Braunschweig. Das Braunschweiger Zirkuspädagogen-Ehepaar von Dobbeler will angesichts abrupt geschlossener Theaterspielstätten helfen – und zwar so.

Mit der Insolvenz des Vereins LOT-Theater und der Dachorganisation Freie Spielstätten Braunschweig gGmbH sind der freien Theaterszene Mitte April von einem Tag auf den anderen die beiden wichtigsten Spielorte abhandengekommen: das LOT-Stammhaus in der Kaffeetwete und das neue Spiel- und Probenzentrum im Quartier St. Leonhard. Viele freie Gruppen, aber auch große Institutionen wie das Staatstheater und das Festival Theaterformen suchen nun fieberhaft nach Alternativen für Produktionen in den kommenden Wochen, für die sie die LOT-Bühnen eigentlich angemietet hatten.

Auf dem früheren Vereinsgelände des SV Süd Braunschweig breiten Mirjam und Roman von Dobbeler vom Zirkus Dobbelino die Arme aus: „Herzlich willkommen.“ Seit zwei Jahren haben zwei Zirkuszelte auf den früheren Fußballplätzen an der Schefflerstraße eine malerische Bleibe gefunden, samt Sanitär-, Schlaf- und Verkaufswagen. Hier arbeiten die beiden Zirkuspädagogen im Frühjahr und Sommer mit rund 120 Kindern und Jugendlichen, den Mitgliedern des Zirkusvereins Spokuzzi, an zirzensischen Künsten, Bewegungsformen, Präsentation und Ausdruck.

Friederike „Percy“ Lorenz bei einer Vorstellung des zirkuspädagogischen Zentrums Spokuzzi. 
Friederike „Percy“ Lorenz bei einer Vorstellung des zirkuspädagogischen Zentrums Spokuzzi.  © Roman von Dobbeler | Roman von Dobbeler

Theater im Zirkuszelt – mehr als eine Übergangslösung?

Abends aber könne das große Viermastzelt mit rund 300 Zuschauerplätzen, das vor zwei Jahren mit Hilfe der Braunschweigischen Sparkassenstiftung angeschafft wurde, von Produktionen des Festivals Theaterformen oder anderen Freien Gruppen bespielt werden. Auch ein erfahrener Veranstaltungstechniker stünde bereit. Für Probenphasen könne noch ein weiteres Zelt genutzt werden. „Da finden wir sicher eine Lösung“, sagt Roman von Dobbeler. „Übrigens herrscht hier im Grünen mit den beleuchteten Zirkuszelten an lauen Sommerabenden eine zauberhafte Atmosphäre.“ Und dann betreibe der Verein ja noch das Zirkuspädagogische Zentrum an der Frankfurter Straße: 140 Quadratmeter mit Bühnenaufbau, Scheinwerfern und Schwingboden für das Training in den Wintermonaten, in einem Stockwerk über dem städtischen Jugendzentrum Drachenflug. „Auch dort kann geprobt werden“, bietet von Dobbeler an.

In der aktuellen Braunschweiger Spielstättenkrise will das zirzensische Ehepaar gerne „Teil der Lösung“ sein, wie es betont. Die beiden Zirkuspädagogen und Zirkusschulunternehmer können sich auch vorstellen, mit städtischer Unterstützung Teile der Räumlichkeiten im Quartier St. Leonhard zu übernehmen oder aktiv in einem neuen Verein mitzuarbeiten, der die freien Spielstätten in der Stadt betreibt oder organisiert. „Wir haben jahrelange Erfahrung mit dem Betrieb einer Spielstätte mit bis zu 30.000 Zuschauern jährlich und bringen gerne unsere wirtschaftliche Expertise ein“, sagt von Dobbeler. Im Hauptberuf führt der 51-Jährige den Kinderzirkus Dobbelino, der mit zwei weiteren Zelten Zirkus-Projektwochen samt abschließenden Aufführungen an und mit Schulen bundesweit organisiert.

Amelie Semke, Friederike Lorenz und Janis Wockenfuß bei einer Vorstellung des zirkuspädagogischen Vereins Spokuzzi. 
Amelie Semke, Friederike Lorenz und Janis Wockenfuß bei einer Vorstellung des zirkuspädagogischen Vereins Spokuzzi.  © Roman von Dobbeler | Roman von Dobbeler

Ein Ärgernis für die von Dobbelers: Zirkus gilt nicht als Kunst

Ein Anliegen treibt das Ehepaar seit Jahren um: dass Zirkus als Kunstform anerkannt wird. „In Deutschland gilt er nicht als Kulturgut, sondern als Gewerbe“, seufzt Roman von Dobbeler. Mit Folgen: Anders als die freie Theaterlandschaft werde Zirkuskunst nicht oder kaum gefördert. Den Verein Theaterpädagogisches Zentrum beispielsweise unterstütze die Stadt Braunschweig jährlich mit rund 80.000 Euro. „Was natürlich gut und richtig ist“, so Dobbeler. Dem zirkuspädagogischen Spokuzzi e.V. aber werde lediglich die Miete für das Trainingszentrum an der Frankfurter Straße erlassen.

Dabei erfordere die Zirkuskunst nicht nur Sportlich- und Geschicklichkeit, sondern je nach Disziplin auch erhebliche darstellerische Qualitäten, unterstreicht die ausgebildete Clown-Darstellerin Mirjam von Dobbeler. „Ich arbeite mit den Kindern an Stimme, Körpersprache, dem Aufbau und der Dramaturgie einer Nummer und vielen anderen Aspekten der Darstellung.“ Dennoch müsse man bei Spokuzzi allein mit den Mitgliedsbeiträgen auskommen, die gering gehalten würden, da viele Mitglieder aus Elternhäusern kämen, die es nicht so reichlich hätten. Das gehe nur mit viel ehrenamtlichem Engagement, vonseiten der Eltern, aber auch vonseiten der Dobbelers und ihres Teams. Übrigens arbeite man inklusiv. In der großen Spokuzzi-„Familie“ gebe es auch Kinder mit Beeinträchtigungen. „Zirkus war immer schon divers“, betont Mirjam von Dobbeler.

Finja Jatzen, Nelly Jatzen und Merle Jörns bei einer Vorstellung des zirkuspädagogischen Vereins Spokuzzi.
Finja Jatzen, Nelly Jatzen und Merle Jörns bei einer Vorstellung des zirkuspädagogischen Vereins Spokuzzi. © Roman von Dobbeler | Roman von Dobbeler

Zirkus gilt jetzt als Darstellende Kunst

Immerhin: Im vergangenen Jahr sei Zirkus endlich als eigenständige Form der Darstellenden Kunst ins bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen worden. In einer aktuellen Kampagne setze sich die Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkuspädagogik nun bundesweit für die Anerkennung und Förderung von Zirkuskunst und -pädagogik ein. Die von Dobbelers hoffen, dass sich das auch auf ihre Arbeit in Braunschweig auswirkt. In jedem Fall sollten die Gruppen und Vereine der freien Darstellenden Künste eng zusammenarbeiten, auch beim Betrieb von Spielstätten, meinen sie.

Der Zirkus Dobbelino

Roman von Dobbeler (51) machte 2006 seine Leidenschaft für die Zirkuskunst und das Jonglieren zum Hauptberuf und gründete in Braunschweig den Kinderzirkus Dobbelino. Im Rheinland aufgewachsen, hatte von Dobbeler zuvor Sozialpädagogik studiert und in Braunschweiger Jugendzentren gearbeitet. Er absolvierte ein Zusatzstudium für Bewegungspädagogik und absolvierte Weiterbildungen zum Zirkuspädagogen und Zeltbaumeister.

Mirjam von Dobbeler (46) lernte ihren späteren Mann Ende der 90er Jahre kennen, als sie als Erzieherin mit heilpädagogischer Zusatzausbildung in Braunschweiger Jugendzentren arbeitete. Sie absolvierte zusätzlich eine Ausbildung zur Clowndarstellerin an der Clownschule TuT Hannover und ist Mitinhaberin und Mitarbeiterin des Kinderzirkus Dobbelino.

Der Kinderzirkus Dobbelino bietet bundesweit Zirkusprojekte vor allem in Grundschulen an. Jeweils eine Woche lang arbeitet das Team mit Kindern an zirzensischen Bewegungsformen und Künsten und entwickelt eine Show, die am Ende der Projektwoche mehrfach aufgeführt wird. Auf- und Abbau des Zirkuszeltes sind Teil des Projekts. Die Kosten lägen je nach Zahl der beteiligten Kinder zwischen 12.000 und 20.000 Euro und würden über (moderate) Teilnahmegebühren, Eintrittsgelder und Sponsorenmittel erwirtschaftet, sagt Roman von Dobbeler. Vor allem in Nordrhein-Westfalen gebe es viele Buchungen. In unserer Region seien die Schulen zurückhaltender. In Kooperation mit dem Goethe-Institut gab es mittlerweile auch Zirkusprojekte in Sri Lanka und Rumänien.

Das zirkuspädagogische Zentrum Spokuzzi e.V. gründeten die von Dobbelers 2006 in Braunschweig. Dort trainieren sie und ihr Team überwiegend ehrenamtlich und inklusiv rund 120 Kinder und Jugendliche in zirzensischen Bewegungs- und Darstellungskünsten. Trainingsorte sind ein Probenzentrum an der Frankfurter Straße und die Zirkuszelte an der Schefflerstraße.