Wolfsburg. Jessica Scheer ist Flugschülerin beim Aero-Club Wolfsburg. Sie teilt die Leidenschaft für das Segelfliegen. Ein Besuch in luftiger Höhe.

Jessica Scheer ist voll in ihrem Element. Leichtes Bauchkribbeln macht sich bei der Wolfsburger Flugschülerin breit, als sie gemeinsam mit Fluglehrer Uwe Brandt in das Segelflugzeug steigt. Nachdem Fallschirm und Gurt angelegt und die Instrumente im kleinen Cockpit überprüft sind, kann es losgehen. Dem kritischen und aufmerksamen Blick von Uwe Brandt entgeht nichts. Beim Start wird das Segelflugzeug durch eine Winde auf 450 Meter Höhe gebracht. In nur drei Sekunden beschleunigt das weiße, filigrane Segelflugzeug von 0 auf 100 km/h, ehe die 45-Jährige in luftiger Höhe ankommt. Wie ein Vogel gleitet das Segelflugzeug lautlos durch die Luft.

Wir haben den Verein Aero-Club Wolfsburg in der Nähe des Bernsteinsees im Landkreis Gifhorn besucht. Ein Feature über die Leidenschaft zum Fliegen, dem Risiko in der Luft und der diziplinierten Ausbildung zur Segelflugpilotin.

Wolfsburger Flugschülerin liebt die Freiheit in der Luft

Jessica Scheers Hobby ist das Segelfliegen. Vor einem Jahr hat sie beim Aero-Club Wolfsburg mit ihrer Ausbildung für den Segelflugschein begonnen. „Fliegen ist ein wahnsinnig aufregendes und tolles Gefühl“, schwärmt Scheer. „Die Perspektive von hier oben kriegt man nirgends, das Farbenmeer von oben ist beachtlich und alles sieht aus wie eine Spielzeugstadt.“ Ihr Lebensgefährte, der selbst Mitglied im Wolfsburger Verein ist, hat sie auf den Geschmack gebracht. „Ich bin ein sehr aktiver Mensch. Ich fahre gerne Motorrad, Segelboot und möchte nun in der Luft schweben“, erklärt Scheer.

Fliegen ist ein wahnsinnig aufregendes und tolles Gefühl. Die Perspektive von hier oben kriegt man nirgends, das Farbenmeer von oben ist beachtlich und alles sieht aus wie eine Spielzeugstadt.
Jessica Scheer - Flugschülerin beim Aero-Club Wolfsburg

In ein Karussell oder in eine Achterbahn würde sich die 45-Jährige allerdings nicht trauen. Höhenangst habe sie nur auf hohen Türmen, nicht aber in der Luft– fliegen sei für sie angenehm und inspirierend. An ihren ersten Segelflug kann sie sich noch sehr gut erinnern: „Ich war total nervös, weil man im Flugzeug auf so vieles achten muss, aber der Fluglehrer ist immer mit dabei.“ Mit 14 Jahren dürfen Jugendliche mit der Ausbildung beginnen. Die Prüfung für den Segelflugschein dürfen sie aber erst mit 16 Jahren ablegen. Die Ausbildung besteht aus Theorie- und Praxisunterricht. Die Segelflugschüler lernen unter anderem etwas über Luftrecht, Meteorologie, Technik und das Verhalten in besonderen Situationen. Bis der wohlersehnte Flugschein in der Tasche ist, können drei bis vier Jahre vergehen.

Uwe Brandt, Fluglehrer des Aero-Club Wolfsburg, legt Flugschülerin Jessica Scheer den Fallschirm an.
Uwe Brandt, Fluglehrer des Aero-Club Wolfsburg, legt Flugschülerin Jessica Scheer den Fallschirm an. © regios24 | Helge Landmann

Wolfsburger Fluglehrer ist seit der Kindheit vom Fliegen begeistert

Im Durchschnitt benötigen Flugschüler rund 48 Starts, bis sie den Wolken alleine zum Greifen nah kommen können. Jessica Scheer darf noch nicht alleine in die Luft. Im doppelsitzigen Segelflugzeug ist Fluglehrer und 1. Vorsitzender Uwe Brandt immer an ihrer Seite. Seit 36 Jahren ist der 63-jährige Fluglehrer, doch die Begeisterung für das Schweben in der Luft kam schon viel früher. „Ich bin ein Flugplatzkind. Mit fünf Jahren hat mich mein Vater das erste Mal zum Flugplatz mitgenommen und ich war sofort begeistert“, erinnert sich Brandt. Dabei muss er immer wieder auf die Flugschüler individuell eingehen: „Jeder Mensch ist unterschiedlich. Die Schülerinnen und Schüler sind verschieden weit in der Ausbildung, da kommt es auf Fingerspitzengefühl an.“

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Mit 14 hat Brandt dann seine Ausbildung zum Segelflugpiloten begonnen. „In der Luft fühle ich mich unabhängig und es ist ein großes Gefühl von Freiheit“, erklärt Brandt. Derzeit wollen acht Flugschüler von jung bis alt in unterschiedlichen Ausbildungsstufen den Wolfsburger und Gifhorner Himmel im Segelflugzeug erkunden. 100 Mitglieder begeistern sich aktuell für den Segelflug, zusammen mit den Modellfliegern hat der Verein rund 180 Mitglieder. Im Repertoire hat der Verein neun Flugzeuge, acht Segelflugzeuge und einen Motorsegler.

Mythos der Gefährlichkeit des Segelfliegens ärgert den Wolfsburger Fluglehrer

Die Flugschülerin Jessica Scheer ist mit großer Disziplin dabei. Mit drei bis sechs Starts am Tag übt die Schülerin für den ersten Alleinflug. „Ich bin schon total aufgeregt vor meinem ersten Alleinflug. Im Auto kann man anhalten, aber wenn man im Segelflieger ist, ist man auf sich allein gestellt“, berichtet Scheer. Beim Start wird das Segelflugzeug durch eine Winde oder ein Motorflugzeug auf eine bestimmte Höhe gebracht. Anschließend fliegt es auf einer schwach nach unten geneigten Bahn, bis es durch Aufwind erneut Höhe gewinnt. Meistens nutzen die Segelflieger Thermik, also Luft, die durch Temperaturunterschiede in der Atmosphäre aufsteigt.

Mit den öffentlichen Debatten über die Gefährlichkeit des Segelfliegens kann Fluglehrer Uwe Brandt nichts anfangen: „Segelfliegen ist kein Hochrisikosport, aber eben auch kein Fahrrad fahren“, so Brandt. In den 50 Jahren auf dem Flugplatz bei Stüde habe es bislang nur zwei schwere Unfälle gegeben. Pilotenunfälle seien auch auf persönlichen Stress zurückzuführen. Auf Wettbewerben bestehe aber das Risiko eines Zusammenstoßes mit einem beteiligten Flugzeug. „Segelfliegen ist für mich nicht gefährlich, weil der Motor weder ausfallen noch in Flammen aufgehen kann. Wir fliegen ohne Sprit und nutzen nur die Thermik“, erläutert die Flugschülerin.

Segelfliegen ist kein Hochrisikosport, aber eben auch kein Fahrrad fahren.
Uwe Brandt - Fluglehrer, über das Segelfliegen

Auch für den Volontär der Wolfsburger Nachrichten, Daniel Johannes Kalis, ging es in die Luft.
Auch für den Volontär der Wolfsburger Nachrichten, Daniel Johannes Kalis, ging es in die Luft. © regios24 | Helge Landmann

Segelfliegen beim Aero-Club Wolfsburg ist reine Teamarbeit

Noch ein letzter Blick in den Himmel: Jessica Scheer und Uwe Brandt halten Ausschau nach Wolken. „Wo Wolken sind, ist Aufwind. Den brauchen wir, um länger in der Luft zu bleiben.“ Dann gibt sie das Startzeichen: Daumen hoch. Ein kurzer Ruck und das 4,6 Millimeter dicke Stahlseil zieht sich straff. Das Segelflugzeug holpert einige Meter über die Startwiese, hebt ab und steigt den Wolken entgegen. Das 420 Kilo schwere Flugzeug fliegt mit rund 100 km/h über den Bernsteinsee, und auch die Autostadt Wolfsburg ist von weitem zu erkennen.

Nach sechs Minuten landet die 45-Jährige und hat wieder festen Boden unter ihren Füßen. Die anderen Mitglieder helfen, die Maschine wieder zu ihrer Startposition zurückzuschieben. „Segelfliegen ist ein absoluter Teamsport. Mindestens vier Leute müssen am Boden unterstützen. Sie bedienen die Seilwinde oder geben am Funkgerät das Startsignal durch. Von Mitte März bis Anfang Oktober ist Flugsaison beim Verein. Klarer, blauer Himmel ist für die Segelflieger das perfekte Wetter. Bei Regen, Schneefall und Sturm darf aus Sicherheitsgründen nicht geflogen werden.

Das Segelflugzeug des Aero-Clubs Wolfsburg hebt mit Flugschülerin Jessica Scheer und dem 1. Vorsitzenden Uwe Brandt ab.
Das Segelflugzeug des Aero-Clubs Wolfsburg hebt mit Flugschülerin Jessica Scheer und dem 1. Vorsitzenden Uwe Brandt ab. © regios24 | Helge Landmann

In den Wintermonaten müssen die Flugzeuge des Aero-Clubs Wolfsburg gewartet werden

In den Wintermonaten werden die Flugzeuge in der eigenen Werkstatt und Halle gewartet. Die Segelflugzeuge müssen instandgehalten werden. Die Flugschüler und Piloten müssen zudem alle zwei Jahre zu einer Prüfung, um ihre Flugtauglichkeit zu verifizieren. In diesem Jahr blickt der Wolfsburger Verein auf eine 50-jährige Geschichte in Stüde zurück. „Die Planungen für die große Feier laufen schon auf Hochtouren. Wir wollen auch der Öffentlichkeit einiges bieten“, sagt Brandt. Für Interessierte werden Schnupperkurse und Gästeflüge angeboten. „Die Schnupperkurse werden gut angenommen. Die Leute wollen wissen, ob das Segelfliegen etwas für sie ist“, berichtet der 1. Vorsitzende.

Uwe Brandt, Fluglehrer und 1. Vorsitzender des Aero-Clubs Wolfsburg, putzt eines seiner Lieblingsflugzeuge in der großen Halle.
Uwe Brandt, Fluglehrer und 1. Vorsitzender des Aero-Clubs Wolfsburg, putzt eines seiner Lieblingsflugzeuge in der großen Halle. © FMN | Daniel Kalis

Für Jessica Scheer endet der Tag nach mehreren Starts und Landungen. Freudestrahlend steigt sie immer wieder in und aus dem Segelflieger aus. „Fliegen ist eine Bereicherung für mein Leben und es macht mich unfassbar glücklich“, sagt Scheer. Ein Hobby in luftiger Höhe, für das die Mitglieder des Aero-Clubs Wolfsburg mit voller Leidenschaft brennen.

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