Berlin. Alexej Nawalny ist tot, die Ukraine ist auf dem Rückzug. Bei „Markus Lanz“ diskutiert die Runde eine unbequeme Wahrheit für Europa aus.

Der Ukraine geht die Munition aus, Russland feiert mit der Einnahme von Awdijiwka einen brutal erkauften Sieg – und fast gleichzeitig stirbt mit Alexej Nawalny der wichtigste Vertreter der russischen Opposition in Lagerhaft. Die Bühne ist bereitet für eine nachdenkliche Diskussionsrunde bei „Markus Lanz“, aus der ein Satz der Militärexpertin Florence Gaub nachhallt: „Die Lage ist ernst.“

Das erste Drittel der Sendung stand ganz im Zeichen des rätselhaften Todes von Nawalny. Ein Zeichen, dass das Land ganz besonders erstarren lässt, erklärt dazu die ZDF-Korrespondentin Katrin Eigendorf in der Schalte aus Kiew.

Nawalny habe für die Opposition – als letzter in Russland verbliebener Oppositioneller – eine ungeheuer große Rolle gespielt. Die meisten anderen hätten das Land verlassen oder seien tot. Sie beobachtet nun „das völlige Erlahmen einer demokratischen Opposition“.

Nawalnys Tod: Militärexpertin Gaub – „Niemand ist mehr sicher“

Viele Fragen ranken sich um den Tod Nawalnys, bislang ist davon auszugehen, dass er umgebracht wurde. Dem stellt Eigendorf zur Seite, dass zwar nicht stimmen könne, was von offizieller Seite kommuniziert werde, weil das die Regularien in Nawalnys Haftanstalt nicht hergäben.

Die große Frage aber sei jetzt, ob Moskau über einen möglichen Gefangenenaustausch mit Berlin verhandelt habe. „Das könnte dem Ganzen noch mal eine neue Dimension geben und die Frage aufwerfen, ob es vielleicht doch ein ungeplanter Tod war.“

Der stellvertretende „Zeit“-Chefredakteur Martin Machowecz verweist dazu darauf, dass das „relativ viel Spekulation“ sei, fragt nach der Motivlage Wladimir Putins. In Russland stünden Präsidentschaftswahlen an, der Präsident könne beschlossen haben, dass er „gar niemanden neben sich mehr duldet“. Er werte den Tod Nawalnys als Versuch Putins zu zeigen, „dass dieses Regime vor gar nichts mehr haltmacht“.

Militärexpertin Gaub springt dem bei: Der Todeszeitpunkt zu Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz suggeriere „totale Macht“, selbst Nawalnys Bekanntheitsgrad habe ihn nicht mehr geschützt. Auf der Konferenz sei das Gefühl gewesen: „Niemand ist mehr sicher.“

„Mit Pessimismus gewinnt man keinen Krieg“

Das zweite Drittel beschäftigte sich mit dem nicht besonders vorteilhaft laufenden Ukraine-Krieg. Eindringlich warnt Gaub davor, unter dem Eindruck des ukrainischen Rückzugs aus Awdijiwka ein falsches Narrativ zu verbreiten, die Ukraine könne nicht gewinnen.

Sie stellt klar: „Die Ukraine hat schon die Hälfte des Territoriums zurückerobert, das nach dem 24. Februar 2022 verloren wurde.“ Zwar stecke sie jetzt fest. Der Grund dafür, so Gaub, sei aber, dass es vor allem an Entminungsmaterial fehle. Die Russen hätten sich hinter Stacheldraht und Minen eingeschlossen, „da kann man nicht einfach reinlaufen“.

Natürlich fehle es auch an Munition, aber um den Stellungskrieg aufzubrechen, „braucht man eine andere Art von Equipment“. Das bekomme längst nicht so viel Aufmerksamkeit wie Taurus, sei aber viel wichtiger. Dazu: „Mit Pessimismus gewinnt man keinen Krieg.“ Es sei wichtig, die richtigen Signale zu senden: „Wir tun alles, was es braucht.“ Dazu müsse man auch sehen: „Auf jeden toten Ukrainer kommen sieben tote Russen.“

Russland-Reportagen von Jan Jessen

Ukraine mit dem Rücken zur Wand?

ZDF-Korrespondentin Eigendorf ist von solchen Zahlenspielen unbeeindruckt. Sie sagten nichts über die tatsächliche Situation aus, jede Seite interpretiere diese auf ihre Weise.

Im Gegenteil erlebe sie, dass mittlerweile hinter vorgehaltener Hand über Gebietsabtretungen an Russland gesprochen werde. „Ich sehe nicht, dass die Ukraine davon überzeugt ist, den Krieg zu gewinnen, am Boden gibt es dafür auch keine Anzeichen.“

Die Russen hätten die Lufthoheit, in Charkiw richte man inzwischen Schulen im Untergrund ein, um die Kinder zu schützen, berichtet sie. Sie sieht eine Situation, die das Land weder militärisch noch ökonomisch sehr lange werde durchhalten können. Russland hingegen habe mehr Kraft. „Die Ukraine steht mit dem Rücken zur Wand.“

podcast-image

Defätismus spielt Russland in die Hände

Militärexpertin Gaub widerspricht hier deutlich und verweist darauf, dass ein militärischer Sieg nicht bedeuten müsse, dass alle russischen Soldaten das Land wieder verließen, spricht von einer Skala, die „alles Mögliche“ bedeuten könne.

Wichtig sei aber, dass der Krieg so zu Ende gehe, „dass er nicht mehr wiederkommt“. Am Ende müsse die Ukraine entscheiden, was Sieg bedeutet.

Für die deutsche Debatte über Waffenlieferungen und stark erhöhte Verteidigungsausgaben mahnt sie: „Für Deutschland geht es nicht mehr nur ums Geld.“ Russland sei „auch für uns eine Bedrohung“, es brauche „den langen Atem“. Defätistische Töne spielten nur Russland in die Hände.

Die Sendung zeigte: Der Wunsch nach Frieden und einer diplomatischen Lösung für den Krieg ist verständlich, entspricht aber nicht der Realität. Russland bietet keine Verhandlungsposition an, auf die die Ukraine eingehen könnte. Europa, und damit Deutschland, muss sich einer unbequemen Wahrheit stellen: „Die Lage ist ernst.“

Zur aktuellen Ausgabe von „Markus Lanz“ in der ZDF-Mediathek.