Berlin/München. Mit der Wahl von Markus Söder zum CSU-Chef verschieben sich die Gewichte in Berlin zwischen dem Kabinett, Fraktionen und Parteien.

War Angela Merkel am Wochenende zum ersten Mal seit vielen Jahren langweilig? Kochte sie eine ihrer gerühmten Kartoffelsuppen und guckte mit einem Auge zum Fernseher, was da in München passierte?

Mit der Wahl Markus Söders zum CSU-Vorsitzenden hat nicht nur in Bayern eine neue Ära begonnen. Mit dem Machtwechsel in der CDU – Merkel gab den Vorsitz an Annegret Kramp-Karrenbauer ab – und Horst Seehofers Rückzug wird nun am Kabinettstisch der Bundesregierung kein Chef von CDU, CSU oder SPD mehr sitzen.

So verschieben sich die Machtzen­tren der großen Koalition entscheidend. Künftig wird ein Dreieck aus Kabinett, Fraktion und Partei regieren. Im Koalitionsausschuss, in dem künftig nicht mehr drei Parteivorsitzende allein entscheiden können (bislang Merkel, Seehofer und Nahles), werden fünf Leute sitzen. Kommen die Fraktionschefs dazu, werden es künftig auf jeden Fall sieben Personen sein, mit einer starken Übermacht der Union. Der erste Koalitionsausschuss in diesem Jahr tagte ­bereits quasi ohne Öffentlichkeit. Vertrauen herzustellen, das sei das Ziel gewesen, hieß es später. Die neue Fragmentierung der Macht birgt Chancen und Risiken.

• Parteien Bei der CDU ist Kramp-Karrenbauer dabei, nach ihrem Zittersieg beim Parteitag gegen Friedrich Merz ihre Macht zu festigen. Merz wurde als Berater kaltgestellt. AKK will sich auch stärker von Merkel abgrenzen. Bereits Anfang November 2018 skizzierte sie, dass Deutschland eine „bleierne Zeit“ erlebt habe. In den vergangenen Jahren habe die CDU-geführte Regierung viel zu häufig Entscheidungen getroffen, „die dann anschließend von der Partei mehr oder weniger mit Widerstand oder ohne Widerstand akzeptiert worden sind“, was zu erheblichem Unmut in der CDU geführt habe.

„Diese Methode passt nicht mehr in die heutige Zeit.“ Heißt übersetzt: Die CDU ist kein Abnickgremium für das Kanzleramt. Künftig müssten die Positionen in der CDU festgelegt werden und dann über die CDU/CSU-Bundestagsfraktion in den Regierungsapparat eingespeist werden.

Merz macht zukünftige Rolle von Kramp-Karrenbauer abhängig

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    Das klingt völlig anders als die ­Methode Merkel. Unter Merkel, besonders in den letzten Jahren, sahen viele in der CDU-Parteizentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, nur einen verlängerten Arm des Kanzleramts. Die Saarländerin AKK macht sich diesen Frust zunutze. Schon als Generalsekretärin ging sie auf Zuhörtour an der Basis. Als Parteichefin, die sich auch in der Abgrenzung zu Merkel bewähren muss, wird die 56-Jährige sehr auf die Interessenlage der CDU pochen. Da sie kein Bundestagsmandat besitzt, ist eine Abstimmung mit der Fraktion nötig.

    Die CSU kennt die Situation, dass in Berlin kein Chef der Partei im Kabinett vertreten ist. Unter Seehofer war das fast zehn Jahre so, bis er sich entschied, den Posten als bayerischer Ministerpräsident abzugeben und als Bundesinnenminister in das vierte Kabinett Merkels einzutreten. Der frisch­gewählte CSU-Chef Markus Söder, gleichzeitig bayerischer Ministerpräsident, sieht in der Kabinettsabstinenz auch kein Pro­blem.

    Dass das reibungslos funktioniert, „hängt vom Willen der Beteiligten ab“. Durch die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz bei der CDU sei ohnehin alles anders. „Der Koalitionsausschuss wird bedeutender, Partei und Fraktion auch. Es wird nicht mehr funktionieren, dass etwas in der Fraktion schiefgeht und es dann heißt, das biegt der Koalitionsausschuss schon hin“, sagt Söder. Schon jetzt stimme er sich mit Kramp-Karrenbauer ab. Beide wissen: Noch so einen Sommerkrach wie in der Migrationsfrage zwischen Seehofer und Merkel werden die Bürger der Union nicht verzeihen.

    Andrea Nahles: "Seehofers Rückzug ist ein frischer Start für die Koalition, hoffe ich."

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      Bei der SPD ist Nahles, die erst seit April die Partei anführt, jetzt neben AKK und Söder plötzlich dienstälteste Parteichefin der Koalition. Allerdings ist Nahles’ Rückhalt in der SPD über­schaubar. Sie will zwar wie Finanzminister Olaf Scholz solide mit der Union den Koalitionsvertrag abarbeiten, die verunsicherte Partei verlangt aber mehr Profil und Trophäen. Zwischen AKK, Söder und Nahles wird es darauf ­ankommen, ein Geben und Nehmen zu organisieren, bei dem alle drei Parteien Gewinne erzielen können.

      • Fraktion Ralph Brinkhaus, der neue Fraktionsvorsitzende von CDU und CSU im Bundestag, der Merkels Vertrauten Volker Kauder von dem Posten vertrieb, will Gewicht und Selbstbewusstsein der Fraktion gegenüber der Regierung stärken. Im Ringen mit der Kanzlerin um Entscheidungen dürfe es nicht dazu kommen, dass Drohungen und Druck bestimmte Positionen möglich machten. Aus den Gesprächen zwischen Merkel und Brinkhaus dringt wenig nach draußen. Bislang läuft es relativ reibungslos. Die Abstimmung zwischen Brinkhaus und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt klappt dem Vernehmen nach ebenfalls gut.

      Ob die Chemie zwischen Söder und dem Seehofer-Vertrauten Dobrindt wirklich belastbar ist, wird sich zeigen. „Die haben gar keine andere Wahl“, sagt ein CSU-Vize. Dobrindt jedenfalls kann sich keine Alleingänge mehr leisten. Unklar, ob Seehofer, immer noch Bundesinnenminister mit riesigem Ressort, in Zukunft aus dem Machtzirkel ferngehalten wird. Dobrindt gibt sich nach außen jedenfalls überzeugt, dass ein Aufbruch gelingt: „Wechsel ist ein wesentlicher Teil der Politik. Wir werden eine intensive Zusammenarbeit mit Markus Söder pflegen, im besten Sinne uns gegenseitig unterstützen.“

      • Kabinett Einen Ministeraustausch hat Kanzlerin Merkel in nächster Zeit ausgeschlossen. Kramp-Karrenbauer will gar nicht ins Kabinett. Bei der SPD aber wird spätestens nach der Europawahl Ende Mai etwas passieren. Die ­jetzige Justizministerin und Europa-Spitzenkandidatin, Katarina Barley, wird nach Brüssel wechseln. Merkel widmet ohne CDU-Vorsitz ihre ganze Kraft der Kanzlerschaft und Weltpolitik. Wo früher ihre zur Raute gefalteten Hände oft allein stoischen Willen ausdrückten, brechen mit dem Macht-Dreieck nun neue Zeiten an.