Braunschweig. Eine Einsatzkraft aus Braunschweig erzählt vom Großbrand in der Chemiefabrik. Die nun einsetzenden Lobeshymnen will sie gar nicht hören.

Als Natascha von Aspern am Dienstag die Brandstelle in der Braunschweiger Chemiefabrik erreicht, ist es 13 Uhr. Die Flammen schlagen bis zu 30 Meter hoch, immer wieder explodieren Spraydosen. „Ich habe schon einige große Einsätze erlebt, aber das hier war schon eine andere Lage“, sagt von Aspern, die sich in Braunschweig bei der Freiwilligen Feuerwehr engagiert.

Die Berufsfeuerwehr ist gegen Mittag schon längst da. In der Produktionshalle mit Chemikalien in der Firma bei Braunschweig-Rautheim verpufften Flüssigkeiten in einer der Maschinen. Brandmelder lösten sofort den Alarm aus, wie die Feuerwehr schilderte. Von Aspern musste erst ihren Arbeitsplatz verlassen. Als sie ankommt, legt sie schnell den Atemschutz an, will sich zum Brandherd vorarbeiten. Doch die 33-Jährige schildert, dass sie so etwas noch nicht gesehen hat. Sie gibt zu: „Wir mussten plötzlich vor dem Feuer weglaufen.“

Zu gefährlich ist die Lage. Dabei ist die Chemiefabrik der Feuerwehr bekannt: Es gab schon vorher einen konkreten potenziellen Einsatzplan der Fabrik – in der Leitstelle und in jedem Einsatzwagen der Feuerwehr. „In Wort und Bild“, sagt Feuerwehrsprecher Christian Längle. Der Gebäudekomplex, dort lagernde Stoffe, Notfalltüren und Zufahrtswege sind allen Einsatzkräften geläufig, da es sich um eine Chemiefabrik handelt. Viele leicht entzündliche Sprayprodukte, auch Rasierschaum oder Insektizide lagern dort. Vor allem vor dem 29 Tonnen schweren Flüssiggastank, der im Erdboden eingelassen ist, haben die Einsatzkräfte Respekt.

Braunschweigs Feuerwehrchef Malchau sagt: Macht keine Harakiri-Sachen

Als von Aspern sich dem Brandherd nähert, wird der Einsatz jäh unterbrochen. Zu undurchsichtig ist die Lage. Feuerwehrchef Torge Malchau habe die Devise ausgegeben: „Macht keine Harakiri-Sachen. Daran haben wir uns gehalten“, sagt die Feuerwehrfrau. Die Einsatzführung bläst plötzlich zum Rückzug. Immer wieder explodieren Behälter mit Chemikalien, die Flammen sind zu mächtig. „Ich bin mit anderen über ein Feld zum Hotel Aquarius gerannt“, sagt von Aspern. „Dort haben wir uns erst mal gesammelt.“ Etwa eine halbe Stunde habe das gedauert, vielleicht auch eine Stunde. Genau weiß das die Feuerwehrfrau nicht mehr.

Natascha von Aspern von der Freiwilligen Feuerwehr war beim Großbrand der Firma Aerosol Service GmbH in Braunschweig dabei.
Natascha von Aspern von der Freiwilligen Feuerwehr war beim Großbrand der Firma Aerosol Service GmbH in Braunschweig dabei. © Feuerwehr Braunschweig | Feuerwehr Braunschweig

Dann wagen die Feuerwehrleute einen erneuten Angriff auf das Großfeuer. „Es gab das Go, wieder nach vorne“, erinnert sich von Aspern. Und dieses Mal bekommen sie die Flammen nach und nach in den Griff. „Ich war dabei, habe vorne mit gelöscht“, sagt sie. „Ich habe noch nie so hohe Flammen gesehen.“ Vereinzelt explodieren immer noch Spraydosen und andere Behälter. „Dann gab es jedes Mal eine zwei bis drei Meter hohe Stichflamme“, sagt sie.

Zu dem Zeitpunkt, am frühen Nachmittag also, standen nur noch Gebäudegerippe, so die Feuerwehrfrau. „Vereinzelt fielen Ziegelsteine herunter. Auf die mussten wir aufpassen“, erklärt sie. Es war extrem gefährlich, schildert von Aspern die Lage. Sie habe sich gedacht: „Hoffentlich kommen wir alle heil und unverletzt nach Hause.“ Zwei verletzte Feuerwehrleute wird es aber geben, auch drei verletzte Polizisten. Die Beamten sind dafür zuständig, das Gebiet um die Chemiefabrik zu evakuieren. Erst hieß es, im Umkreis von einem Kilometer, dann nur noch im Umkreis von 500 Metern.

200 Feuerwehrleute bekämpfen den Großbrand in der Chemiefabrik in Braunschweig

Denn die Feuerwehrleute machen ihre Arbeit gut. Richtig gut. 200 von ihnen sind da – aus Braunschweig natürlich, aber auch aus Peine, Salzgitter, Wolfenbüttel, Wolfsburg und sogar aus Hannover. Die Feuerwehr hat neben dem Wasser aus dem Hydrantennetz auch zwei Großpumpen vor Ort, die Wasser aus der Wabe und der Mittelriede abpumpen. Eine der Großpumpen kommt aus Hannover, die andere von der Feuerwehr Braunschweig. Bis zu 1000 Kubikmeter Wasser pro Minute verbraucht die Wehr bei diesem Großbrand.

Von Aspern beschreibt, dass sich aber keiner der Feuerwehrleute ins Gebäude traut. Das ist immer noch viel zu gefährlich. Die Feuerwehrfrau hat einen richtig brenzlichen Moment. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Gastank steht da. Es ist zwar nicht der große Tank mit den 29 Tonnen Flüssiggas, aber ein weiterer Gastank. „Da kam zwischendurch eine ordentliche Stichflamme heraus“, so von Aspern. „Da ging mir ordentlich die Pumpe“, erinnert sie sich. Sie rennt mit anderen in den hinteren Abschnitt des Geländes, hinter eine Garage, und sucht Schutz. „Wir haben in diesem Moment um unser Leben gefürchtet.“

Die Einsatzleitung erkennt die Gefahr und gibt den Befehl an die Kollegen auf der Drehleiter: Gastank kühlen! Dann bekommen die Feuerwehrleute auch diese Situation in den Griff.

Feuerwehrfrau von Aspern hat sich Blasen an den Füßen gelaufen

Gegen 21 Uhr ist von Aspern wieder zu Hause. „Ich war vollkommen K.o.“ Sie hat sich Blasen an den Füßen gelaufen, muss erst mal duschen. „Ich habe ordentlich gestunken“, sagt sie und muss lachen. Ernsthafte Spuren hat der Einsatz bei ihr nicht hinterlassen. Offenbar auch keine psychischen. „Wir trainieren regelmäßig“, sagt sie.

Lob will sie für den Einsatz gar nicht haben. „Wir sind auch für solche Großeinsätze da. Das ist selbstverständlich.“ Landesinnenministerin Daniela Behrens (SPD) lässt sich trotzdem nicht abhalten. Sie ist am Mittwochabend in einem kurzen Video zu sehen, dass die Feuerwehr Braunschweig auf ihrer Instagram-Seite zeigt. Behrens erklärt darin: „Das war sicherlich kein einfacher Einsatz. Der Brand in Braunschweig war gefährlich und hochdynamisch.“ Sie attestiert der Feuerwehr „hohes Engagement“.

Auf der Instagram-Seite der Feuerwehr Braunschweig gratulieren Wehren aus der halben Republik den Braunschweigern zum Einsatz, darunter die Feuerwehren aus Recklinghausen und Magdeburg. Auch das THW Attendorn ist dabei. „Wahre Helden“ oder „Ihr seid einfach nur Helden“ schreiben die Leute. „Ein Hoch auf alle Einsatzkräfte“, schreibt eine Frau.

Das Gelände am Schöppenstedter Turm sieht aus wie aus einem Kriegsgebiet

Der Bereich um die Chemiefabrik ist am Mittwochmorgen immer noch gesperrt. Die Feuerwehr hat den Brand zwar unter Kontrolle, doch immer wieder lodern die Flammen, es gibt immer noch viele Glutnester. In einem Video vorm Morgen zeigt die Feuerwehr, wie es auf dem Gelände nun aussieht. Wie im Kriegsgebiet in der Ukraine. Ausgebrannte und völlig verkohlte Autos stehen herum, auch Gabelstapler. Die Gebäude sind nur noch schemenhaft zu erkennen. Schutt türmt sich neben Gebäude-Gerippen auf.

Um 7.30 Uhr ist von Aspern schon wieder am Geräteschuppen der Ortsfeuer in der Innenstadt. Schnell geht es weiter zur Chemiefabrik. Oder besser gesagt zu dem, was noch übrig ist. Wir erreichen Frau von Aspern gegen 17 Uhr am Telefon. Da ist längst noch nicht Schluss für sie. „Bis 20 Uhr wird es schon noch gehen“, sagt sie.

Laut Feuerwehr-Sprecherin Verena Paliga sind am frühen Abend immer noch 70 Kräfte im Einsatz. „Auch morgen werden wir weiter löschen“, sagt sie. Es gebe immer noch Glutnester, einzelne kleinere Brandherde auf dem Gelände. Die Drohnengruppe der Malteser und auch das THW haben sich vom Einsatzort entfernen können. Sie können aber von der Feuerwehr bei Bedarf jederzeit wieder gerufen werden. Womöglich ist dann auch Feuerwehrfrau von Aspern dabei. Aber Lob will sie ja nicht hören.

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