Fallersleben. Am 10. August 1975 passierte die Waldbrandkatastrophe bei Meinersen, auch drei Fallersleber Feuerwehrleute starben. Zwei Kameraden blicken zurück.
Diese Wunde wird nie heilen – und auch angesichts der in diesem Sommer insgesamt wieder sehr hohen Waldbrandgefahr ist die Erinnerung bei vielen Fallerslebern wieder absolut präsent: Am 10. August jährt sich die Waldbrandkatastrophe von 1975. Damals verlor die Freiwillige Feuerwehr Fallersleben drei aktive Mitglieder in den Flammen bei Meinersen. An der Gedenkstunde am Jahrestag auf dem Feuerwehrhof haben stets auch zwei Feuerwehrmänner teilgenommen, die seinerzeit im Katastrophengebiet mit ihren Kameraden im Einsatz waren.
Sie waren damals junge Männer, aber schon erfahrene Feuerwehrleute: Löschmeister Hans-Ingo Krüger und Hauptfeuerwehrmann Hubert Möller, heute beide Mitglieder in der Altersabteilung der Fallersleber Feuerwehr, haben sich schon vor 63 Jahren diesem Ehrenamt verschrieben, waren am 24. August 1960 Gründungsmitglieder der Jugendfeuerwehr.
Unglücksfahrzeug der Fallersleber Feuerwehr hatte 1600 Liter Wasser an Bord
Beim Besuch unserer Zeitung im August 2022 erinnern sich die beiden Fallersleber an die dramatischen Stunden an jenem 10. August 1975, erzählen von der Totenstille auf der Heimfahrt vom Unglücksort zum Fallersleber Feuerwehrhaus. Beide haben alte Unterlagen hervorgeholt.
„Es ist gerade fast so ein Wetter wie damals vor 47 Jahren“, beginnt Hubert Möller, heute noch Kassenwart der Fallersleber Wehr. Vor sich hat er ein Fotoalbum von damals liegen. Eine der Aufnahmen, die er selbst gemacht hat, zeigt das ausgebrannte Unglücksfahrzeug, das Tanklöschfahrzeug 8 (TLF 8) der Firma Borgward, das mit 1600 Litern Wasser an Bord ausgerückt war. „Die Fotos habe ich am Tag nach der Katastrophe gemacht. Wir haben uns abends hier in Fallersleben getroffen und sind hingefahren“, erzählt Möller.

Einsatz auf anderem Auto rettete Hans-Ingo Krüger das Leben
„Ich bin da nicht mitgefahren. Ich wollte das nicht“, sagt Hans-Ingo Krüger mit belegter Stimme. Er war am Unglückstag Gruppenführer auf dem zweiten Fallersleber Fahrzeug, einem LF 8, das sich nach dem Alarm um 12.32 Uhr mit auf den Weg ins Katastrophengebiet machte.
„Dabei wollte ich eigentlich mit meinen Freunden Gerhard Schlie und Kurt Fischer aufs TLF 8. Wir hatten am Vorabend noch zusammen gegrillt“, erinnert sich der 77-Jährige. „Aber dann wurde ich auf dem anderen Fahrzeug eingesetzt.“ Was ihm wenige Stunden später das Leben rettete.
Kameraden sahen plötzlich schwarze Wolke über Waldstück
Denn während Krügers Fahrzeugbesatzung dafür eingeteilt wurde, mit dem LF 8 an der Bundesstraße 188 am Abzweig nach Leiferde die Wasserversorgung für die zusammengezogenen Tanklöschfahrzeuge sicherzustellen, fuhren die Fallersleber Kameraden mit dem TLF 8 in ein nahes Waldstück im Meerbergsmoor, um mit vollem Wassertank gegen die Flammen anzukämpfen. Doch der enorme Wasservorrat konnte sie nicht retten bei dem, was wenig später passierte.
Krüger blättert in einem Erinnerungsbuch, das er überschrieben hat mit „DAS GROSSE FEUER“. Darin hat er viele Fotos gesammelt. Er zeigt auf zwei Bilder, die ein Waldstück in einer Feuerwand zeigen. „Zwischen 13.50 und 14.30 Uhr muss es passiert sein.“ Im Einsatz habe er mit seiner Fahrzeugbesatzung um die Zeit einmal eine ganz schwarze Wolke gesehen, nur etwa einen Kilometer entfernt. „Da haben wir überlegt, was das war. Das muss vermutlich unser verunglücktes Fahrzeug gewesen sein.“

Gegen 15 Uhr hatten Fallersleber Einsatzkräfte traurige Gewissheit
Diese schreckliche Erkenntnis kam aber erst später. Denn zunächst wunderten sich Krüger und seine Leute, warum keine Feuerwehrfahrzeuge mehr zum Wasserholen kamen. Schnell machte plötzlich die Information die Runde, dass ein Fahrzeug samt Besatzung durch plötzlich drehende Winde im Feuersturm eingeschlossen wurde und in den Flammen verbrannte.
Dass es die eigenen Kameraden waren, damit rechnete von den Fallerslebern da noch niemand. „Dass es unser Auto war, hat uns dann Harold Kasper gesagt“, erzählt Krüger. Der damalige Ortsbrandmeister von Fallersleben musste das Fahrzeug identifizieren, gegen 15 Uhr hatten alle Fallersleber, die nach Meinersen ausgerückt waren, traurige Gewissheit.
Dass der Feuerwehreinsatz so gefährlich würde, ahnte niemand
Als für die Fallersleber Feuerwehrleute am 10. August 1975 die Alarmierung ins Katastrophengebiet kam, hatten sie keine bildliche Vorstellung davon, was auf sie zukam. „Wir haben vorher die Nachrichten über das Einsatzgeschehen im Radio verfolgt, alle Viertelstunde kam etwas im Rundfunk“, erinnert sich Hans-Ingo Krüger.
Hatten sie eine Ahnung davon, was für ein gefährlicher Einsatz sie erwartete? „Daran hat man gar nicht gedacht. Auch, weil Unfälle in der Größe noch nie zuvor passiert waren“, sagt Krüger. Die Waldbrandkatastrophe von Meinersen sollte später als die schlimmste in die Geschichte eingehen, die es jemals in Deutschland gab.
Fallersleber Feuerwehr erinnert an Waldbrandkatastrophe von 1975
Erst nach der Waldbrandkatastrophe gab’s Verbesserungen für Feuerwehren
Erst mit deren Aufarbeitung wurden Lehren daraus gezogen, Löschbrunnen gebohrt, Waldbrandkarten erstellt, der Funk verbessert und, und, und… Wobei: Bessere Funkverbindungen hätten die fünf Feuerwehrmänner, deren Fahrzeug offenbar durch akuten Sauerstoffmangel im Feuersturm nicht mehr fahrbereit war, wohl auch nicht gerettet, ist der einstige Gruppenführer überzeugt: „Selbst wenn sie einen Notruf abgesetzt hätten, hätte ihnen niemand mehr helfen können.“ Beim Gipfelfeuer sei die Flammenwand rasend schnell gekommen.
„So etwas hat noch niemand miterlebt. Darauf kann man nicht vorbereitet werden“, ist Krüger überzeugt. „Aber für mich war später in der Ausbildung immer wichtig, dass einer nach hinten guckt. Ob das damals etwas genützt hätte, weiß man aber nicht.“
Totenstille auf der Heimfahrt zum Feuerwehrhaus in Fallersleben
„Wir hatten so eine ruhige Rückfahrt...“, erinnert sich Möller schaudernd. „Denn auf unserem Fahrzeug war auch der Sohn von Helmut Wille.“ Von einem der drei verunglückten Feuerwehrmänner aus Fallersleben, die zusammen mit zwei weiteren aus Hohenhameln in den Flammen starben.
Laut Krüger war es „eine ganz bedrückte Situation“, als die überlebenden Feuerwehrleute im Fallersleber Feuerwehrhaus eintrafen. „Jeder hat sich abgekapselt. Wir haben in der Teeküche gesessen und gemutmaßt, wie das Unglück passiert sein kann. Man macht sich Gedanken, denn ich hatte die Verantwortung für die Männer.“ Er selbst habe dann der Frau von Kurt Fischer die Todesnachricht überbracht.
Am Tag danach mussten ehrenamtliche Feuerwehrleute wieder arbeiten
Gab es denn auch einen Funken Erleichterung, mit dem Leben davongekommen zu sein? „Man denkt schon daran, dass man heile da rausgekommen ist“, blickt Hans-Ingo Krüger zurück. Und Hubert Möller erinnert sich: „Vor allem, wenn man kleine Kinder hat. Mein Sohn hatte einen Tag vorher Einschulung.“
Viel Zeit, das schlimme Ereignis aufzuarbeiten, hatten die ehrenamtlichen Brandbekämpfer damals nicht. Notfallseelsorger gab’s noch nicht. „Und wir sind am nächsten Tag schon wieder arbeiten gegangen“, sagt Möller. Immerhin: Aus den weiteren Waldbrand-Einsätzen wurden die traumatisierten Feuerwehrleute herausgehalten. Krüger: „Aber wenn das Unglück nicht passiert wäre, wären wir am nächsten Tag wieder irgendwo im Katastrophengebiet im Einsatz gewesen.“ Denn die Brände in der Heide tobten noch tagelang.

Kennzeichen des Unglücksfahrzeugs am neuen TLF
Haben die beiden nach den schrecklichen Erlebnissen überlegt, ihr gefährliches Ehrenamt aufzugeben? Nein, versichern beide. „Aber beim ersten Einsatz danach hat man höllisch aufgepasst, man wollte auf gar keinen Fall irgendein Risiko eingehen“, erinnert sich Hans-Ingo Krüger. Und Hubert Möller betont: „Bei späteren Waldbränden, beispielsweise Anfang der 80er Jahre am VW-Prüfgelände in Ehra-Lessien, ist man anders reingegangen als vorher.“
WOB-291 – das war das Kennzeichen des ausgebrannten Borgward. „Es sollte eigentlich nie wieder verwendet werden“, erinnert sich Krüger, der als aktiver Feuerwehrmann zuletzt Vize-Stadtbrandmeister von Wolfsburg und Feuerwehrbereitschaftsführer war. Doch ausgerechnet das neue Tanklöschfahrzeug, das die Fallersleber Wehr etwa ein Jahr später bekam, trug als Kennzeichen die Unglücksnummer. „Einen Wald kann man aufforsten, ein Auto kann man neu kaufen, aber die Menschen sind für immer weg“, sagt er knapp.
Die Freiwillige Feuerwehr Fallersleben hat das dunkelste Kapitel ihrer Geschichte im Laufe der Jahre immer weiter aufgearbeitet. Zuletzt gab es zum 40. Jahrestag 2015 eine dreitägige Gedenkveranstaltung mit Ausstellung im Feuerwehrhaus und internationalem Waldbrand-Symposium. Damals wurde auch ein Sammler-Modell des Borgward-Unglücksfahrzeugs aufgelegt. Und seinerzeit entstand ein Diorama: Das Schaubild von der Einsatzstelle erinnert die Feuerwehrleute stets an die Waldbrandkatastrophe.
Wie die Katastrophe am 10. August 1975 ihren Lauf nahm
Im August 1975 brachen aufgrund langer Trockenheit und starker Winde zahlreiche Großbrände in Wald-, Moor- und Heidegebieten aus. Am Sonntag, 10. August, wurde um 11.25 Uhr erneut ein Waldbrand bei Meinersen im Landkreis Gifhorn nahe der Bundesstraße 188 gemeldet. Um 12.32 Uhr rückte die Freiwillige Feuerwehr Fallersleben mit dem TLF8 und dem LF8 aus.
An der Einsatzstelle drohte aufgrund wechselnder Windrichtung eine Brandausbreitung auf Meinersen. Zur Absicherung eines nahen Waldstücks sollten die Tanklöschfahrzeuge aus Hohenhameln, Lengede und Fallersleben eingesetzt werden. Bei der Anfahrt zur Einsatzstelle wurde dem Fallersleber Tanklöschfahrzeug durch plötzlich drehenden Wind auf einem Waldweg vom Feuer der Fluchtweg versperrt.
Im Feuersturm starben Brandmeister Helmut Wille (48), Hauptfeuerwehrmann Gerhard Schlie (28) und Hauptfeuerwehrmann Kurt Fischer (24) aus Fallersleben sowie Feuerwehrmann Hartmut Oelkers (16) und Oberfeuerwehrmann Otto-Oskar Könneker (30) aus Hohenhameln.