Wolfsburg. Leroy Sané war beim Bundestrainer erst ungewollt, jetzt ist er unverzichtbar. Der Ex-Schalker hat seine Einstellung verändert - das kommt an.

Nein, diese Geschichte soll sich nicht um jene weiße Pelzjacke drehen, die Leroy Sané übergeworfen hatte, als er am Montagmittag in Wolfsburgs Nobelhotel Ritz Carlton eincheckte, die laut „Bild“ 7000 Euro kostete und die dadurch ein (zu) großes Thema vor dem deutschen Länderspielauftakt gegen Serbien (Mittwoch, 20.45 Uhr, RTL) wurde.

Tochter bringt Sané auf andere Gedanken

Sie soll die Geschichte eines jungen Fußballers erzählen, der am 4. Juni überraschend für fast jeden außer Bundestrainer Joachim Löw nicht den Sprung ins endgültige Aufgebot für die Weltmeisterschaft in Russland schaffte. Aber nun, neun Monate und ein krachendes Vorrunden-Aus später, soll er eine tragende Rolle bei der Runderneuerung des DFB-Teams spielen: Sané - erst ungewollt, jetzt unverzichtbar.

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Wann begann der Wandel des wuscheligen Wirbelwinds?

Womöglich im September. Da kam Sanés erstes Kind zur Welt, eine Tochter. „Es ist eine komplett neue Situation, in die man geworfen wird, aber ich genieße sie“, sagt der 23-Jährige im Medienzelt vor der Wolfsburger Arena, in der am Mittwoch gespielt wird. Er komme durch seine Tochter besser zur Ruhe, lerne sich selbst besser kennen. „Sie bringt mich auf andere Gedanken. Ich habe meinen Kopf und meine Augen nur noch für sie. Was auf der Welt passiert“, sagt er, „interessiert mich nicht mehr, wenn ich nach Hause komme.“ War da vorher nur der Fußball in ihm und um ihn herum, begrüßt ihn nun ein kleiner Mensch, für den er die Verantwortung trägt. Und Verantwortung zu tragen, das wird nun auch von ihm im Nationalteam erwartet.

Die Zukunft des deutschen Angriffs

Langjährig funktionierende Ausnahmespieler wie Thomas Müller, Mats Hummels, Mesut Özil und Sami Khedira sind nicht mehr dabei, sie hinterlassen Lücken in der Persönlichkeitsstruktur. Die Jungen kommen nach und müssen diese füllen. „Ich liebe Herausforderungen“, sagt Sané dazu. „Mein Ziel ist es, auf dem Platz mehr voranzugehen und meine Leistung in jedem Spiel zu bringen.“ Mit Leipzigs Timo Werner und Bayerns Serge Gnabry, der wegen der Nachwirkungen eines grippalen Infekts gegen Serbien ausfällt, wird Sané langfristig die Zukunft des deutschen Angriffs sein.

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Löw beschreibt die Aufgabe dieses Mannschaftsteils so: „Es wird wichtig sein, Tempo, Dynamik und Zielstrebigkeit zu vermitteln. Das war bei den Spielen in Frankreich (1:2) und gegen die Niederlande (2:2) schon stark verbessert.“ In beiden Partien hatte die neue Generation Sané, Werner und Gnabry von Beginn an gespielt und die lang vermissten Offensivelemente eingebracht: Mut im Eins-gegen-eins, Hochgeschwindigkeits-Gegenstöße und Abschlussstärke.

Früher meckerte Kroos, jetzt lobt Löw

Sané im Mittelpunkt. Löw lobt: „Leroy hat außergewöhnliche Fähigkeiten und bringt diese nun auch bei uns gut zur Geltung.“ Das war zuvor zu oft anders gewesen. Bei Manchester City hatte der Linksfuß schon in seinem ersten Jahr nach dem Wechsel von Schalke 04 voll überzeugt und war zum Newcomer der Saison gewählt worden. Doch im DFB-Team klemmte es lange. „Ich musste mich erst mal daran gewöhnen, wie hier alles funktioniert“, sagt Sané.

In dieser Eingewöhnungsphase soll er aber nicht immer ausreichend Demut gegenüber Älteren und dazu zu selten seine Klasse auf dem Platz gezeigt haben. Anspruch und Wirklichkeit standen nicht im richtigen Verhältnis zueinander. Toni Kroos meckerte: „Natürlich ist er jemand, der mit seiner Körpersprache das Gefühl vermittelt: Ob ich gewinne oder verliere, ist nicht schlimm.“ Das ist für einen Leistungssportler ein schwerer Vorwurf, dem Sané seit dem Ausspruch entgegenarbeitet. „Er hat einen großen Schritt bei uns gemacht“, sagt Löw. „Er ist gefährlich und schießt Tore.“

Und der Grat zwischen Extravaganz und Arroganz ist schmal

Vielleicht darf man die weiße Pelzjacke doch nicht ganz außer Acht lassen. Sané hat einen Hang zur Selbst-Inszenierung. Auf dem Feld mit seinen unwiderstehlichen Dribblings sowieso. Dem deutschen Spiel tun sie gut, aber er hat diesen eben auch außerhalb des Rasens. Er hatte sich zum Beispiel unter anderem ein Tattoo seiner selbst in Jubelpose über den gesamten Rücken stechen lassen.

Und der Grat zwischen Extrava- und Arroganz ist schmal, besonders im hier und da biederen sowie hemdsärmeligen Deutschland und noch einmal mehr, wenn man bedenkt, dass der DFB seit Monaten versucht, die entstandene Kluft zwischen Nationalspielern und „der Basis“ zu kitten. Da kann ein solches Kleidungsstück reichlich deplatziert wirken. Für Löw aber ist das Thema „überhaupt keines“, dem Bundestrainer sei das Outfit seiner Nationalspieler „völlig egal“. Und Sané selbst grinst und sagt: „Das ist halt Geschmackssache.“ Wichtiger ist sowieso, was er auf dem Rasen zeigt – und da ist die Tendenz seit Monaten unübersehbar. Löw: „Leroy macht es gut, aber er hat noch viel Potenzial.“ Das klingt fast schon wie eine Drohung an den Rest der Fußballwelt.