Braunschweig. Unsere Region ist ein Zentrum der salafistischen Szene in Niedersachsen. Die findet immer mehr Anhänger.

Unser Leser Peter Pracht ausBaddeckenstedtfragt:

Warum warten, bis etwas passiert?

Die Antwort recherchierte Katrin Teschner

„Es liegen keine Anhaltspunkte für konkrete Anschlagspläne vor.“
Der Generalbundesanwalt gestern in einer Pressemitteilung.

Mit der schwarz-weißen Fahne des „Islamischen Staats“ in der Hand umarmt Ayoub B. einen Glaubensbruder, über der Schulter trägt er ein Gewehr. Es ist Juli, das Ende des Ramadan. Der 26-Jährige lacht, obwohl vielen Menschen in der Region gar nicht zum Feiern zumute ist, seit Monaten ist die IS-Terrormiliz auf dem Vormarsch und verbreitet Angst und Schrecken unter der Bevölkerung. Jeder, der sich den Islamisten entgegen stellt, wird niedergemetzelt.

Das Standbild aus dem Bericht eines irakischen Fernsehsenders kursierte lange in islamistischen Internet-Foren. Kämpfer wie Ayoub B., junge Muslime, die mit Kalaschnikows und Sprengstoffgürteln posieren, werden dort wie Helden gefeiert. Der Wolfsburger ist einer von vielen jungen Muslimen, die in den Irak oder nach Syrien gereist sind, um sich den Dschihadisten anzuschließen. Der Verfassungsschutz schätzt, dass bislang mehr als 500 Islamisten aus Deutschland in den Kriegsgebieten kämpfen. Knapp 200 seien mittlerweile zurückgekehrt; die meisten davon brutalisiert und radikalisiert. Aus Niedersachsen sollen es rund 40 Kämpfer sein, die Zahl der Rückkehrer und Gestorbenen liege im „niedrigen einstelligen Bereich“.

Auch Ayoub B. ist zurückgekehrt. Der Reislinger, der vor seiner Ausreise in den Krieg für drei Monate bei VW arbeitete, lebte wieder in Wolfsburg. Er bewegte sich in der salafistischen Szene, die in unserer Region zahlreiche Unterstützer hat. Das Landeskriminalamt in Hannover geht von bis zu 40 Sympathisanten aus, wie Sprecher Frank Federau bestätigt. Die Formulierung „Terrorzelle“ sei aber nicht treffend, es handele sich nicht um eine organisierte Vereinigung mit hierarchischen Strukturen. Unterstützer kämen aus der ganzen Region rund um die Zentren Braunschweig und Wolfsburg.

Bereits im November hatte ein Spezialeinsatzkommando des LKA eine Wohnung in Wolfsburg gestürmt und einen 25-Jährigen festgenommen, der im Sommer in einem syrischen Terrorcamp ausgebildet worden war. Anschließend soll er für den IS in Syrien und Irak gekämpft haben. Ayoub B. ist der zweite Rückkehrer in Wolfsburg, der nun bundesweit für Aufsehen sorgt.

Die Staatsanwaltschaft in Hannover ermittelte wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gegen ihn. Als sich der Verdacht erhärtete, dass sich der Deutsch-Tunesier in Syrien dem „Islamischen Staat Irak und Großsyrien“ angeschlossen hatte, übernahm der Generalbundesanwalt in Karlsruhe Ende vorigen Jahres die Ermittlungen. „Es liegen aber keine Anhaltspunkte für konkrete Anschlagspläne oder -vorbereitungen des Beschuldigten vor“, heißt es.

Trotzdem überschlugen sich gestern die Ereignisse: Beamte des Landeskriminalamtes nahmen Ayoub B. vorläufig fest und durchsuchten seine Wohnräume in Reislingen.

Auch die anderen Anhänger des Netzwerkes haben die Behörden im Visier. Zwischen der salafistischen Szene in Braunschweig und Wolfsburg gibt es einen regen Austausch. In Braunschweig genießt der Prediger Muhamed Ciftci hohes Ansehen, bundesweit hatten sich Muslime in seine Online-Islamschule eingeschrieben, die er 2012 allerdings wieder einstellen musste. Salafisten sind keine Terroristen; Ciftci hat gegenüber unserer Zeitung immer wieder betont, sich an Recht und Gesetz zu halten. „Ich habe nichts mit Dschihadisten und diesen Leuten zu tun. Ich rufe nicht zu Anschlägen auf.“ Doch Schüler des Islam-Predigers sind mit radikalen Aussagen öffentlich in Erscheinung getreten.

Auch das Internet spielt eine zentrale Rolle bei der Verbreitung der Ideologie. Anhänger posten Hass-Botschaften in den sozialen Netzwerken, hetzen gegen Juden und Andersgläubige und werben mit Filmen für den „Heiligen Krieg“. Laut Verfassungsschutz haben Salafisten inzwischen durch zahlreiche deutsche Webseiten und Videos auf Youtube sogar die Deutungshoheit über den Islam im Internet gewonnen. „Wer versucht, im Internet etwas über den Islam zu erfahren, landet fast zwangsläufig auf salafistischen Webseiten. Dieser Umstand unterstützt häufig den Einstieg in die salafistische Szene.“

Im September hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière verboten, IS-Symbole auf Internetseiten zu verwenden. Die Polizei hofft, die Propaganda dadurch einschränken zu können. Eindämmen lässt sie sich im weltweiten Netz allerdings nicht. Vor allem die Syrien- und Irak-Kämpfer werden von den Anhängern als Vorbilder bewundert. Als im November 2013 der Braunschweiger Isa (23) bei einem Bombenangriff ums Leben kam, übermittelte sein „Glaubensbruder“ Abu Adam die traurige Botschaft in einer Videobotschaft: „Isa war einer von denen, die gehandelt haben“, sagte er. „Es ist an der Zeit, dass wir aufwachen und solchen Geschwistern Folge leisten.“

Hinter dem Namen Abu Adam verbirgt sich der radikal-islamische Konvertit Sven Lau, einer der führenden Ideologen der Salafisten-Szene. Zusammen mit dem Braunschweiger Prediger Ciftci hatte er vor Jahren versucht, in Mönchengladbach eine Art salafistisches Zentrum aufzubauen, was unter anderem an den massiven Protesten der Bevölkerung scheiterte. Allein das zeigt, wie verflochten die Szene ist.

Wer sind diese Extremisten, die für den Glauben ihr Leben riskieren? Oft sind es junge Deutsche, die auf Sinnsuche sind und in der salafistischen Szene Halt finden. Ermittlern zufolge bietet sie mit ihrer einfachen Schwarz-Weiß-Sicht vermeintliche Orientierung. Die Salafisten mit ihrem idealisierten Bild vom Ur-Islam lehnen liberalere Formen des Islams, die Vereinbarkeit mit der Demokratie, ab. Verfassungsschützer bezeichnen deswegen den Salafismus auch als geistigen Wegbereiter für den islamistischen Terrorismus.

In Bremen gibt es bislang die einzige Beratungsstelle für Angehörige von radikalisierten Jugendlichen in Norddeutschland. Die beiden Mitarbeiter können die Flut an Anfragen kaum bewältigen, wie die Soziologin Berna Kurnaz bestätigt. „Die Intensität der Fälle verändert sich. Es gibt immer mehr, die in die Kriegsgebiete ausreisen.“ Nicht immer seien es Verlierertypen, auch vermeintlich gut integrierte Muslime seien anfällig für die Botschaften der Extremisten. Und nicht immer sind es nur Männer, die radikale Ansichten vertreten. „Frauen sind in der Szene genauso aktiv“, sagt Kurnaz. „Sie sind nur nicht so sichtbar.“