Berlin. Senioren sind nicht zu Gesundheits-Checks verpflichtet. Ärzte appellieren an die Eigenverantwortung.

Die Augen sind nicht mehr die besten, die Hör- und Konzentrationsfähigkeit lässt nach – nur einige Gründe, warum über Senioren am Steuer gestritten wird. „Viele Fähigkeiten im Laufe des Lebens ändern sich, die für das sichere Fahren wichtig sind. Das ist aber nicht an ein bestimmtes Lebensjahr gebunden. Eine freiwillige Untersuchung der Fahrtauglichkeit ist daher für Kraftfahrer und Kraftfahrerinnen aller Generationen sinnvoll“, sagt Dr. Johanna Hambach, Vorsitzende der Landesseniorenvertretung Berlin.

Laut Fahrerlaubnisverordnung der Deutschen Verkehrswacht darf jemand mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen nur am Verkehr teilnehmen, wenn andere nicht gefährdet werden. Dr. Clemens Flamm, Augenarzt in Hamburg, und Dr. Michael Lorrain, Neurologe in Düsseldorf, erklären, ab wann sich Autofahrer fragen sollten, ob sie noch sicher unterwegs sind.

Wann sollten Autofahrer ihr Fahrverhalten infrage stellen?

Lenken, bremsen, blinken, den Verkehr im Blick halten – ein Auto zu fahren, ist ein komplexer Vorgang. „Man kann ihn schwerlich bewältigen, wenn die Sinneswahrnehmungen beeinträchtigt sind. Das heißt, wenn man nicht mehr gut hört, Schwierigkeiten hat, sich zu orientieren oder links und rechts zu unterscheiden“, sagt Dr. Lorrain. „Gut messbare Kriterien sind Probleme beim Sehen“, ergänzt Augenarzt Dr. Flamm.

Dabei müsse eine Sehkraft von mindestens 50 Prozent mit der besten Korrektur nachgewiesen werden. Allgemein darf das Gesichtsfeld nicht durch Krankheiten wie den Grünen Star eingeschränkt sein. „Wer nur in einem kleinen Ausschnitt scharf sieht, nimmt beim Blick über die Schulter keine herannahenden Autos wahr“, erklärt Dr. Flamm.

Können Krankheiten kritische Verkehrssituationen verursachen?

„Ja, es ist nicht selten, dass sich Erkrankungen während der Fahrt an bestimmten Symptomen zeigen“, sagt Neurologe Michael Lorrain. Das gelte zum Beispiel für erhöhten Blutdruck: „Da kann es sein, dass das Herz rast oder stolpert, wenn man sich auf der Autobahn von einem drängelnden Hintermann unter Druck gesetzt fühlt.“ Findet sich jemand plötzlich auf eigentlich altbekannten Straßen nicht mehr zurecht, sind das möglicherweise die Warnzeichen einer beginnenden Demenz.

Wann sollte man zum Arzt gehen?

Wer Herzrasen oder -stolpern, oft begleitet von Kopfschmerzen oder Flimmern vor den Augen, bei einer Drängelsituation im Verkehr bemerkt, sollte seinen Blutdruck durch ein EKG überprüfen oder die Einstellung seiner Medikamente checken lassen. Lorrain empfiehlt, Hemmungen zu überwinden und bei gesundheitlichen Problemen auch im Hinblick auf die Fahrtüchtigkeit mit dem Hausarzt zu sprechen.

Bedeuten diese Beschwerden das Aus für den Führerschein?

Nein, denn jeder Patient muss einzeln betrachtet werden. So sei mancher 90-Jährige fit am Steuer, und Erfahrung im Straßenverkehr gleiche manches Manko aus. Doch bei Krankheiten wie Bluthochdruck sei es gut, den Anfängen zu wehren und Beeinträchtigungen im Rahmen zu halten. „Selbst mit einer Demenz kann man anfänglich in überschaubaren Wohnvierteln noch sicher fahren. Das kann ein Fahrlehrer nach einer Fahrstunde bescheinigen“, führt Neurologe Lorrain aus. Bei Lähmungen durch Multiple Sklerose oder einen Schlaganfall sei es möglich, Autos behindertengerecht umbauen zu lassen.

Wann wird es gefährlich?

Jeder Fall liegt anders. Augenarzt und Neurologe plädieren daher für einen jährlichen Gesundheitscheck. Lorrain und Flamm müssen ihren Patienten oft erklären, welches Risiko sie eingehen, wenn sie sich etwa mit fortgeschrittener Demenz oder mit einer Sehfähigkeit von zehn Prozent hinters Steuer setzen. Eine schwierige Situation für Ärzte: Sie dürfen die Behörden nicht informieren, falls ihnen ein Patient auffällt.

Muss man dann gleich den Führerschein abgeben?

Weil sich nur wenige überwinden, ihre Fahrerlaubnis zurückzugeben, raten Ärzte dazu, den Wagen abzuschaffen und etwa dem Enkel zu verkaufen. Sie wissen jedoch um die Angst vieler älterer Patienten, dann nicht mehr mobil zu sein. Clemens Flamm: „Dabei ist es günstiger, mit dem Taxi oder öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein.“