Berlin. Im Bundestag geraten CDU-Chef Friedrich Merz und Kanzler Olaf Scholz aneinander. Scholz zeigt dabei ganz unbekannte Seiten von sich.

Olaf Scholz ist geladen, als er an das Rednerpult im Bundestag tritt. Sofort wendet sich der Kanzler an Friedrich Merz: „Unterschätzen Sie unser Land nicht. Unterschätzen Sie nicht die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes“, sagt Scholz an den Oppositionsführer gerichtet. In schweren Zeiten wachse Deutschland über sich selbst hinaus, es gebe eine Tradition des Unterhakens. „Wer Spaltung herbeiredet, der gefährdet den Zusammenhalt in diesem Land und das ist jetzt das Falsche.“

In den nächsten Minuten arbeitet sich der Kanzler an Unionsfraktionschef Merz, den Versäumnissen der CDU in der Vergangenheit und den Vorwürfen von CDU und CSU gegen die Ampel-Regierung ab. Der Sozialdemokrat ist kampfeslustig und wird laut. Da scheinen selbst Abgeordnete der Koalition ganz erstaunt, einige stehen am Ende applaudierend auf. Begeistert twittert SPD-Chef Lars Klingbeil ein Feuersymbol. Wer Scholz in dieser Generaldebatte gehört hat, weiß worüber Klingbeil sich freut.

Kanzler Olaf Scholz mit Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner im Bundestag.
Kanzler Olaf Scholz mit Vizekanzler Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner im Bundestag. © Getty Images | Sean Gallup

Inflation, Krieg, Entlastungen: Große Themen bestimmen die Debatte

Mitreißende Reden sind ja nicht gerade die Stärke des Kanzlers. Vergangene Woche war der Sozialdemokrat nach Prag gereist, um dort an der Karls-Universität eine große Rede zur Europapolitik zu halten. Der Termin war Scholz wichtig – und doch trug er den Text so monoton vor, als habe es sich um die Eröffnung eines Schwimmbadanbaus in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister gehandelt. Die Koalition kann Friedrich Merz also durchaus dankbar sein, dass der CDU-Vorsitzende den Kanzler mal so richtig angestachelt hat.

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Als Oppositionsführer darf Friedrich Merz am Mittwochmorgen die Generaldebatte eröffnen, in der es auf dem Papier um den Haushalt des Kanzleramts geht. Traditionell spielen die Zahlen aber keine Rolle, es geht um die großen Linien der Regierungspolitik.

Diskussionsthemen gibt es in diesen Tagen viele: Russlands Krieg gegen die Ukraine, die Energiekrise, die dramatischen Belastungen für die Bevölkerung. Und die Reaktion der Bundesregierung auf all diese Herausforderungen.

Als Oppositionsführer eröffnete Merz die Generaldebatte.
Als Oppositionsführer eröffnete Merz die Generaldebatte. © AFP | Tobias Schwarz

In Zeiten der großen Koalition waren die Debatten oft zäh. Union und SPD hielten zusammen. Die Opposition bekam die Kanzlerin nicht zu packen, Angela Merkel suchte die Auseinandersetzung nicht. Heute geht es rund.

Waffenlieferungen und Atomlaufzeiten: Merz kritisiert die Ampel-Koalition

Zum Auftakt hebt Merz noch hervor, wie die Union gemeinsam mit der Regierung im Bundestag zur Modernisierung der Bundeswehr für 100 Milliarden Euro und zur Unterstützung der Ukraine stimmte. „Mit diesen beiden Entscheidungen enden dann aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen Ihrer Regierung und uns“, beginnt der CDU-Chef seine Abrechnung.

Scholz habe zugesagt, den jährlichen Etat der Bundeswehr zu erhöhen, nun solle aber gekürzt werden. „Herr Bundeskanzler, wir müssen es leider feststellen, wir können den von Ihnen gegebenen Zusagen nicht vertrauen.“

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Merz hält Scholz vor, seine Zusagen zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zu brechen. Diese Zögerlichkeit verlängere den Krieg und fordere noch mehr Opfer in der Ukraine. Mit Andauern des Konflikts erleide auch die deutsche Wirtschaft immer größeren Schaden. Wirtschaftspolitisch fehle der Regierung ohnehin „jeder Kompass“, wirft Merz der Koalition Versagen im Krisenmanagement vor.

Das dritte Entlastungspaket sei nach wochenlangem Streit ein Sammelsurium von Kompromissen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner geworden, es sei der Größe der Herausforderungen nicht angemessen.

Im Zentrum der Kritik von Friedrich Merz: Wirtschaftsminister Robert Habeck.
Im Zentrum der Kritik von Friedrich Merz: Wirtschaftsminister Robert Habeck. © Getty Images | Sean Gallup

Besonders ins Visier nimmt Merz Wirtschaftsminister Robert Habeck, der sich am Vorabend in einer Talkshow mit Äußerungen zu Firmeninsolvenzen verstolpert hatte. „Hilflos“ sei der Grüne in diesen Fragen, bescheinigt ihm der selbsterklärte Wirtschaftsfachmann Merz. Habeck sei von Umwelt-Lobbyisten umgeben, „die alles zur Strecke bringen, was auch nur einigermaßen Aussicht auf Erfolg hat“.

Das „Meisterstück“ sei die Entscheidung, inmitten der Energiekrise die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen. „Stoppen Sie diesen Irrsinn!“, ruft Merz der Regierungsbank zu.

Scholz kritisiert CDU-Chef: Sie reden an den Problemen des Landes vorbei

Den Schulterschluss sucht Merz erst wieder, als er auf Zwischenrufe der AfD reagiert. Wenn die Partei die Probleme des Landes zum „Gegenstand von Auseinandersetzungen auf den Straßen in Deutschland“ machen wolle, sagt der CDU-Chef an die AfD-Abgeordneten zu seiner Rechten gerichtet, „dann werden wir ihnen mit allem, was wir haben, und notfalls mit allen anderen zusammen hier im Parlament entgegentreten.“

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Dann ergreift Scholz das Wort. Der Kanzler nutzt einen Großteil seiner Redezeit für eine Replik auf Merz. Für einen Oppositionsführer gibt es Schlechteres. Allerdings bemüht sich der Kanzler, die Angriffe ins Leere laufen zu lassen. Seine Taktik erinnert an das Wettrennen von Hase und Igel, bei dem der Igel dem losstürmenden Hasen immer wieder „Ich bin schon da!“ entgegenruft. Scholz ist der Igel.

Ob Energiewende, Flüssiggasterminals oder Befüllung der Gasspeicher, die Union habe jahrelang blockiert, geschlampt und geschludert, wirft Scholz seinem Vorredner vor. Seine Regierung aber habe nach Amtsantritt im Eiltempo weitreichende Entscheidungen getroffen, bevor Merz die Probleme überhaupt begriffen habe.

„Sie reden einfach am Thema und an den Problemen dieses Landes vorbei“, wirft Scholz seinem Widersacher vor. „Und wenn andere die Probleme lösen, die Sie noch nicht mal erkannt haben, dann reden Sie auch noch drumrum.“ Am Ende dürften beide mit ihrem Auftritt zufrieden gewesen sein.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.