Osterode am Harz. Zwischen der deutschen Bürokratie und der Sorge um das eigene Land: Wie gehen die Geflüchteten in Osterode mit ihren Gefühlen fernab der Heimat um?

Seit Februar 2022 herrscht Krieg in der Ukraine. Viele Menschen fliehen in der Folge vor den russischen Bomben und Soldaten Richtung Westen – einige verschlägt es dabei auch nach Osterode am Harz. Seitdem leben sie irgendwo zwischen Behördengängen, andauernder Sorge um die Familie und der Ungewissheit über die eigene Zukunft. Dass viele Geflüchtete zwischenzeitlich ein bisschen zur Ruhe kommen konnten, liegt auch am Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger in Osterode. Doch nicht nur der schleppende Verlauf des Krieges, der nahezu eingefrorenen Front und der anhaltenden Diskussion um die Lieferung effektiver Waffen belasten die Flüchtlinge. Inzwischen, so empfinden es viele, hat sich das Klima gegenüber ihnen merklich abgekühlt.

Ukrainer in Osterode: Stiller Protest gegen den Krieg auf dem Kornmarkt

Zum 730. Tag des Krieges versammeln sich die geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainer in Osterode am Harz, um ihre Solidarität mit ihrem Heimatland auszudrücken. Auf dem Programm stehen Reden und emotionale Schauspieleinlagen, die sie lange im Vorfeld einstudiert haben. „Auch wenn die widrigen Witterungsverhältnisse viele Besucher von einem Besuch abgehalten haben – wir haben es trotzdem geschafft!“, berichten die Organisatoren nach der Veranstaltung. Was vielen zu denken gibt: Um die Mikrofone auf dem Kornmarkt betreiben zu können, verlegen Freiwillige die Kabel von insgesamt vier Kabeltrommeln durch die Altstadt. Wenig später stellen die Ukrainer fest: Jemand hat alle vier Kabelläufe durchgeschnitten. Was der Grund für die Sabotage ist, wissen sie nicht. Sie haben es auch nicht nur Anzeige gebracht – gegen wen sollte sich die Anzeige auch richten, fragen sie konsterniert.

Matthias Wedemeyer organisiert und hilft schon seit Kriegsbeginn: „In der Ukraine selbst kann ich nicht viel tun – hier aber kann ich helfen.“ Aus seiner Sicht bewegen sich die meisten Flüchtlinge zwischenzeitlich sehr viel sicherer auf dem Parkett der deutschen Amtsstuben, einfach ist es aber trotzdem meist nicht. Das Wichtigste für die Ukrainer dieser Tage aus seiner Sicht? „Deutsch lernen. Ich merke das immer wieder: Leute mit viel handwerklichem Geschick, die sich aber nicht verständigen können. Ohne Deutsch haben sie einfach keine Chance.“ Er wünscht sich mehr Kurse, die von öffentlicher Seite angeboten werden.

Dank der Ukrainer an die Menschen in Osterode am Harz

Die Kundgebung zum Jahrestag des Angriffs auf die Ukraine ist all denen gewidmet, die seit zwei Jahren für die Freiheit nicht nur der Ukraine, sondern für ganz Europa kämpfen, berichten die Organisatoren. In einem Dankesschreiben der ukrainischen Gemeinde heißt es: „Diese Kundgebung ist auch all denen gewidmet, die seit zwei Jahren von Deutschland aus eine sehr große Hilfe leisten. Vielen Dank an die deutsche Lerbacher Familie, die ein Auto für das Militär gespendet hat! Vielen Dank für die vielen Sachspenden wie zum Beispiel Trainingsgeräte, Krankenbetten und Rollstühle für die Kriegsversehrten. Wir danken allen, die uns auf unterschiedlichste Art helfen!“

Emotional ist es auf dem Kornmarkt an diesem Tag. Viele Ukrainer können ihre Tränen nicht zurückhalten, berichten Teilnehmer später. „Für die Ukrainer war das ungemein wichtig“, erzählt Matthias Wedemeyer. „Die Gemeinschaft der Ukrainer ist ein Pulverfass – wie ein Vulkan, der vor sich hin brodelt.“ Die Flüchtlinge tauschen sich viel in Messenger-Diensten wie Whatsapp aus, wie er berichtet. Meist ginge es dabei um Hilfe mit der deutschen Bürokratie oder um direkte Unterstützung untereinander. Aber es werde auch diskutiert. Und auch in Osterode gebe es ein paar pro-russisch gesinnte Flüchtlinge. Das sorge für Spannung unter den Ukrainerinnen und Ukrainern.

Die Gemeinschaft der Ukrainer ist ein Pulverfass – wie ein Vulkan, der vor sich hin brodelt.
Matthias Wedemeyer - Ehrenamtlicher Helfer aus Osterode am Harz

Zum 730. Tag des Krieges versammeln sich die geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainer in Osterode am Harz, um ihre Solidarität mit ihrem Heimatland auszudrücken.
Zum 730. Tag des Krieges versammeln sich die geflohenen Ukrainerinnen und Ukrainer in Osterode am Harz, um ihre Solidarität mit ihrem Heimatland auszudrücken. © privat | Matthias Wedemeyer

Dank für die vielen Helferinnen und Helfer in Osterode am Harz

Eine Gruppe aus ehrenamtlichen ukrainischen und deutschen Helfern hat sich zwischenzeitlich zusammengefunden, um dafür Sorge zu tragen, dass Spenden ohne Umwege dort hingelangen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. In der Mitteilung der Ukrainer heißt es dazu: „Insbesondere ist an dieser Stelle Ihor Herasymenko und seine Frau Hanna zu erwähnen. Unermüdlich ist er Tag für Tag unterwegs und transportiert die Hilfsgüter bis zu den Frontlinien in der Ukraine.“ Seine Frau, Hanna Herasymenko, sei bereits zu einer festen Institution der Hilfe für die Ukraine geworden. „Sie steht jeden Dienstag ab 16 Uhr an der Osteroder Stadthalle und sammelt dort Spenden. Für alle, die die Ukraine unterstützen möchten und nicht wissen, wo und wie: bei Frau Herasymenko kommt die Spende auf direktem Weg an.“

Vor kurzem sei Ihor Herasymenko für die geleistete Hilfe die Ehrenmedaille des ukrainischen Militärs überreicht worden. Für die Ukrainer in Osterode fühlt sich das an wie ein Orden für alle, die von Deutschland aus ehrenamtliche Hilfe leisten.

In ihrem Brief möchten die Ukrainerinnen und Ukrainer in Osterode darüber hinaus folgenden Personen ihren tiefen Dank ausdrücken: „Magdalena Arenz, Stefanie Henkel, Nicole Wedemeyer, Nadine Sengstack-Küster, Steffen Glaubitz, Carsten Wehmeyer, Dietmar Telge, Jens-Martin Baumgartner, Martin Krause, Kira Peltzer, Jens Ludwig, Oleh Kyrychenko, Irina und Thomas Jipp, Walter Benneckendorf, Oleksandr Zavhorodnii und liudmyla Orudzheva. Alle namentlich Genannten stehen für eine große Zahl von Helfern aus den unterschiedlichsten Bereichen wie Jugendpflege, Schulen, Kitas, Wohnungsgeber, Spendern und Vereinen, ohne die eine Integration undenkbar ist.“

Trotz Sabotage: Die Ukrainerinnen und Ukrainer in Osterode am Harz gedenken im Februar dem Angriff auf ihr Heimatland. (Bildschirmfoto von Instagram)
Trotz Sabotage: Die Ukrainerinnen und Ukrainer in Osterode am Harz gedenken im Februar dem Angriff auf ihr Heimatland. (Bildschirmfoto von Instagram) © privat | Matthias Wedemeyer

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