Hildesheim. Die Hildesheimer Nordstadt ist wiederholt Schauplatz einer Salafisten-Razzia geworden. Nun wurde ein umstrittener Moscheeverein verboten.

Die Hildesheimer Nordstadt hat seit langem einen speziellen Ruf. Von einem „islamistischen Hotspot“ ist dann schnell die Rede. Radikale Islamisten aus ganz Norddeutschland – aus Bremen, Wolfsburg oder auch Göttingen – sollen hier in den Moscheeräumen an der Martin-Luther-Straße zusammenkommen. Und zwar nicht nur um zu beten, wie das gestern verhängte Verbot des Vereins Deutschsprachiger Islamkreis (DIK) durch Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius vermuten lässt. Mehr als 400 Polizeikräfte waren am Dienstagmorgen seit 6 Uhr im Einsatz. Sie durchsuchten nicht nur die Moscheeräume, sondern auch anliegende Wohnungen von führenden Vertretern des DIK.

„Ich bin froh, dass das jetzt erstmal vorbei ist“, sagt eine junge Mutter, die zusammen mit ihrer Freundin ihren Kinderwagen auf der gegenüberliegenden Seite der umstrittenen Religionsgemeinschaft auf dem Fußweg geparkt hat. „Ich habe mich hier abends nicht mehr hingetraut“, sagt sie. Ihre Freundin nickt. Beide wollen ihren Namen lieber nicht in der Zeitung lesen. „Wir wohnen ganz in der Nähe“, sagt die eine zur Begründung. „Unsere Kinder gehen hier in den Kindergarten“, ergänzt die andere.

Auch Susanne K. ist Mutter. Drei Kinder hat sie. Soeben will sie noch schnell bei der Sparkasse neben der abgeriegelten Moschee Geld abheben. „Das hätten sie schon im Sommer machen sollen“, ruft sie einer älteren Frau mit Rollator zu, die die Vorhalle der Bank betritt. Gemeint ist: Schon Ende Juli 2016 hatte ein Großaufgebot der Polizei die Räume des DIK durchsucht. „Ich habe nichts gegen Muslime oder die Menschen“, sagt sie. „Solange die meine Kinder in Ruhe lassen, sonst werde ich zur Furie.“

Etwa fünf Stunden sperrt die Polizei den Ort ab, der Autoverkehr wird umgeleitet. Auch die große Frontscheibe geht bei der Razzia zu Bruch. Um 12 Uhr mittags ist sie durch den örtlichen Glaser ersetzt. Allerdings ohne die islamischen Motive, die in hellgrüner Farbe zuvor den Einblick in den Raum verwehrt hatten. Hinter der Scheibe sieht man nun Teppiche und große Kissen. Briefkasten und Eingangstür sind mit einem Siegel der Zentralen Kriminalinspektion Göttingen versehen. „Ablösen oder Beschädigen wird strafrechtlich verfolgt.“

„Etwas übertrieben“ findet Frank Auracher den Einsatz. „Dieses martialische Auftreten soll Sicherheit vermitteln. Es kann aber auch genau das Gegenteil bewirken.“ Gefühlt liegen zwischen Integrationshilfe und Integrationsverweigerung in der Hildesheimer Nordstadt nur 100 Meter – oder eine Straßenecke. Auracher leitet im Auftrag der Lebenshilfe das Stadtteilbüro „5 Grad Nord“. „Ich leiste Arbeit für das Gemeinwesen“, beschreibt er seine Tätigkeit. Dazu gehöre natürlich auch das Thema Integration. So bietet er neben Sprachkursen beispielsweise ein „Frauenfrühstück“ an, das dazu diene, auch mit den vielen Frauen muslimischen Glaubens in dem Viertel ins Gespräch zu kommen. Ein paar Mitglieder des jetzt verbotenen Vereins kenne er. „Es gab da lose Kontakte. Nach der ersten Razzia haben wir den Kontakt sofort abgebrochen“, sagt Auracher.

Er beschreibt, wie seit dem Jahr 2011 eine Veränderung in der muslimischen Gemeinschaft in diesem Viertel auch für Außenstehende offensichtlich wurde. „Die Mitglieder, die dann den DIK gründeten, waren zuvor in einer anderen Moschee. Da unten“, sagt er und zeigt die Straße Hochkamp hinunter. Ein paar hundert Meter weiter liegt die „Ayasofoa Moschee“. Dort in der Leunisstraße ist der „Islamische Verein in Hildesheim und Umgebung“ zu Hause. Hinweisen von Passanten, bei der ersten Razzia vor Monaten sei auch diese Moschee ins Visier der Ermittler geraten, widerspricht Auracher entschieden. „Das stimmt so nicht. Das sind falsche Informationen.“

In dem Viertel habe durchaus eine gewisse Form der Skepsis geherrscht, als man nach einiger Zeit bemerkt habe, welche Auslegung des Islam hier gepredigt würde, sagt Auracher. „Offiziell ging es ja immer nur um den Glauben. Heute ist klar, warum die Mitglieder den Islamkreis gegründet haben.“ Rückblickend könne man den Umgang mit dem DIK als ein „wenig naiv“ bezeichnen.

Als eine Folge der Debatte um die wachsende salafistische Szene in Hildesheim will die Stadt laut Auracher mit mehr Personal reagieren. Für die Nordstadt soll eine weitere Stelle geschaffen werden, die sich vor Ort mit Extremismus-prävention beschäftigt. „Auch wenn der Verein jetzt verboten ist, die Menschen sind immer noch hier und brauchen im Zweifel auch eine Anlaufstelle außerhalb der Moscheegemeinschaft“, sagt Auracher.

Seine Einrichtung arbeitet zusammen mit anderen öffentlichen Trägern an einem „Aktionsplan Nordstadt“. Er soll nach den Vorstellungen der Stadt im Jahr 2022 umgesetzt sein.

Der Optimismus, den Projektleiter Auracher durchaus noch versprüht, ist dem Inhaber der Rosen-Apotheke längst abhanden gekommen. Die Razzia in der Moschee hat Klaus Urso eher beiläufig mitbekommen. „War ja alles gesperrt.“ Sonderlich elektrisiert scheint das Ereignis den Apotheker nicht zu haben. „Wir haben hier einen Anteil von 30 Prozent Türken. Die meisten sind freundlich und nett, wenn man sie dann trifft. Aber, was soll man schon erwarten, wenn man sieht, in welche ultra-reaktionäre Richtung das Land unter diesem Präsidenten steuert?“ Das hänge doch alles irgendwie zusammen, meint Urso.