Braunschweig. Mit erweiterter Gefährderhaft und Fußfessel-Androhung will die Bundesregierung den Staat wehrhafter machen. Das kommt gut an.

Unsere Leserin Annette Behrens aus Winnigstedt fragt:

Abgesehen von Fußfesseln: Welche anderen Möglichkeiten sehen Experten sonst noch, um die Gefährder effizient zu überwachen?

Die Antwort recherchierte Andre Dolle

Der wehrhafte Rechtsstaat als Antwort auf den Terror: Mit einem umfangreichen Sicherheitskatalog wollen die Minister Thomas de Maizière (CDU) und Heiko Maas (SPD) klare Kante gegen islamistische Gefährder zeigen. Innerhalb weniger Wochen sei das Paket umsetzbar, sagen beide unisono.

Das Signal, das de Maizière und Maas aussenden, ist eindeutig: Der Druck auf islamistische Gefährder soll in Deutschland kurzfristig und massiv anwachsen. Gut drei Wochen nach dem Berliner Anschlag mit zwölf Toten haben die beiden Bundesminister geliefert. Die verunsicherte Bevölkerung soll beruhigt werden.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) ist grundsätzlich zufrieden mit dem Sicherheitspaket, wie er unserer Zeitung sagte. Er äußerte aber Bedenken zur Überwachung per elektronischer Fußfessel. Sein Sprecher erklärte, dass der Einsatz von Fußfesseln bei islamistischen Gefährdern rechtlich erst genau geprüft werden müsste.

Der Verfassungsrechtler Michael Bertrams hält den Ruf nach elektronischen Fußfesseln für Gefährder sogar für aussichtslos. Die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung verbiete eine solche Maßnahme, schrieb Bertrams in einem Beitrag für den „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Solche Fußfesseln können nach dem Strafgesetzbuch lediglich bei verurteilten Straftätern für gewisse Zeit angeordnet werden, nicht aber bei Personen, die weder verurteilt noch einer konkreten Straftat verdächtig sind“, schreibt Bertrams, der Ex-Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen. Genau dies sei bei Gefährdern der Fall.

Solche Bedenken lässt Angelika Jahns, Innenexpertin der CDU-Landtagsfraktion in Niedersachsen, gar nicht erst gelten. „Dann müssen wir die Gesetze eben ändern“, sagte sie.

Auch Dietmar Schilff, Landeschef und stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, fordert mit Blick auf die Fußfesseln Rechtssicherheit ein. „Ich begrüße die Fußfesseln – wie das gesamte vorgelegte Sicherheitspaket –, sie sind aber kein Allheilmittel.“

Auch die verschärften Wohnsitzauflagen für Asylbewerber, die die Behörden über ihre Identität täuschen, begrüßt Schilff. Das gilt ebenso für die erleichterte Abschiebehaft. „Der Verdacht einer Terrorgefahr muss natürlich gewichtig sein“, sagte der Gewerkschafter.

Einen unverhältnismäßigen Eingriff in Freiheitsrechte erkennen Schilff und auch CDU-Innenexpertin Jahns nicht. „Wir wollen keinen Polizeistaat. Wir haben spätestens seit Berlin aber eine andere Sicherheitslage. Darauf muss der Staat reagieren“, so Schilff. Und Jahns sagte: „Die Grundrechte des Einzelnen sind hoch zu bewerten. Wenn es aber um den Schutz der Allgemeinheit geht, steht das Recht des Einzelnen an zweiter Stelle.“

Unterdessen beschäftigen sich die Behörden und Parlamente intensiv mit dem Fall Anis Amri. Der Tunesier tötete im Dezember zwölf Menschen in Berlin – dabei galt er als Gefährder und sollte längst abgeschoben sein. Die niedersächsische Landesregierung hat am Dienstag den Verfassungsschutz-Ausschuss des Landtages zum Fall Amri ins Bild gesetzt. Amri pflegte Kontakte zur Islamisten-Szene in Hildesheim.

Die Opposition erhob im Anschluss an die nicht-öffentliche Sitzung schwere Vorwürfe gegen die rot-grüne Landesregierung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Jens Nacke, zeigte sich „entsetzt“: „Ich habe den Eindruck, dass die nordrhein-westfälischen Sicherheitsbehörden besser über die niedersächsische Islamistenszene Bescheid wissen als das hannoversche Innenministerium. Man hat sich seitens der Landesregierung im Fall des Berlin-Attentäters offenbar völlig auf die Dienste der Nachbarländer und des Bundes verlassen, obwohl Hildesheim als europäischer Hotspot islamistischer Terroristen gilt, der auch von Amri häufiger besucht wurde.“ Amri hatte offenbar Verbindungen zum Hassprediger und mutmaßlichen IS-Kontaktmann Abu Walaa in Hildesheim. In Niedersachsen soll Amri auch für einen Kampfeinsatz für den IS in Syrien trainiert haben.

Nacke: „Dass sich ein als Gefährder eingestufter Islamist unbehelligt in Niedersachsen bewegen kann, liegt auch daran, dass sich die Landesregierung immer noch weigert, Moscheen genauer beobachten zu lassen, die offensichtlich zu Radikalisierungszwecken missbraucht werden. Ganz offensichtlich hat der Innenminister den DIK Hildesheim und dessen Bedeutung für die Islamistenszene unterschätzt.“ Nacke forderte Innenminister Pistorius auf, radikale Moschee-Vereine und deren Mitglieder konsequent zu überwachen.

Auch die FDP fand deutliche Worte. Stefan Birkner, Obmann des Verfassungsschutz-Ausschusses, sagte nach der gestrigen Sitzung: „Die Unterrichtung hat ergeben, dass die Methoden des Verfassungsschutzes offenbar im RAF-Zeitalter stehen geblieben sind. In anderen Bundesländern bekannte Gefährder können in Niedersachsen angeblich nicht identifiziert werden, weil das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz einen automatisierten Abgleich von deren Bildern mit dem Bildmaterial aus Observationen nicht zulässt. Gefährder werden hier also nur nach dem Prinzip Zufall erkannt – das kann nicht der Status quo in Sachen Sicherheit sein.“