Natürlich wird sie nun wieder herbeigeredet, die Spannung. Heute beginnt für die Bundesliga nach der langen Winterpause der Alltag, der Pokalsieger RB Leipzig empfängt den Deutschen Meister FC Bayern (20.30 Uhr/Sat.1 und DAZN); durch einen Sieg könnten die Leipziger drei Punkte an die Übermacht aus dem Süden Deutschlands heranrücken, auf Platz zwei hat zudem der SC Freiburg die Münchener im Blick. Aber mal ehrlich, glaubt jemand wirklich daran, dass nach dem letzten Spieltag jemand anderes als die hochbezahlten Profis von der Säbener Straße die Meisterschale in den Händen halten? Eben.
Der höchsten deutschen Spielklasse mangelt es an einem knisternden Titelkampf, die größten Stars verdienen ihr Geld in anderen Ländern, die englische Premier League begreift die Bundesliga als Schnäppchenmarkt für neue Spieler. Und dann hat auch noch die deutsche Nationalelf bei der Weltmeisterschaft in Katar enttäuscht, schon nach der Vorrunde ging es nach Hause. Fußball-Euphorie? Muss man in Deutschland derzeit lange suchen.
Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) fahndet daher nach einer Vision für die Zukunft. Was muss geschehen? Was muss sich ändern? Vier Thesen, die, so viel ist sicher, auf großen Widerstand stoßen würden.
FC Bayern, bitte raus!
Beginnen wir direkt mit der Super League, deren Planung bereits Fanaufstände ausgelöst hat. Im April 2021 wurde das Projekt von zwölf europäischen Spitzenklubs angestoßen, es scheiterte kläglich, weil der Ärger die Verantwortlichen fast erdrückte. Begraben ist die Idee des neuen Wettbewerbs aber nicht, und der Bundesliga könnte es ja helfen, wenn der übermächtige FC Bayern dem deutschen Profifußball den Rücken zukehrt. Oder?
Am Dienstag bildeten die vielen Gesprächsfetzen in der Industriehalle in Offenbach einen dröhnenden Geräuschpegel, während sich Oliver Kahn vor den Mikrofonen positionierte. Die DFL hatte zum traditionellen Neujahrsempfang geladen, da durfte der Vorstandsvorsitzende des mächtigsten Klubs nicht fehlen. Der FC Bayern müsse international erfolgreich sein, er werde daran gemessen, dass er Stars habe, sagte Kahn. „Das alles kostet Geld, das alles muss bezahlt werden. Und wenn wir international erfolgreich sind, dann strahlt das auch ab auf die Bundesliga. Das ist ein Kreislauf, den gilt es, immer aufrecht zu erhalten.“ Fehlt dann nicht die Spannung? „Das müssen Sie mich nicht fragen. Meine Aufgabe ist es, dass der FC Bayern zu den besten Klubs der Welt gehört.“
Die Münchener schaden und nützen der Liga, würden sie in einen neu geschaffenen Milliarden-Wettbewerb umziehen (Borussia Dortmund würde, nebenbei bemerkt, wohl mitkommen), würde sich die weltweite Aufmerksamkeit auf die Super League konzentrieren. Dafür würde es in der Bundesliga vermutlich spannender zugehen. Andererseits könnten neue Großmächte heranwachsen, vielleicht wäre der neue FC Bayern dann Eintracht Frankfurt. Oder, für viele kaum auszuhalten, RB Leipzig.
Flüge nach Saudi-Arabien buchen
Gerade hat der FC Barcelona den spanischen Supercup gewonnen. In, genau: Saudi-Arabien. Das bringt Spaniens Verband 40 Millionen Euro pro Jahr, die Menschrechtslage in dem autoritären Staat interessiert da wenig. Wer Stars finanzieren möchte, benötigt Geld, das hat weiter oben schon Oliver Kahn erklärt. Genauso könnte sich auch die Bundesliga nach neuen Vermarktungsmöglichkeiten umschauen, um die Einnahmen dafür zu nutzen, mehr hochklassige Fußballer in Deutschland anzustellen. Es muss ja nicht Saudi-Arabien sein, vielleicht werden es die USA.
Allerdings bräuchte die Liga ohne den FC Bayern (siehe These eins) erst gar nicht verreisen. Der Fanprotest wäre ohnehin immens.
Play-offs, Baby
„Wir haben uns immer offen gezeigt“, sagte Oliver Kahn. „Das heißt nicht, dass wir das befürworten. Ich habe nur gesagt, lass uns doch diskutieren.“
Play-offs, also eine K.o.-Runde am Ende der Saison, würden die Spannung in jedem Fall vergrößern. Das Vorbild: die US-amerikanischen Profiligen, gerade finden die Play-offs im Football statt und ziehen Fans weltweit in den Bann.
Sich nach 34 Spieltagen vor den FC Bayern zu schieben, ist eine fast unlösbare Aufgabe, den Rekordmeister in einem Spiel zu schlagen, ist hingegen möglich. Die Play-offs ließen sich zusätzlich vermarkten, das Ausland würde darauf schauen, was da in Deutschland vor sich geht. Noch scheint diese Revolution im Spielbetrieb weit weg, aber wenn der FC Bayern weitere zehn Jahre in Folge Meister wird, könnte sich dies schnell ändern.
50+1-Regel abschaffen
Fredi Bobic, früher mal Stürmer unter anderem bei Borussia Dortmund, arbeitet schon etwas länger als Sportvorstand bei Hertha BSC, also bei einem Klub, der zuletzt leidliche Erfahrungen mit einem Investor gemacht hat. Lars Windhorst pumpte Millionen in den Verein in der Hauptstadt, seine Erwartungen erfüllten sich nicht, also zog er sich zurück, auch weil er nicht so viel Einfluss nehmen konnte, wie er wollte. Der Grund: die 50+1-Regel; sie besagt, dass die Mehrheit der Anteile eines Vereins in den Händen der Mitglieder liegen muss.
„Gesunde Investoren braucht jeder Verein“, sagte Fredi Bobic am Dienstag, bevor sich Oliver Kahn äußerte. Aber ein Verein dürfe seine Identität nicht verlieren, so Bobic. „Wir haben die 50+1-Regel, wir stehen dazu. Dass sie fällt, kann möglich sein, liegt aber nicht in meinen Händen.“
Die Befürworter für die Abschaffung glauben, dass ein Ende der 50+1-Regel neue Investoren und daher mehr Geld anlocken würde. Plötzlich könnte sich, so die Wunschvorstellung, ein neureicher Klub teure Stars leisten und den FC Bayern in der Bundesliga gefährden. Das Beispiel Hertha zeigt jedoch, dass es dafür enorme Summen braucht und trotzdem nie gesichert ist, dass alles glatt läuft.
Spannung lässt sich zwar herbeisehnen, aber nicht einfach per Knopfdruck erzeugen.