Berlin. Der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz kann es in Umfragen mit der Kanzlerin Merkel aufnehmen. Inhaltlich bleibt er aber bislang vage.

Es war ein starker Auftritt für den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz: Mit Jubel und minutenlangem Beifall wurde der 61-Jährige am Mittwoch in der SPD-Bundestagsfraktion empfangen – keine 24 Stunden, nachdem der Parteichef Sigmar Gabriel dort seinen Rückzug angekündigt hatte. Die Genossen erhoffen sich von Schulz Aufwind für den Bundestagswahlkampf. Aber wie gefährlich wird er wirklich für Angela Merkel?

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Dafür steht der Kandidat:

Popularität: Relativ hoch. 64 Prozent der Befragten halten Martin Schulz für einen guten Kanzlerkandidat, ergab eine Umfrage des „ARD-DeutschlandTrends“ am Mittwoch dieser Woche. 14 Prozent der Befragten tun dies nicht. Obwohl Schulz in Berlin noch nicht viel in Erscheinung getreten ist, liegt er gleich auf mit Merkel: Wenn man den Bundeskanzler direkt wählen könnte, würden sich 41 Prozent der Befragten für Angela Merkel entscheiden (-2 Punkte im Vergleich zu Dezember), so der DeutschlandTrend. Ebenso viele würden Martin Schulz wählen (+5). Eine Umfrage von Emnid vor einigen Tagen hatte ähnliche Werte ergeben – 39 Prozent für Merkel, 38 Prozent für Schulz.

„Mister Europa“ Martin Schulz in Fotos

Er steht für das Projekt Europa, nun zieht es ihn nach Berlin. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kandidiert für den Bundestag. Das Foto zeigt Schulz an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt.
Er steht für das Projekt Europa, nun zieht es ihn nach Berlin. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) kandidiert für den Bundestag. Das Foto zeigt Schulz an einem seiner größten Tage – mit der Medaille des Friedensnobelpreises, die 2012 die Europäische Union als Institution erhielt. © REUTERS | REUTERS / NTB SCANPIX
Europa ist für den Mann aus Aachen, der nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs, ein Herzensanliegen.
Europa ist für den Mann aus Aachen, der nahe der Grenze zu den Niederlanden aufwuchs, ein Herzensanliegen. © dpa | Stephanie Lecocq
Zusammen mit dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker (re.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU.
Zusammen mit dem EU-Kommissionpräsidenten Jean-Claude Juncker (re.) bildete Martin Schulz jahrelang das Führungsduo der EU. © dpa | Axel Heimken
SPD-Mitglied Schulz wechselt nun in die Bundespolitik – doch welche Ämter er in Berlin anstrebt, ist noch offen.
SPD-Mitglied Schulz wechselt nun in die Bundespolitik – doch welche Ämter er in Berlin anstrebt, ist noch offen. © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
Es wurde spekuliert, Schulz solle als Kanzlerkandidat der SPD für die Wahl 2017 in Stellung gebracht werden.
Es wurde spekuliert, Schulz solle als Kanzlerkandidat der SPD für die Wahl 2017 in Stellung gebracht werden. © REUTERS | REUTERS / THOMAS PETER
In der Flüchtlingspolitik engagierte sich Schulz besonders. Das Foto zeigt ihn im November 2015 in Athen beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft.
In der Flüchtlingspolitik engagierte sich Schulz besonders. Das Foto zeigt ihn im November 2015 in Athen beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft. © imago | ZUMA Press
2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“.
2016 erhielt Martin Schulz bei der Publishers Night in Berlin die „Goldene Victoria“. © imago | Agentur Baganz
Im September 2015 empfing Martin Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg.
Im September 2015 empfing Martin Schulz als EU-Parlamentspräsident den Dalai Lama in Straßburg. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – natürlich begrüßt von Hausherr Martin Schulz.
Papst Franziskus kam im November 2014 für eine Rede vor dem EU-Parlament nach Straßburg – natürlich begrüßt von Hausherr Martin Schulz. © REUTERS | REUTERS / POOL
2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments.
2013 überreichte Martin Schulz der Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai den Sacharow-Preis des EU-Parlaments. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
Die Nummer eins will Martin Schulz demnächst in NRW sein – jedenfalls auf der Landesliste für die Bundestagswahl 2017.
Die Nummer eins will Martin Schulz demnächst in NRW sein – jedenfalls auf der Landesliste für die Bundestagswahl 2017. © dpa | Michael Kappeler
Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London.
Der Brexit der Briten war ein harter Schlag für Schulz. Das Foto zeigt ihn im September 2016 bei einem Treffen mit der neuen britischen Premierministerin Theresa May in London. © REUTERS | REUTERS / STEFAN WERMUTH
Die drei von der SPD: Parteichef Sigmar Gabriel, Noch-Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz – wird Schulz Nachfolger von einem der beiden?
Die drei von der SPD: Parteichef Sigmar Gabriel, Noch-Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Martin Schulz – wird Schulz Nachfolger von einem der beiden? © REUTERS | REUTERS / FABRIZIO BENSCH
Das „Projekt Europa“ will Schulz künftig von Berlin aus begleiten, kündigte er in Brüssel an.
Das „Projekt Europa“ will Schulz künftig von Berlin aus begleiten, kündigte er in Brüssel an. © REUTERS | REUTERS / VINCENT KESSLER
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Sein Programm : Was Schulz inhaltlich in der Bundespolitik will, ist nur in Umrissen bekannt. Er war 22 Jahre mit Leib und Seele Europapolitiker in Brüssel, hat sich nie in die deutsche Innenpolitik eingemischt. Vertraute beschreiben ihn als Pragmatiker, der durch die Kommunalpolitik geprägt wurde. Das Wahlprogramm der SPD steht aber in den wichtigsten Punkten ohnehin schon. Eine große Programmrede hat er für Sonntag angekündigt.

Sozialpolitik : Schulz ist wie Gabriel ein klassischer Sozialdemokrat, er will soziale Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellen. Gleiche, faire Chancen für alle, eine sichere Zukunft für die Kinder. Die Eckpunkte des Wahlprogramms – mehr Elterngeld, Kita-Ausbau, Entlastung für kleinere Einkommen, höhere Steuern für Gutverdiener – muss auch Schulz vertreten.

Außenpolitik: Was internationale Erfahrung anbelangt, kann es Schulz mit Merkel aufnehmen: Als EU-Parlamentspräsident hat er viel Erfahrung auf dem diplomatischen Parkett gesammelt – und zu vielen EU-Regierungschefs hat er einen besseren Draht als die Kanzlerin. Er plädiert für eine echte europäische Regierung und ein stärkeres Parlament.

Flüchtlingspolitik : Schulz stützt im Wesentlichen den Kurs der Kanzlerin. Er ist gegen nationale Obergrenzen, fordert einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa.

US-Präsident Donald Trump : Vor der US-Wahl drückte Schulz sein Missfallen über den Republikaner aus: „Trump ist nicht nur für die EU ein Problem, sondern für die ganze Welt.“ Nach der Wahl riet Schulz zur Gelassenheit – und verwies darauf, dass sich viele Ankündigungen Trumps nicht in die Tat umsetzen lassen.

Innere Sicherheit: Ein zentrales Thema im Wahlkampf, bei dem Schulz erst noch Profil zeigen muss – bislang hält er sich aus den Debatten heraus.

Werdegang: Schulz ist das Kontrastprogramm zur promovierten Physikerin Angela Merkel: Er verließ die Schule ohne Abitur, war Buchhändler, wurde mit 31 Jahren Bürgermeister, ist seit 1994 EU-Abgeordneter. Der Sozialdemokrat macht aus der Aufstiegsgeschichte im Wahlkampf eine Stärke: „Ich habe die Welt von ganz unten gesehen – und ich bin stolz darauf, was ich erreicht habe.“

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    Regierungserfahrung : Keine. Schulz ist der erste Kanzlerkandidat seit Langem, der ohne jede Erfahrung in einem Landes- oder Bundesministerium antritt. Verwaltungserfahrung sammelte er als Bürgermeister der Stadt Würselen mit seinen heute 38.000 Einwohnern.

    Motivation : Sehr hoch. „Dieses Land braucht in diesen schwierigen Zeiten eine neue Führung“, sagt Schulz. Er will ums Kanzleramt kämpfen. Der 61-Jährige ist sehr ehrgeizig und machtbewusst. „Wenn wir Sozis den Menschen zeigen, dass wir an sie denken, dann gewinnen wir die Wahl“, erklärte er vor der Fraktion.

    Rhetorik: Schulz ist ein begnadeter und leidenschaftlicher Redner – das Gegenteil zur nüchternen Bundeskanzlerin. Der SPD-Politiker kann Menschen in Sälen und auf Marktplätzen mitreißen, ist schlagfertig und witzig.

    Rückhalt in der Partei: Für große Teile der SPD ist Schulz jetzt der Hoffnungsträger. Stabil ist die Unterstützung noch nicht. Seit 1999 sitzt er in der engeren Parteiführung, aber seine Hausmacht ist überschaubar. Zu den starken Helfern zählt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, zu den Freunden Schatzmeister Dietmar Nietan.

    Koalitionsfähigkeit : Für welche Machtoption Schulz steht, ist noch unklar. Sicher ist nur, dass er sich im Wahlkampf so deutlich von der großen Koalition absetzen wird, wie es Vizekanzler Gabriel nie hätte tun können – dabei hat Schulz im EU-Parlament selbst eine informelle große Koalition angeführt. Als Freund von Rot-Rot-Grün, der einzigen Machtoption, die der SPD jenseits der großen Koalition bliebe, galt Schulz bisher nicht. Gabriel hatte enge Kontakte zu Linken und Grünen aufgebaut, Schulz fängt von vorne an.