht funktioniere, merkte Kochheim an. Bei der unbekannten Oper „Andrea Chénier“ beispielsweise habe er fest mit wachsendem Zuspruch gerechnet. „Jede Aufführung wurde bejubelt – trotzdem wurde das Haus nicht voller. Sprechen die Menschen hier nicht mit ihren Nachbarn?“

Besucher Henrich Wilckens sah auch eine Mitverantwortung unserer Zeitung, wenn Inszenierungen floppten. „Die Presse hat auch eine Mittlerrolle. Mich interessiert, was im Theater objektiv stattfindet, und nicht so sehr die Meinung einzelner Redakteure.“

Nun hielt Ressortleiter Jasper dagegen: „Kritiker haben nicht die Wahrheit gepachtet, aber sie eröffnen eine Perspektive auf eine Aufführung. Das ist doch das Spannende. Wir sehen uns als Diskussionsanimateure.“ Beim Leserforum am Mittwoch funktionierte das anderthalb Stunden lang gut.