Osterode. 1973 erschüttert die Ölkrise die Welt. Lesen Sie, wie Deutschland und die Region Osterode auf die drastischen Veränderungen reagierten.

Energiekrise, Krieg in Israel, schlechte Wirtschaftsprognosen – aktuelle Stichworte aus den Nachrichten, doch auch vor 50 Jahren beherrschten ähnliche Schlagzeilen die Pressemeldungen. Während die Juden am 6. Oktober 1973 das Jom-Kippur-Fest feierten, starteten ägyptische und syrische Truppen einen massiven Überraschungsangriff auf Israel. Nach anfänglichen Erfolgen der arabischen Armeen konnten die israelischen Streitkräfte den Kriegsverlauf jedoch rasch zu ihren Gunsten wenden. So überschritten die Israelis den Suezkanal und vertrieben ihre Feinde auch von den Golanhöhen. Am 24. Oktober 1973 beendete ein Waffenstillstand die Kampfhandlungen.

Die Ölkrise in den 70er Jahren und die drastische Erhöhung der Ölpreise

Schon während des Krieges hatten die erdölfördernden arabischen Staaten den Ölpreis drastisch erhöht und die Fördermengen erheblich eingeschränkt, um den Westen, der Israel unterstützte, unter Druck zu setzen. Der Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC), gehörten auch einige nicht-arabische Länder an, die jedoch ebenfalls deutlichen Preiserhöhungen zustimmten: So stieg der Rohölpreis, der 1970 noch bei 1,40 US-Dollar pro Barrel (158,8 Liter) gelegen hatte, im Jahr 1973 auf das Vierfache. Angesichts der Drosselung der Öllieferungen durch die Araber warnte der Bundeswirtschaftsminister Hans Friderichs (FDP) vor Panikkäufen und verwies auf die Mineralölreserven, die „für mehr als zwei Monate reichen“.

Die Osteroder Lokalzeitung empfahl den Autofahrern: „Nachdem die arabischen Ölscheichs den Preis für das Rohöl erhöhten, wird bald auch der Benzinpreis steigen. Die bundesdeutschen Treibstoffhersteller können nämlich recht gut kalkulieren und werden die Preiserhöhungen prompt an die Endverbraucher weitergeben. Mancher Autobesitzer wird sich jetzt an den Karnevalsschlager erinnern, der lautete: Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld? Viele Fahrzeugbesitzer werden es sich reiflich überlegen müssen, ob sie sich einen weniger Benzin benötigenden Kleinwagen anschaffen, oder aus finanziellen Gründen Privatfahrten erheblich einschränken müssen“.

Fokus auf den öffentlichen Personennahverkehr und alternative Heizmethoden

Damit rückte der öffentliche Personennahverkehr, der zu diesem Zeitpunkt schon lange keine besondere Priorität mehr in der Politik genossen hatte, wieder stärker in den Mittelpunkt des Interesses. Doch meldete der Kreisanzeiger (OKA) auch Zweifel an: „Eine Ölkrise kann immer kommen. Die jetzige wird kaum die letzte sein. Solange die Öl-Scheichs westliche Industrieländer erpressen dürfen, hängt das Damoklesschwert der Ölrationierung über uns. … In solchen Zeiten erinnert sich auch der Autofahrer, der vor Jahren dem öffentlichen Personennahverkehr adieu gesagt hat, des guten alten Omnibusses. Kann der Bus alle PKW-Fahrgäste verkraften, wenn die vorübergehend einmal nicht individuell am Verkehr teilnehmen dürfen? Die im Zulassungsbezirk Osterode am 1. Juli 1973 gezählten 67 Omnibusse könnten auch nicht im Verein mit den übrigen öffentlichen Verkehrsmitteln den Wegfall der Transportkapazität von 22 145 ihnen in unserem Raum gegenüberstehenden Personenwagen ausgleichen.“

Es fehlte auch nicht an Sparappellen, um die Bürger zu einem sorgsamen Umgang mit Energie zu bewegen: So sollten die Menschen freiwillig ihre Heizungen um 2 °C drosseln. Die Verwaltung ging mit gutem Beispiel voran: „In Amtsstuben wird es kälter und dunkler werden“, titelte der Kreisanzeiger. Und die Osteroder Stadtverwaltung erließ eine interne Verfügung, die die PKW-Nutzung für Dienstfahrten deutlich reduzierte und den Betrieb der Ölheizungen „auf das notwendigste einschränkte“.

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Auch alternative Heizmethoden erfreuten sich eines – allerdings nur sehr kurzen – Aufschwungs: „Es ist noch gar nicht so lange her – nur ein paar Wochen – als ein Teil der Einwohnerschaft in unserem Kreis Osterode, nämlich diejenigen 40 von jeweils 100 Wohnungsinhabern, die mit Öl, Gas oder Strom heizen, ein bisschen mitleidig auf die anderen 60 von 100 Wohnungsbesitzern herab sah, die Kohlen, Holz oder Torf in ihre Öfen steckten. Denn wer Kohlen aus dem Keller schleppen und nachher die Asche dann wieder runtertragen muß, der kann nicht „in“ sein. Diese ganz und gar unzeitgemäße und arrogante Einstellung hat sich nun plötzlich schnell geändert, seit die Weisen aus dem Morgenlande uns ganz schlicht den Ölhahn zudrehten. … Von nun an wird Heizöl niemals wieder zum alten Preis in den häuslichen Öltank laufen, und das ist eben der Grund dafür, weshalb die stolzen Ölheizer nun die armen Kohleheizer vielleicht sogar ein bisschen beneiden.“ Angesichts der deutlich gestiegenen Kosten für Heizöl gewährte man Haushalten mit niedrigem Einkommen einen einmaligen Heizkostenzuschuss.

Staatliche Reaktionen und autofreie Sonntage

Auf den „Ölpreisschock“ und die deutliche Reduzierung der Fördermengen reagierte die Bundesrepublik mit Einschränkungen des Energieverbrauchs. In aller Eile wurde am 9. November 1973 ein Energiesicherungsgesetz verabschiedet, das dem Staat zahlreiche Möglichkeiten bot, per Verordnung in die Erdöl- und Erdgaswirtschaft einzugreifen. So wurden u. a. vier autofreie Sonntage im November und Dezember 1973 angeordnet. Ferner führte man ein zeitweises Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen sowie von 80 km/h auf Landstraßen ein. Das Gesetz hätte auch weitere Maßnahmen wie eine Rationierung von Benzin und Heizöl ermöglicht. Sogar ein vollständiges Verbot des nicht gewerblichen Autoverkehrs wurde erwogen. Letztlich beschränkte man sich jedoch auf ein Tempolimit und das Sonntagsfahrverbot, wobei sich die Bundesregierung vom Sonntagsfahrverbot eine Reduzierung des Benzinverbrauchs um 10 % erhoffte. Das Tempolimit sollte den Kraftstoffverbrauch weitere um 7 % senken.

Autofreie Sonntage und Ausnahmeregelungen

An vier Sonntagen (25. November, 2., 9. und 16. Dezember 1973) ordnete die Bundesregierung tatsächlich Fahrverbote an. Zur Durchsetzung der Maßnahmen wurden im Übertretungsfall Mindeststrafen von 500 DM angedroht. Aber es gab aber auch eine Reihe von Ausnahmeregelungen: Selbstverständlich durften Rettungsdienste und die Polizei ihre Fahrzeuge uneingeschränkt nutzen. Der gesamte öffentliche Luft- und Schienenverkehr, Autobusse und Taxis sowie der gewerbliche und landwirtschaftliche Verkehr waren vom Sonntagsfahrverbot ausgenommen. Darüber hinaus durften auch Privat-PKW genutzt werden, „sofern eine vom Arbeitgeber ausgestellte Bescheinigung die Notwendigkeit solcher Fahrten bestätigt.“ Trotzdem konnte die Zeitungen nach dem ersten autofreien Sonntag titeln: „Die ganze Bundesrepublik war eine Fußgängerzone“.

Deutschlands Straßen waren wie leergefegt: Am 25. November 1973 galt zum ersten Mal ein bundesweites Fahrverbot. Vor dem Hintergrund der Ölkrise hatte die Bundesregierung den autofreien Sonntag angeordnet. Bis heute ist Erdöl der wichtigste Primärenergieträger in Deutschland. 
Deutschlands Straßen waren wie leergefegt: Am 25. November 1973 galt zum ersten Mal ein bundesweites Fahrverbot. Vor dem Hintergrund der Ölkrise hatte die Bundesregierung den autofreien Sonntag angeordnet. Bis heute ist Erdöl der wichtigste Primärenergieträger in Deutschland.  © stock.adobe.com | pixs:sell

Die Lokalzeitung meldete: „Unser erstes Ziel war die Schnellstraße in Richtung Seesen. Dort trafen wir lediglich ein Taxi und ein Milch-Sammelfahrzeug an. … Eine der Hauptverkehrsstraßen in den Harz, die Scheerenberger Straße, fanden wir frei von jeglichem Kraftverkehr. Die Straße war zur Rollschuhbahn für mehrere Kinder geworden. Das gleiche Bild bot die Northeimer Straße. Ein Taxi und ein genehmigungsfreies Pferdefuhrwerk bildeten hier das ganze Verkehrsaufkommen. Erstaunlich war, wie schnell sich die Fußgänger mit der neuen Situation abgefunden hatten. Die ganze Stadt war zu einer großen Fußgängerzone geworden, die kaum durch einen Autofahrer gestört wurde. … Am Landratsamt gerieten wir selbst in eine Verkehrskontrolle. Der Polizeibeamte erklärte auf unsere Frage: Die Moral der Autofahrer ist sehr gut. Es sind nur wenige Fahrzeuge unterwegs. … Um 15 Uhr – 12 Stunden nach Inkrafttreten des Sonntagsfahrverbots – konnten wir von der Polizei erfahren, dass innerhalb dieser Zeit in Osterode ca. 70 Fahrzeuge kontrolliert wurden. Alle Fahrer waren im Besitz einer Ausnahmegenehmigung! Diese Tatsache dürfte als Beweis dafür gewertet werden, dass die Notwendigkeit der Sparmaßnahmen von den Kraftfahrern eingesehen wird.“ Bundesweit wurden rund 2100 Verstöße gegen das Sonntagsfahrverbot bei etwa 200.000 Kontrollen festgestellt.

Die Situation sorgte durchaus auch für lustige Meldungen, so berichtete z.B. der OKA über den Polizeimeister Wilfried B. aus Marke, der an einem autofreien Sonntag auf einem geliehenen Pferd zu seinem Dienstort Osterode geritten war.

Bedenken und Proteste gegen die Energiesparmaßnahmen

Natürlich gab es auch in der Region eine Reihe von Bedenken gegen die Energiesparmaßnahmen der Regierung. Der Harzer Verkehrsverband fürchtete wegen des Sonntagsfahrverbots um die Einkünfte und die Existenz der Touristikbetriebe. Auch die Sportvereine waren besorgt, da weder die Sportler noch die Zuschauer sonntags mit dem Auto zu ihren Veranstaltungen fahren durften. So protestierte man: „Ein Sonntagsfahrverbot ist augenblicklich für den Sport im Allgemeinen ein Platzverweis auf Zeit.“ Tatsächlich waren die Sportseiten der Zeitungen auch nach den autofreien Sonntagen voller Spielberichte – man hatte also Lösungen für die Transportprobleme gefunden.

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Während der Weihnachtstage 1973 und darüber hinaus bis zum Ende der Weihnachtsferien wurde der Autoverkehr an Sonntagen nicht durch staatliche Maßnahmen eingeschränkt. Angesichts der anhaltend schlechten Versorgungslage mit Mineralöl erwog die Bundesregierung zunächst, im Januar 1974 weitere autofreie Sonntage anzuordnen. Stattdessen plante man dann ab dem 19. Januar 1974 Wochenendfahrverbote, die abwechselnd nur für Kraftfahrzeuge mit einer geraden oder ungeraden Endziffer des amtlichen Kennzeichens gelten sollten. Doch konnte auf diese Maßnahmen schließlich verzichtet werden, da die ölexportierenden Länder ihre Liefermengen nach Deutschland schrittweise wieder erhöhten. Die Erdölpreise blieben jedoch, im Vergleich mit der Zeit vor dem Nahostkrieg, jedoch deutlich erhöht. Dementsprechend setzte eine allgemeine Preissteigerung ein und die Rahmenbedingungen für die bundesdeutsche Wirtschaft verschlechterten sich.

Auch das Tempolimit (100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h auf Landstraßen) wurde, obwohl man einen Rückgang der Unfallzahlen feststellte, am 15. März 1974 wieder aufgehoben. Seitdem gilt auf Landstraßen wieder eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h, sofern kein anderes Tempo ausgeschildert ist. Auf Autobahnen wurde lediglich eine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h empfohlen.

Ende der Maßnahmen und Auswirkungen auf die Wirtschaft

Die Ölkrise war einer der auslösenden Faktoren für eine Wirtschaftskrise, die die Bundesrepublik in den Jahren 1973/1974 traf. Mit dieser Krise endete der mehr als zwei Jahrzehnte währende westdeutsche Wirtschaftsboom. Aus der Ölkrise, so die Forderung, sollten Konsequenzen gezogen werden: „Der Bundesrat hat gleichzeitig die Bundesregierung in einer Entschließung aufgefordert, angesichts der jetzt zutage getretenen Abhängigkeit von Ölimporten die Sicherung einer weitgehend autonomen Energieversorgung noch mehr als bisher in den Vordergrund der Energiepolitik zu stellen.“ Tatsächlich zielte die staatliche Energiepolitik auf eine Verringerung des Anteils von Erdöl und man setzte fortan verstärkt auf Erdgas, Kohle und Atomkraft.

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