Salzgitter. Am 29. September erscheint das furiose Album dieses Namens. Und fast hätte die Band um Sänger Simon Moskon ihre erste Show in Atlanta, USA, verpasst.
Es ist brutal gut, das vierte Studioalbum „Nimbus“ der furiosen Progressive-Metal-Band The Cryptex um den Salzgitteraner Sänger und Keyboarder Simon Moskon (37). Brutal im Wortsinn. Das Quartett hat die virtuose E-Gitarre von André Jean Henri Mertens stärker in den Vordergrund gestellt. Die Tempi vieler Stücke sind rasant, Bass und Schlagzeug knallen in enorm druckvoller Synchronizität. Die Folk- und Classic-Rock-Elemente, die die ersten drei Alben der 2008 gegründeten The Cryptex noch prägten, sind zurückgenommen. „Nimbus“ klingt mehr nach Metal, in einer eigenen Spielklasse, mit einem satten Schuss Psychedelic, Melodik und Progressive Rock.
„Die Songs sind sehr ehrlich und authentisch: Wir mussten eine Menge Wut rauslassen“, sagt Moskon. Denn bevor die Aufnahmen im vergangenen Herbst und Winter in den Limetree-Studios in Adenstedt bei Peine über die Bühne gingen, durchlitt die Band eine Krise - nicht ihre erste. Vor ihrem dritten Album „Once Upon A Time“ 2020 hatten Moskon und Co einen Vertrag mit dem legendären Hannoveraner Independent-Label SPV ergattert. Dann kam Corona, „und alle unsere Marketing-Pläne verpufften“, erzählt der Cryptex-Frontmann. SPV geriet in Schwierigkeiten und wurde von dem österreichischen Metal-Label Napalm Records geschluckt. „In der Folge sind viele Bands, deren Verkaufszahlen nach Ansicht des Managements nicht ausreichten, rausgeflogen - wir auch.“
Wie war die Show von The Cryptex beim ProgPower-Festival in Atlanta?
Cryptex mussten sich mal wieder neu sortieren. Man trennte sich aus persönlichen Gründen von Bassist Marc Andrejkovits. David Silesu ersetzte ihn, aus dem engen Umfeld der Band heraus, bis dahin Tourtechniker und Fotograf. Aber Silesu spielt auch beeindruckend versiert Bass. Und die Gruppe hat endlich einen festen Schlagzeuger an Land gezogen, den erst 26-jährigen Markus Kleiner aus Einbeck. Enorm talentiert offenhörbar. Und einen neuen Deal, mit dem Label Phonotraxx, das die Köpfe der deutschen Metal-Veteranen Axxis betreiben. Da erscheint „Nimbus“ am 29. September. Selbigen Tags spielen The Cryptex ein Release-Konzert im Musikzentrum Hannover.
Die erste Show zum neuen Album brachte die Band Anfang September beim Prog-Power-Festival in Atlanta, USA, über die Bühne. Natürlich wieder ein Drama, wie auch anders bei The Cryptex. Moskon: „Unser erster Flug von New York nach Atlanta scheiterte, weil der Pilot zwei Stunden keine Starterlaubnis bekam und seine Crew danach ihre Arbeitszeit überschritten hätte.“ Auch ein geplanter Ersatzflug wurde gecancelt. Die Band, die kommenden Tags den zweiten Festivaltag eröffnen sollte, düste spätabends per Uber-Taxi zu einem Flughafen nach New Jersey. „Wir wollten schon aufgeben, weil alle Flüge ausgebucht waren. Aber unser Bassist David rannte unermüdlich von einem Schalter zum nächsten - und auf Standby konnten wir dann doch noch fliegen“, erzählt Moskon.
In welchen Ländern haben The Cryptex Erfolg?
Vom Airport sei es dann quasi direkt auf die Bühne gegangen. 36 Stunden ohne Schlaf. Aber die Atlanta Center Stage sei mit 1500 Fans schon nachmittags ausverkauft gewesen. „Und die kannten unsere Songs, haben an den richtigen Stellen gesungen und mitgeklatscht“, schwärmt Moskon. The Cryptex, die trotz diverser Labelwechsel und Umbesetzungen - die Konstante ist der 37-jährige Moskon - in 15 Jahren vier starke Progressive-Rock-Alben produziert haben, würden international wahrgenommen, letztlich stärker als in Deutschland. „Wir haben Fans in den USA, Südamerika, Spanien, Japan. Wenn wir Konzerte im Ausland spielen, füllen wir die Clubs dort viel leichter.“
In Deutschland sei es dagegen schwer geworden, insbesondere seit Corona und der folgenden Abwärtsspirale. „Die Leute sparen ihr Geld für Großkonzerte - Rammstein, Lindenberg, Fischer - und vielleicht noch ein Festival.“ Aber kleinere und mittelbekannte Bands hätten es schwer bei Veranstaltern. „Die bevorzugen mittlerweile Tribute-Bands, Qualität egal, weil die eine verlässliche Zahl an Zuschauern ziehen.“ Eine Clubtour mit eigenem neuen Album auf neuem Label dagegen - schwierig zu organisieren. Gut dass es deutschlandweit, aber eben auch international treue Fans gebe, die die Band verlässlich mit CD-, Platten- und Merchandise-Käufen unterstützten, sagt Moskon. Ansonsten schlagen sich die Cryptex-Musiker größtenteils mit Unterricht, Nebenjobs und Bürgergeld durch.
The Cryptex zwischen Meat Loaf und Monstermagnet
Dabei sind sie begnadete Könner an ihren Instrumenten. Das sucht ihresgleichen in der Region. Auch das Songwriting von Moskon und Co ist stark, deutlich inspiriert von Hard- und Progressive-Rock-Bands der 70er und frühen 80er Jahre. Die „Nimbus“-Titel sind eher episch angelegt und sprengen häufig das starre Korsett von Strophe, Refrain, Bridge usw., ohne sich in solistischen Ausschweifungen zu verlieren. In den englischsprachigen Texten steckt viel düstere Poesie. Es geht um die Auseinandersetzung mit persönlichen Dämonen wie Depressionen und Süchten, Wut über „Heuchler, Opportunisten und andere Leute, die dich aussaugen“ (Moskon), aber auch Liebe und Selbstbehauptung.
Moskon hat eine fulminante Tenorstimme; gelegentlich klingt er wie die ganze Band nach Meat Loaf 3.0. The Cryptex haben allerdings auch munter mit Soundeffekten experimentiert. Moderne Psychedelic-Rock-Formationen wie Monster Magnet standen da quasi aus der Ferne Pate. Das Baby ist auf jeden Fall prächtig geraten. Die rund zwei Dutzend Titel auf „Nimbus“ sind top produziert, phantasievoll arrangiert, harmonisch spannend und voller Druck. Natürlich ist das Musik, die das Berieselungs-Dogma des Formatradios durchbricht und folglich dort nicht zu hören ist. Sondern nur in Nischen von Liebhabern entdeckt wird. Sie werden belohnt.
Album-Release-Show am Freitag, 29. September, 20 Uhr, im Musikzentrum Hannover, Emil-Meyer-Straße 26. Karten online für 25 Euro.