Im vergangenen Jahr verzeichnete die Polizei Osterode in ihrem Zuständigkeitsbereich 761 Verkehrsunfälle, 153 davon mit verletzten Personen – zehn davon waren mit dem Fahrrad unterwegs. Das ging aus der jüngsten Verkehrsunfallstatistik hervor (wir berichteten). Auch Michael Ernst von der Verkehrswacht Osterode/Bad Grund weiß aus seiner Erfahrung als Fahrlehrer: „Immer wieder geraten Auto- und Radfahrer auf der Straße aneinander – nicht nur im übertragenen Sinne. Dabei mangelt es beiden Seiten regelmäßig nicht nur an Rücksichtnahme, sondern auch an verkehrsrechtlichem Know-how“.
Mobilitätswende, Klimawandel, überlastete Straßennetze: Es gibt viele Gründe, warum die Bundesregierung bemüht ist, das Fahrrad als Fortbewegungsmittel zu fördern. Um auch im Autoland Deutschland die Attraktivität des Radverkehrs zu steigern, räumt der Gesetzgeber Radfahrern vor allem in Städten immer mehr Privilegien ein. Auch die 2020 in Kraft getretene jüngste Novelle der Straßenverkehrsordnung beinhaltet entsprechende Maßnahmen, darunter exklusive Nutzungsrechte in designierten Verkehrszonen sowie neue Schilder.
Doch während die Zahl der Radfahrer seit Jahren konstant zunimmt, entwickelt sich die Infrastruktur nicht im gleichen Tempo. Vielerorts bleibt Radfahrern deshalb gar nichts anderes übrig, als die gleichen Verkehrswege zu nutzen, wie Kraftfahrzeuge. Konflikte sind vorprogrammiert, im umkämpften Stadtverkehr kollidieren dann nicht selten auch unterschiedliche Lebenswelten.
Vorbelastete Beziehung
„Die Beziehung zwischen Rad- und Autofahrern ist stark vorbelastet“, weiß auch Michael Ernst, Fahrlehrer und Vorsitzender der Verkehrswacht Osterode/Bad Grund. „Der tiefentspannte Radler auf der Hauptstraße zur ,Rushhour’ und der genervt zum riskanten Überholmanöver ansetzende Pkw-Fahrer: Beide Seiten bezichtigen sich gegenseitig der Behinderung und Einschränkung, jeder beansprucht die Straße für sich allein.“ Michael Ernst sensibilisiert Fahranfänger deshalb schon während der Ausbildung für mehr Rücksichtnahme gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. „Natürlich ist jeder primär für die eigene Sicherheit verantwortlich. Als Autofahrer ist es aber meine besondere Verantwortung, aktiv zum Schutz weniger PS-starker Verkehrsteilnehmer beizutragen.“
Gesonderte Fahrradzonen, Radschnellwege, ein vorgeschriebener Mindestabstand beim Überholen oder der Grünpfeil für Radfahrer sollen dieses Ungleichgewicht zukünftig abmildern und die Rechte von Radfahrern stärken. Michael Ernst begrüße die Pläne für mehr Fahrradfreundlichkeit, wünscht sich aber mehr Aufklärung und einheitliche Standards: „Bei der konkreten Umsetzung von Maßnahmen sind die Verkehrsbehörden auf sich allein gestellt, etwa was die Markierung der neuen Fahrradzonen angeht.“
Tatsächlich sind wenige Rad- und Autofahrer hinreichend über die geltenden Bestimmungeninformiert. Michael Ernst rät deshalb dazu, sich intensiver mit neuen und alten Regelungen auseinanderzusetzen, plädiert aber auch unabhängig der verkehrsrechtlichen Dimension für mehr Gelassenheit und Solidarität: „Wie gut wir auf und abseits der Straße miteinander auskommen, ist letztlich auch eine Haltungsfrage.“ So seien Verständnis und gegenseitige Rücksichtnahme auch im Konflikt zwischen Auto- und Fahrradfahrern die zentralen Voraussetzungen für eine friedliche Koexistenz, so der Verkehrswachtvorsitzende.
Unfallflucht: Kein Bagatelldelikt
Sollte es dann doch einmal zu einem Zusammenstoß kommen – ob nun mit dem Rad oder mit dem Auto – sollte das nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Denn selbst im Falle eines vermeintlich kleinen Unfalls, den niemand sonst bemerkt hat, sind Vor- und Rücksicht angezeigt. Verkehrsunfallfluchten sind nämlich keine Bagatellen. Auch sie finden Erwähnung in der Auswertung der Verkehrsunfallstatistik: 202 Fahrzeugführer entfernten sich im Bereich des Polizeikommissariats Osterode unerlaubt vom Unfallort – auf ganz Deutschland gesehen macht das laut Michael Ernst etwa jeder vierte Unfallbeteiligte. Nicht alle handeln dabei vorsätzlich. Strafrechtliche Konsequenzen drohen aber trotzdem.
Unfallflucht zählt zu den häufigsten Verkehrsdelikten auf deutschen Straßen. Rund eine halbe Million Fahrer machen sich hierzulande Jahr für Jahr damit strafbar. Dabei werden viele unwissentlich zu Verkehrssündern: Insbesondere bei Bagatellschäden sind sich Unfallverursacher der Rechtslage nicht bewusst. „Bei geringen oder gar nicht erkennbaren Schäden sind sich viele Verkehrsteilnehmer nicht bewusst, wie sie sich als Verursacher korrekt verhalten müssen“, so Michael Ernst. Dabei obliege die ordnungsgemäße Abwicklung eines Unfalls der Verantwortung des Verursachers. „Leider erliegen noch immer viele Fahrer dem Irrglauben, dass es ausreicht, einen Zettel mit den eigenen Daten am beschädigten Fahrzeug zu hinterlassen“, so Ernst weiter. „Ist der Geschädigte an der Unfallstelle nicht anzutreffen, muss aber unabhängig des entstandenen Schadens zuallererst die Polizei informiert werden. Erst dann ist es erlaubt, den Unfallort zu verlassen.“
Verwarnung bis Freiheitsstrafe
Auch, wer sich nur kurz von der Unfallstelle entferne, ohne vorher Meldung zu machen, mache sich der Fahrerflucht schuldig und riskiere schwerwiegende Konsequenzen. „Ein angezeigter Unfall ist eine Ordnungswidrigkeit, die Folgen sind eine mündliche Verwarnung oder ein Bußgeld“, weiß Michael Ernst. „Fahrerflucht konstituiert hingegen laut Paragraf 142 im Strafgesetzbuch eine Straftat und wird entsprechend geahndet.“ Bei Verurteilung drohen mehrmonatige Fahrverbote, Führerscheinentzug und je nach Schwere des Schadens bis zu drei Jahre Freiheitsentzug. Zusätzlich zu den strafrechtlichen Folgen kann auch die Versicherung Regressforderungen in Höhe von bis zu 5.000 Euro geltend machen.
Unwissenheit oder Schock wirken sich indes nicht strafmildernd aus. Michael Ernst appelliert deshalb, sich als Unfallverursacher nicht leichtfertig von der Unfallstelle zu entfernen: „Die Entscheidung, ob der entstandene Schaden eine Meldung rechtfertig, liegt nicht im Ermessen des Verursachers. Wenn der Halter des beschädigten Fahrzeugs nicht auffindbar ist, informieren Sie die Polizei. Selbst wenn der Geschädigte Sie zur Weiterfahrt auffordert, tauschen Sie sicherheitshalber Personalien aus.“ Gibt es vor Ort keine Möglichkeit, den Unfall zu melden, sind Unfallverursacher verpflichtet, eine angemessene Zeit – abhängig von den äußeren Umständen eine Zeitspanne zwischen 30 und 60 Minuten – abzuwarten, um der Mitteilungspflicht nachzukommen und den Geschädigten zu informieren. Taucht der Fahrzeughalter in dieser Zeit nicht auf, muss danach ohne Umwege die nächstgelegenen Polizeidienststelle aufgesucht werden.
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