Wolfsburg. Durch die Internationalisierung können Unternehmen wie VW unabhängiger werden von den Entwicklungen auf einzelnen Märkten.

Unser Leser Günter Strehle fragt auf unseren Facebookseiten:

Soll der Staat verbieten, in Polen ein Werk zu bauen?

Die Antwort recherchierte Andreas Schweiger

Die Entscheidung von Volkswagen, in Polen eine Fabrik für die Produktion des Großtransporters Crafter zu bauen, hat Kritik bei einigen unserer Leser ausgelöst. Sie hätten es lieber gesehen, wenn die 3000 Arbeitsplätze nicht in Polen, sondern in Deutschland geschaffen worden wären.

Und einige sind verwundert, dass das Land Niedersachsen als Großaktionär mit zwei Sitzen im VW-Aufsichtsrat nicht eingeschritten ist, um den Bau der Fabrik in Polen zu verhindern. Die Frage unseres Lesers ist daher eine Reaktion auf die Forderungen anderer Leser.

Sollte der Staat also tatsächlich die Internationalisierung eines Unternehmens unterbinden? Ganz unabhängig von dem Aspekt, ob sich das Land im Aufsichtsrat hätte durchsetzen können, bleibt die Frage: Wäre das richtig gewesen? Die Konsequenz wäre dann eine staatlich gelenkte Wirtschaft. Und die ist – wie die Geschichte lehrt – weder wettbewerbsfähig noch macht sie die meisten Menschen glücklicher.

In Deutschland gibt es einen Mittelweg zwischen staatlich gelenkter und völlig freier Wirtschaft, die soziale Marktwirtschaft. Sie gewährleistet einerseits freies Unternehmertum und sorgt andererseits über tarif-, wirtschafts- und sozialpolitische Instrumente für soziale Leitplanken und einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und -nehmern. Auf Grundlage dieses Systems ist Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer weltweit führenden Wirtschaftsnation aufgestiegen.

Zum freien Unternehmertum gehört, Standortentscheidungen nach strategischen und wirtschaftlichen Aspekten zu treffen. Die Ansiedlung eines Standorts im Ausland kann zum Beispiel Sinn machen, um hohe Einfuhrzölle zu umgehen. Außerdem kann der Markt meist am besten eingeschätzt werden, wenn die Entscheider vor Ort sitzen – etwa wenn es um die Modellpolitik geht. Nicht zuletzt kann sich die Beliebtheit einer Marke bei den Kunden erhöhen, wenn sie ihre Produkte in dem Absatzgebiet herstellt.

Und natürlich spielen auch Kosten eine Rolle. Bleiben wir beim Beispiel der neuen Fabrik: So liegen die Arbeitskosten in Polen weit unter denen in Deutschland. Zu den Arbeitskosten gehören nicht nur die Löhne, sondern zum Beispiel auch die Sozialversicherungsbeiträge.

Wie aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervorgeht, betrugen die Arbeitskosten im verarbeitenden Gewerbe in Deutschland im vergangenen Jahr 38 Euro je Stunde. Im Polen lagen sie dagegen lediglich bei 7,70 Euro.

Unternehmen wie der Volkswagen-Konzern verkaufen ihre Produkte nicht nur auf ihrem Heimatmarkt, sondern in vielen Ländern oder sogar weltweit. Und längst nicht überall ist der Lebensstandard samt Löhnen so hoch wie in Deutschland oder anderen Industrieländern.

Würden diese Unternehmen ausschließlich in Deutschland produzieren, wären ihre Produkte wegen des hohen Preises, der verlangt werden müsste, in vielen Ländern nicht wettbewerbsfähig. Auch deshalb ist es wirtschaftlich sinnvoll, die Fertigung über verschiedene Länder zu streuen.

Und mehr noch: Das Geld, das mit den ausländischen Standorten verdient wird, hilft, Arbeitsplätze in Deutschland zu sichern. Ein Beispiel: Als Folge der Finanzkrise 2008 ist der europäische Automarkt zusammengebrochen. Autobauer, die auf Europa konzentriert waren, mussten staatlich gestützt werden, zum Beispiel in Frankreich. Nicht so der Volkswagen-Konzern.

Die Wolfsburger profitierten neben der Abwrackprämie vor allem von ihrer damals schon starken Position in China, wo die Finanzkrise kaum eine Rolle spielte. Durch das dort bestens laufende Auto-Geschäft konnte die Krise in Europa mehr als ausgeglichen werden. Die gezielte Internationalisierung eines Unternehmens kann also helfen, wirtschaftliche Risiken zu verkleinern.