Gelsenkirchen. Ein Unentschieden gegen Deutschland würde zum Gruppensieg reichen. Trainer Ronald Koeman pfeift auf taktische Tradition.

Der Panenka von Memphis Depay in der 95. Minute zum 2:0-Endstand brachte die Rotterdamer Kuip zum Explodieren und zeigte eindrucksvoll: Die “Elftal” ist wieder da – und wie.

Der glänzende 2:0-Sieg gegen Weltmeister Frankreich versetzt die Niederlande in Ekstase. Nach dem Verpassen der Qualifikation für die Fußball-Europameisterschaft 2016 und -Weltmeisterschaft 2018 schöpft Oranje wieder Selbstvertrauen. Nicht weil man in der Nations League den Abstieg des Erzrivalen Deutschland besiegelte, sondern weil Holland wieder eine junge und hungrige Mannschaft hat, die wieder auf bessere Zeiten hoffen lässt.

Der Aufschwung der “Elftal”hat viele Gesichter und Faktoren. Hier die wichtigsten:

Ronald Koeman

Bereits nach Platz drei bei der WM 2014 in Brasilien hätte der niederländische Fußballverband den Ex-Nationalspieler als neuen Bondscoach haben können. Koeman wollte, das Volk wollte ihn, doch Louis van Gaal hatte beim KNVB Werbung für seinen Schützling Danny Blind gemacht, der zunächst als Assistent von Guus Hiddink langsam als Nationaltrainer der Zukunft aufgebaut werden sollte.

Statt “holländischer Löw” (der erst Co-Trainer unter Klinsmann war, ehe man ihn nach dem Sommermärchen 2006 zum Chef-Bundestrainer ernannte) entpuppte sich der Plan mit Blind als eines der größten Missverständnisse in der Geschichte des holländischen Fußballs. Die Ajax-Legende hatte bereits bei seinen verschiedenen Funktionen bei seinem Amsterdamer Herzensverein Erfolg vermissen lassen und anschließend die Hauptrolle am Verpassen von zwei großen Turnieren der einst so großen Fußballnation.

Der KNVB hatte Glück, dass Ronald Koeman nach seinem Erfolg in der Premier League bei Southampton (2014) die Erwartungen beim FC Everton nicht erfüllen konnte und im Februar 2018 ohne Job war, als der niederländische Fußball und die Nationalmannschaft am Boden waren. Seit seiner Anstellung geht es Schritt für Schritt aufwärts beim holländischen Patienten.

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Der heute 55-Jährige zeigte nicht von Anfang nur Mut, den Generationenumbruch in der “Elftal” personell kompromisslos durchzuführen, sondern sich auch über die Philosophie der “holländischen Schule” hinwegzusetzen und die festgefahrene Taktik aus Tradition mit physischem Fußball der Gegenwart zu ersetzen. Vorbei ist die Zeit des fest zementierten 4-3-3s: Oranje 2018 wechselt je nach Gegner munter die Systeme und kann inzwischen sogar Dreierkette, Kontern und Kontrollieren und nicht nur in der Schönheit des offensiven Ballbesitzfußballs sterben.

Koeman nominiert mutig und stellt mutig auf. Er setzt auf Form und Talent, auf Nobodies, nicht auf Namen. Jungen Begabten wie Denzel Dumfries aus der Eredivisie schenkt er rasch das Vertrauen – und liegt mit seinen Entscheidungen selten daneben.

Es weht ein frischer Wind durchs Oranje-Lager. Auch als Motivator glänzt der frühere Barcelona-Star an der Seitenlinie. Die Zeit der Egos ist vorbei: Selten war der Teamspirit bei der “Elftal” besser.

Virgil van Dijk

Teammanager Jürgen Klopp vom FC Liverpool wurde zunächst belächelt, über 80 Millionen Euro für einen Verteidiger auf den Tisch zu legen, den niemand zur Weltspitze zählte. Inzwischen weiß die Fußballwelt: der Ex-BVB-Trainer hatte den richtigen Riecher. Der nicht nur physisch starke, sondern auch spielstarke Defensivmann hat nicht nur die Liverpooler Hintermannschaft stabilisiert und bis ins Endspiel der Champions League geführt, sondern ist inzwischen gemeinsam mit seinem “Reds”-Kollegen und Mittelfeld-Allrounder Georginio Wijnaldum unumstrittene Führungsfigur der neuen “Elftal”. Seitdem Koeman ihn zu seinem Kapitän machte, blüht der 27-Jährige regelrecht auf. Davon profitiert auch sein Nebenmann:

Mathijs de Ligt

Mit 19 Jahren nicht nur Kapitän in der Königsklasse mit Ajax Amsterdam, sondern seit Freitag auch alleiniger Rekordhalter in den Niederlanden: Im Teenageralter bestritt er bereits zwölf Länderspiele. Seine Bestmarke dürfte das Abwehrass noch weiter ausbauen: Erst in neun Monaten wird er 20 Jahre alt.

Der spielstarke Verteidiger wird seit langem mit dem FC Barcelona in Verbindung gebracht, der seit dieser Saison einen weiteren Teamkollegen auf dem Zettel hat:

Frenkie de Jong

Der 21-Jährige ist inzwischen nicht nur Dreh- und Angelpunkt bei Ajax Amsterdam, sondern auch der hellste Stern im Oranje-Mittelfeld. Gegen Frankreich bewies der Zauberfuß, der wegen seines Weltklasse-Passspiels mit Mario Götze in Glanzform verglichen wird, dass er auch harte Zweikämpfe führen kann, wenn es drauf ankommt. 112 Ballkontakte und 95 gespielte Pässe (88 davon erfolgreich) gegen den Weltmeister sprechen eine eindrucksvolle Sprache. De Jong verkörperte die Frische und das Potenzial, was in Koemans neuer Elftal steckt.