Braunschweig. Die Dachorganisation des LOT-Theaters hat sich mit ihrem neuen Kulturzentrum im Quartier St. Leonhard am Hauptbahnhof völlig übernommen.

Noch vor kurzem war das Team der Freie Spielstätten Braunschweig gGmbH (FSB) überzeugt, alles richtig gemacht und eine große Chance genutzt zu haben. Im Sommer 2023 hatte die FSB neue Bühnen-, Probe-, Büroräume und später auch die Gastronomie „4. Revier“ im inklusiven Stadtquartier St. Leonhard eröffnet. Auf rund 1200 Quadratmetern sollte das neue Kulturzentrum ideale Bedingungen für Schauspiel- und Tanzkurse bieten sowie die Probe- und Auftrittsmöglichkeiten freier Theater-, Tanz- und Performancegruppen deutlich erweitern – über das langjährige Stammhaus, das LOT-Theater in der Innenstadt hinaus. „Braunschweigs freies Theater wächst sich mächtig aus“, titelte unsere Zeitung im August.

Doch nur ein halbes Jahr später ist die FSB in eine gefährliche finanzielle Schieflage gerutscht. Die neu eingesetzten kommissarischen Geschäftsführer Andrea Naumann, erst im Dezember als Personalchefin dazugestoßen, und Ingo Latermann entschieden nun, die Reißleine zu ziehen: Die FSB hat vergangene Woche einen Insolvenzantrag gestellt. Dabei handele es sich um eine präventive Maßnahme, um gemeinsam mit dem durch das Braunschweiger Amtsgericht bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter Dr. Franc Zimmermann „sämtliche Sanierungsmöglichkeiten auszuschöpfen“, wie die FSB mitteilt. Der laufende Betrieb werde uneingeschränkt fortgesetzt.

Wie FSB und LOT-Theater zusammenhängen

Nach der Euphorie im Sommer ist das eine harte Bauchlandung. Zeit, um kurz durchzuatmen und ansatzweise zu erklären: Was ist die FSB überhaupt? Die gemeinnützige Gesellschaft wurde vor drei Jahren von den Vereinen LOT-Theater und Theaterpädagogisches Zentrum (TPZ) quasi als Dachorganisation gegründet, „um durch die Bündelung von personellen und organisatorischen Kräften Synergien zu realisieren“. Der Verein LOT wiederum betreibt seit fast 30 Jahren das LOT-Theater in der Kaffeetwete als Spielstätte für die freie Theaterszene. Das TPZ gründete sich vor etwa zehn Jahren aus dem LOT-Umfeld heraus und bietet Theater- und Tanzkurse sowie theaterpädagogische Beratung und Projekte an.

Im neuen Stadtquartier St. Leonhard schien sich dann die Chance zu bieten, beide Vereine über die Dachorganisation FSB räumlich und organisatorisch unter scheinbar perfekten Bedingungen zusammenzuführen. Nahe dem Hauptbahnhof waren rund 1200 Quadratmeter freigeworden, die ursprünglich das Christliche Jugenddorfwerk Braunschweig (CJD) hatte nutzen wollen. Das CJD hatte das lange brachliegende frühere Domänengelände St. Leonhard gemeinsam mit der Evangelischen Stiftung Neuerkerode (ESN) und der Richard-Borek-Stiftung in den vergangenen Jahren zu einem neuen Stadtquartier für inklusives Wohnen, Lernen und Arbeiten ausgebaut – benötigte dann aber weniger Platz als ursprünglich gedacht.

Im Sommer war das Team der Freien Spielstätten Braunschweig noch voller Euphorie hinsichtlich der vielfältigen Möglichkeiten im neuen Kulturzentrum und der Theatergastronomie „4. Revier“ im Quartier St. Leonhard. 
Im Sommer war das Team der Freien Spielstätten Braunschweig noch voller Euphorie hinsichtlich der vielfältigen Möglichkeiten im neuen Kulturzentrum und der Theatergastronomie „4. Revier“ im Quartier St. Leonhard.  © Florian Arnold | Florian Arnold

Warum die Freien Spielstätten Braunschweig schnell in Schieflage gerieten

LOT-Theater, Theaterpädagogisches Zentrum beziehungsweise FSB passten gut in das soziale Konzept des Quartiers. Die Borek-Immobilien GmbH habe sich beim Ausbau der FSB-Räumlichkeiten sehr kooperativ gezeigt, sagte Stefanie Theis, künstlerische Leiterin des LOT, unserer Zeitung im Sommer. In der Coronakrise habe man zudem Mittel aus dem Bundesprogramm Neustart Kultur akquirieren können, um für eine optimale technische Ausstattung für Theater- und Probebetrieb in St. Leonhard zu sorgen.

Allerdings wuchsen der FSB-Leitung um Geschäftsführer Martin von Hoyningen Huene, der laut seiner kommissarischen Nachfolgerin Andrea Naumann längerfristig erkrankt ist, die Aufgaben offenbar über den Kopf. Zahlreiche Mitarbeitende seien eingestellt worden, um die organisatorischen, gastronomischen-, förder- und einrichtungstechnischen Herausforderungen zu bewältigen, sagt der vorläufige Insolvenzverwalter Franc Zimmermann – insgesamt 33, darunter allerdings mehr als zehn Minijobber. Hinzu kämen noch jeweils drei bis vier Mitarbeitende der Vereine LOT und TPZ. Gleichzeitig blieb insbesondere der Zuspruch für die Gastronomie offenbar hinter den Erwartungen zurück, ebenso die Nachfrage für Angebote des TPZ, das Bühnenprogramm und die Nutzung von Räumlichkeiten.

Gastronomie und LOT-Stammhaus stehen auf dem Prüfstand

Zimmermann will nun gemeinsam mit Naumann und den Vorständen von LOT und TPZ ein tragfähiges Zukunftskonzept erarbeiten. Fraglich sei etwa, ob der Betrieb einer großen Gastronomie in relativ wenig frequentierter Lage für ein freies Theaterzentrum aufrechtzuerhalten sei, sagt Zimmermann. Zudem seien die Räumlichkeiten für das Zentrum in dem früheren historischen Stallgebäude zwar hochmodern ausgebaut worden und der Quadratmeterpreis vergleichsweise günstig - aber der Zuschnitt nicht optimal und das Ganze im Grunde überdimensioniert. „Wir müssen darüber reden, einen Teil abzugeben, unterzuvermieten oder mit anderen Nutzern zu teilen“, sagt Zimmermann.

Zumal es ja noch das LOT-Stammhaus in der Innenstadt gibt. Dort einfach schnell auszuziehen und sich ganz auf St. Leonhard zu konzentrieren, sei auch nicht ohne Weiteres möglich, so der auf Insolvenz- und Sanierungsrecht spezialisierte Fachanwalt: „Das Gebäude ist im Besitz der FSB.“ Die Raten für den Immobilienkredit seien eine weitere Belastung. Ein möglicher Verkauf des sanierungsbedürftigen Gebäudes dürfe kein Tabu sein – sofern sich ein Interessent findet.

Insolvenz – Appell der künstlerischen Leiterin

Kultur habe es in der „schnelllebigen und digitalisierten Welt sehr schwer“, erklärt die künstlerische LOT-Leiterin Stefanie Theis – und appelliert an das Publikum, die freien Spielstätten „in einer schwierigen Phase“ zu unterstützen: „durch den Besuch unserer Veranstaltungen, durch Kooperationen und die Buchung unserer Räume“.