Berlin. Garweg, Staub und Klette sind seit langem untergetaucht. Offenbar griffen sie mehrere Geldtransporte an.

Unser Leser Wolf Thomas meint auf unseren Facebook-Seiten:

So finanziert die Antifa (ehemals RAF) also ihre terroristischen Aktivitäten. Ein Armutszeugnis für unsere Geheimdienste!

Die Antwort recherchierte Von Christian Unger

Die Kugeln bleiben im Reifen, im Blech der Tür und in der Scheibe des gepanzerten Geldtransporters stecken. Nur Splitter dringen durch. Der Überfall scheitert, die drei Täter springen in einen silbernen Ford Focus und fliehen. Alles geht sehr schnell an diesem 6. Juni 2015 auf dem Parkplatz eines Supermarktes in der Nähe von Bremen. Die Täter sind bis heute nicht gefasst.

Dennoch haben die Ermittler nun eine neue Spur. Und die führt zurück in eines der blutigsten Kapitel der Geschichte der Bundesrepublik und natürlich auch zu der kritischen Frage unseres Lesers. Es geht um die Rote Armee Fraktion, RAF. Allein 34 Morde gehen auf das Konto der Terrorgruppe.

Die Beamten konnten in den vergangenen Monaten Spuren am Tatort sichern, die DNA ist den Ermittlern bekannt. Sie stammt von Daniela Klette, Ernst-Volker Wilhelm Staub und Burkhard Garweg, Ex-Schlüsselfiguren der RAF. Sie sind bis heute abgetaucht. Schon seit Jahren bleiben sie unentdeckt von den deutschen Sicherheitsbehörden.

Was genau passiert am 6. Juni?

Die Täter sind maskiert, tragen Tarnanzüge, sind schwer bewaffnet – mit Schnellfeuerwaffen der Marke Kalaschnikow und einer Panzerfaust. Mit einem VW-Kleinbus schneiden sie dem Geldtransporter auf dem Parkplatz des Supermarktes in dem niedersächsischen Ort Stuhr den Weg ab. Dann fallen die Schüsse. Doch der Schutz des Transporters hält, die beiden Insassen bleiben unverletzt. Und den Tätern fehlt die Zeit. Sie fliehen – ohne die eine Million Euro Beute. Überwachungskameras filmen den Überfall, Ermittler finden das Fluchtauto in einem Wald in der Nähe.

Was wissen wir über die Täter?

Niemand weiß, wie die Täter heute aussehen. Die drei Ex-RAF-Mitglieder sind seit Jahren untergetaucht. Klette, Staub und Garweg sind heute alle Ende 50. Nun führt eine DNA-Spur vom Tatort am Supermarkt zu dem Trio. Die Beamten verglichen die Spuren mit denen eines anderen Überfalls 1991 in Duisburg. Auch damals griffen die Täter mit schweren Waffen an, erbeuteten mehr als eine Million Mark. Jetzt ist klar, das Trio beutet offenbar weiter.

Die ermittelnde Staatsanwaltschaft Verden geht davon aus, dass die drei Täter auch für einen Überfall auf einen Geldtransporter im Dezember 2015 in Wolfsburg verantwortlich sind (siehe unten). Seit Anfang der 1990er ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen die drei. Sie sollen Mitglieder der „dritten Generation“ der RAF sein. Im März 1993 verübten sie gemeinsam mit weiteren Mitgliedern, darunter Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams, als Kommando „Katharina Hammerschmidt“ einen Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt in Hessen. Fünf Bomben gingen hoch, 200 Kilo Sprengstoff. Niemand wurde verletzt. Die Täter nahmen die Beamten zuvor als Geiseln, brachten sie in Sicherheit.

Die „dritte RAF-Generation“ hatte sich 1984 im Untergrund formiert, doch von ihren 22 bekannten Taten bis 1993 konnte die Justiz nur zwei aufklären: Den Mord und den Mordversuch von Grams in Bad Kleinen. Klette soll zudem bei zwei weiteren Anschlägen dabei gewesen sein: 1990 auf die Deutsche Bank in Eschborn; und 1991 bei einem Angriff auf die US-Botschaft in Bad Godesberg. Seit 1975 war Klette in linksextremistischen Gruppen aktiv. Sie ging 1989 in den Untergrund, wenige Tage nach dem Attentat auf den Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen. Der Mord geht auf das Konto unbekannter Täter aus der RAF.

Entsteht ein neuer RAF-Terror?

Verfassungsschützer und Staatsanwaltschaften sehen auf Nachfrage dieser Zeitung derzeit nicht die Gefahr von Terroranschlägen durch das Trio oder andere frühere RAF-Mitglieder. Viele von damals haben sich von den Taten distanziert. Früher vor Anschlägen gab es eine Beschaffungsphase. Die RAF überfiel Banken, mietete Wohnungen an, beschaffte sich Autos. Jetzt geht es laut Experten den drei Tätern darum, ihren Lebensstil im Untergrund zu sichern – und nicht um die Vorbereitung eines Anschlags. Deshalb ermittelt zu den Überfällen nun auch die Staatsanwaltschaft Verden – und nicht der Generalbundesanwalt. Sie wirft den Dreien versuchten Mord und versuchten Raub vor. Der Sicherheitsberater und frühere Kriminalpolizist Wolfgang Petri warnt allerdings: „Es geht nicht nur um die reine Geldversorgung. Die alte Idee lebt fort.“

Was ist von der RAF noch übrig?

Mehr als zwei Jahrzehnte lang war die RAF der Inbegriff von Terror und Mord. 1998 erklärte sie sich für aufgelöst. Noch immer sind mehrere Morde der RAF nicht aufgeklärt, die Täter unbekannt. Einige der Terroristen hatten sich abgesetzt, etwa in die DDR. Heute leben mehrere frühere RAF-Mitglieder nach Ende ihrer Haft und unter neuer Identität frei in Deutschland oder dem Ausland. Dennoch laufen Fahndungen der Behörden weiter, da Mord als Straftat nicht verjährt.

Doch gehen kaum neue Hinweise ein, Verfahren liegen auf Eis. Öffentlich fahndet das Bundeskriminalamt nur noch nach Klette, Staub und Garweg. Laut Sicherheitsbehörden spielt die RAF auch für die heutige linksextreme Szene so gut wie keine Rolle mehr. Und doch bleibt links motivierte Gewalt auf der Agenda der Behörden. Im November 2015 meldete sich eine anonyme Gruppe in Thüringen per Brief und kündigte insgesamt 40 Morde an Richtern, Staatsanwälten, Polizisten und Politikern an. Sie nennt sich „RAF 4.0“.

In Thüringen erhöhten Behörden daraufhin an Gebäuden die Sicherheitsvorkehrungen. Und doch schätzt man intern die Bedrohung nach Informationen dieser Zeitung als wenig konkret ein. Die Ermittlungen laufen.