Berlin. Erst Taiwan, dann die Ukraine und nun ein Spionageballon über Montana: Die Spannungen zwischen China und den USA nehmen bedenklich zu.

Die Szene könnte aus dem Kalten Krieg stammen. China überfliegt mit einem Spionageballon den US-Bundesstaat Montana, in dem atomar bestückte Interkontinentalraketen gelagert sind. Das Pentagon erwog zeitweise den Abschuss des Ballons. Am Sonntag wollte US-Außenminister Antony Blinken eigentlich nach Peking reisen. Doch nach dem Vorfall sagte er die Reise kurzfristig ab. Wie gefährlich sind die Spannungen zwischen Amerika und China? Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Was steckt hinter dem Flug des chinesischen Spionageballons?

Über dem US-Bundesstaat Montana wurde ein chinesischer Spionage-Ballon in mehr als zehn Kilometern Höhe gesichtet. Pikant dabei: Rund um den Luftwaffenstützpunkt Malmstrom liegen Abschussbasen für 150 atomare Interkontinental-Raketen vom Typ Minuteman III. Der Ballon, der auf Fotos als große weiße Kugel mit Radar-Flügeln zu erkennen ist, sei bereits vor einigen Tagen in den amerikanischen Luftraum eingedrungen, hieß es in Washington.

Das Pentagon erwog zeitweise den Abschuss über dem vergleichsweise menschenleeren Montana. Am Flughafen in Billings wurde präventiv eine Flotte von F-22-Kampfjägern mobilisiert. In Absprache mit Verteidigungsminister Lloyd Austin und US-Präsident Joe Biden wurde darauf verzichtet. Die Sorge vor abstürzenden Trümmerteilen sei der Hauptgrund gewesen, so das Verteidigungsministerium. Die Spionagesysteme des Ballons würden nur einen „begrenzten Mehrwert“ im Vergleich zu Informationen aus modernen Satelliten liefern, fügte das Pentagon hinzu.

Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums in China teilte am Freitag mit, es habe sich um ein „ziviles“ Luftschiff für Forschungszwecke gehandelt. Der Ballon diene vor allem der meteorologischen Forschung, sei durch starke Westwinde aber von seinem Kurs abgekommen. „China bedauert den unerwarteten Eintritt in den Luftraum der USA durch höhere Gewalt“, teilte der Sprecher mit.

Im US-Außenministerium nahm man die Erklärung zur Kenntnis, verweis aber darauf, dass die Anwesenheit des Ballons eine „klare Verletzung“ der amerikanischen Souveränität und des internationalen Rechts sei.

Ein Spionageballon schwebte über Montana. Laut China sei es ein „ziviles“ Luftschiff für Forschungszwecke gewesen.
Ein Spionageballon schwebte über Montana. Laut China sei es ein „ziviles“ Luftschiff für Forschungszwecke gewesen. © dpa | Larry Mayer

Warum sagte US-Außenminister Antony Blinken seine Reise nach Peking ab?

Eigentlich war US-Außenminister Antony Blinken am Sonntag und Montag zu Gesprächen in Peking erwartet worden, um seinen chinesischen Amtskollegen Qin Gang zu treffen – es wäre der erste China-Besuch eines US-Außenministers seit 2018 gewesen. Nun solle der Besuch zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden, sobald die Umstände dies zuließen, sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des US-Außenministeriums am Freitag in Washington.

Warum warnen die USA vor einem Krieg mit China?

Bereits am Wochenende war die private Einzelmeinung des hochdekorierten amerikanischen Luftwaffen-Generals Mike Minihan durchgesickert, der mit einem Krieg zwischen den USA und der Volksrepublik im Jahr 2025 rechnet – als Folge einer Annexion Taiwans durch Peking. Das Pentagon kassierte allerdings die Einschätzung sofort ein. Dennoch: Für den Fall einer Taiwan-Annexion hatte Präsident Biden der Inselrepublik mehrfach militärischen Beistand durch das US-Militär versprochen.

Auch CIA-Direktor William Burns betrachtet China als latente Gefahr. Aus geheimdienstlichen Erkenntnissen wisse man, dass Chinas Staatschef Xi Jinping die Order an sein Militär ausgegeben habe, 2027 für eine Invasion in Taiwan bereit zu sein. Das bedeute aber nicht, dass der Entschluss für einen Angriff zu diesem oder zu einem anderen Zeitpunkt gefallen sei.

Lesen Sie hier: Taiwan: Kann die Insel eine Invasion aus China abwehren?

Weshalb wollen die Chinesen Taiwan an die Volksrepublik angliedern?

Die kommunistische Führung betrachtet die 23 Millionen Einwohner zählende Insel Taiwan als „unabtrennbaren Teil Chinas“ und droht mit einer Eroberung. Taiwan, das nie zur Volksrepublik gehört hat, sieht sich längst als unabhängig an. Die USA lehnen wie die Bundesregierung jede gewaltsame Veränderung des Status quo als inakzeptabel ab. Beim Parteitag der Kommunistischen Partei im Oktober hatte Xi unterstrichen: Sein Land werde sich in der Taiwan-Frage „niemals dazu verpflichten, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten“.

Inwieweit verschärft der Ukraine-Krieg den Konflikt zwischen den USA und China?

In Washington ist man enttäuscht, dass China die Russen nicht beim Vormarsch in der Ukraine stoppt. Peking liefert zwar keine Waffen an Moskau, trägt aber die westlichen Sanktionen nicht mit. Russlands Kampf gegen den Westen entspricht Pekings Narrativ, das sich gegen die „Dominanz des Westens“ – vor allem das US-Militär – im Pazifik wehrt.

Peking sieht nicht Moskau, sondern Washington als Urheber des Ukraine-Kriegs. „Die USA sind diejenigen, die die Ukrainekrise ausgelöst haben“, erklärte Außenamtssprecherin Mao Ning. Indem die USA schwere und offensive Waffen an die Ukraine lieferten, verlängerten und verstärkten sie den Konflikt nur.

Wieso entsenden die USA mehr Militär in den Pazifik?

Washington ist Chinas Politik im Pazifik ein Dorn im Auge. Die Chinesen legen auf umstrittenen Inseln Militär-Stützpunkte an. Peking beansprucht praktisch das gesamte Südchinesische Meer für sich. Auch Brunei, Indonesien, Malaysia, die Philippinen und Vietnam erheben jedoch Anspruch auf Teile des Meeresgebiets. Zudem führt ein bedeutender Teil des Welthandels durch diese Region.

Die Philippinen gewährten den USA kürzlich Zugang zu vier neuen Militärbasen. Der Vertrag sichert dem Pentagon eine Militärpräsenz auf dem riesigen Archipel wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Die Philippinen liegen exakt an der geografischen und historischen Schnittstelle zwischen den pazifischen Einflusssphären der USA und Chinas. Ihre nördlichste Insel liegt rund 180 Kilometer südlich von Taiwan.

Sollte es zu einem Krieg um Taiwan kommen, wären die Philippinen für die US-Streitkräfte neben ihren Luftwaffen-, Marine- und Truppenbasen auf Guam, in Japan und Südkorea von großer strategischer Bedeutung. Bereits heute sind dort Zehntausende US-Soldaten stationiert. Sicherheitspartnerschaften gibt es zudem mit Australien und Neuseeland.

Was ist der breitere Hintergrund für die Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China?

Die USA betrachten Chinas politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aufstieg mit großem Misstrauen. Es ist eine Rivalität der geopolitischen Alphatiere. Ökonomen prognostizieren, dass die Volksrepublik in wenigen Jahren die USA als größte Volkswirtschaft der Welt ablösen wird. Amerika versucht zumindest auf zwei Feldern seine Überlegenheit zu bewahren: beim Militär und bei der Hochtechnologie, wo bereits strikte Exportkontrollen eingeführt wurden.