Göttingen. Die 520. Gildenwahl fand mit Festakt und 300 Gästen im Alten Rathaus Göttingen statt.

Die „Gildenwahl“ ist eine aus dem Mittelalter erhaltene handwerkliche Tradition. Am Montag ist sie in Göttingen zum 520. Mal begangen worden. Dieses Mal allerdings in Begleitung mahnender Worte von Kreishandwerksmeister Christian Frölich. Er sagte in seiner Begrüßung: „Deutschland gehen die Handwerker aus.“

Vorher aber wurde die traditionelle „Regimentspredigt“ in der Johanniskirche abgehalten, die den Tag der Gildenwahl traditionell einläutet. Die Predigt hielt Superintendent Friedrich Selter. Für ihn stelle die Gildenwahl eine Wertschätzung für unternehmerischen Fleiß und Mut dar. Dies sei Grundlage für Wohlfahrt und gesellschaftlichen Frieden. Selter weiter: Wirtschaftliche Kraft gäbe es nicht ohne das Handwerk.

Der Saal im Alten Rathaus ist jedes Jahr der Austragungsort für das Treffen der Handwerker aus Stadt und Region.

Die Mahnung, Deutschland würden die Handwerker ausgehen, gab Christian Frölich nicht ohne Grund. Es fehle an Orientierung, an klaren Hinweisen, vor allem an politischen Signalen, dass es neben der akademischen Laufbahn auch eine Berufsausbildung gibt. Es fehle schlichtweg an der Wertschätzung unserer Gesellschaft gegenüber dem Handwerk und seiner Leistung.

80 Prozent der Anforderungen kommen aus Brüssel

Vor etwa 300 Gästen aus Handwerk, Handel, Wirtschaft und Verwaltung zeigte Frölich einen weiteren Stolperstein für das Handwerk auf: die Brüsseler „Regelungsflut“.

Bei „unerhörten Ungenauigkeiten“ wie etwa bei Inhaltsangaben von Bienenstich, so sein Beispiel, werde mit Ordnungswidrigkeiten und gar Strafverfahren gedroht. Man werde „irgendwann keine kleineren Handwerksbetriebe mehr haben“.

80 Prozent der genannten Anforderungen kämen aus Brüssel. Dennoch brauche man die EU „unbedingt“, beschwichtigte Frölich. Aber ein Europa, das nationale Regelungen und Besonderheiten respektiere.

Dies gelte für das sogenannte „EU-Dienstleistungspaket“ bezüglich Berufsregulierung wie auch für das europäische Bauordnungsrecht, das, so Frölich, für Unsicherheiten bei der Bauwerksicherheit sorge.

Europa muss in drei Punkten weiter zusammenwachsen

Europa müsse in drei Punkten weiter zusammenwachsen. In der Energiepolitik etwa. Auch benötige Europa eine Agenda zur Fachkräftesicherung sowie schnelles Internet. Ein weiteres Thema: Diesel. Hier zeige niemand eine Lösung auf. Notwendig sei ein Fahrplan zur Schadstoffreduzierung, der sowohl Rechtsschutz für den Fahrzeugbestand als auch Maßnahmen zum Erreichen von Grenzwerten verbinde.

Um der Nachwuchsfrage im Handwerk zu begegnen, forderte Oberbürgermeister Rolf Georg Köhler in seinem Grußwort mehr Berufsorientierung in den allgemeinbildenden Schulen. Ein „Weiter so“ gefährde das Handwerk, und der wirtschaftliche Motor würde zum Stocken kommen. Göttingen, so der Oberbürgermeister, würde mit dem Handwerk Seite an Seite stehen.

Und Thomas Mann, der als Europa-Abgeordneter die „Morgensprache“ hielt, stellte sich eine Europäische Union vor, die Wachstum generierte und für die Wettbewerbsfähigkeit und Innovation wichtig seien. Hier fehle es ihm jedoch an Konkretisierung und an Regeln für einen gemeinsamen Binnenmarkt. Gleichzeitig hob Mann die Bedeutung des deutschen Meisterbriefs sowie das hiesige Ausbildungssystem hervor. „Qualität fällt nicht vom Himmel, wir benötigen eine Internationalisierung des deutschen Meisterbriefs“, so der EU-Abgeordnete. „Es geht um aktiven Verbraucherschutz.“