Norderney. Die Kommissare Thorsten Falke und Julia Grosz ermitteln in “Tödliche Flut“ auf Norderney im ersten Mord auf der Insel seit 20 Jahren.

Meer und Strand, so weit das Auge reicht. Doch ausgerechnet hier, inmitten der malerischen Dünen von Norderney, sollen fünfzig neue Wohneinheiten entstehen. Ein zweifelhaftes Bauvorhaben mit einem noch dubioseren Investor, der offenbar fast die halbe Insel aufgekauft hat. Die investigative Journalistin Imke Leopold (Franziska Hartmann) hat dazu recherchiert, wittert einen Riesenskandal. Rasende Wut packt sie nun angesichts erster Vermessungen auf dem eingezäunten Baugrund. Randalierend reißt sie abgesteckte Punkte ein und verschwindet Richtung Meer.

Fast schon hilflos beobachtet Hauptkommissar Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) diesen destruktiven Ausbruch, fragt: "Was soll das?" - und kann doch nichts dagegen unternehmen. Stattdessen stolpert er Imke ratlos hinterher. Ein Sinnbild für den "Tatort" namens "Tödliche Flut". Denn es war Imke, die Falke nach Norderney gelockt hat. Und der scheint unsicher, ob er einen Fall aufklären oder sich von Imke verführen lassen soll.

Investigativjournalistin Imke (Franziska Hartmann) und Falke (Wotan Wilke Möhring).
Investigativjournalistin Imke (Franziska Hartmann) und Falke (Wotan Wilke Möhring). © NDR/Christine Schroeder

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Zunächst aber besucht Imke den Bundespolizisten in Hamburg. Sie kennt Falke von früher, steckt ihm, dass sie sich bedroht fühlt, bittet ihn um Hilfe. Sie glaubt, herausgefunden zu haben, dass die Lokalpolitiker beim Bauprojekt in die eigene Tasche wirtschaften. Ein Wespennest, in das Imke gestochen haben will. Falke winkt ab. Kein Fall für ihn. Doch dann ruft ihn Imke mitten in der Nacht an. Ein Motorradfahrer schleicht um ihr Haus, greift sie an und würgt sie. Falkes Beschützerinstinkt ist geweckt. Am nächsten Tag steht er bei Imke auf der Matte. An seiner Seite: Die stets loyale Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz).

Grosz ist es auch, die einen kühlen Kopf behält. Für sie passt irgendwie nichts zusammen. Zwar hat Imke starke Würgemale und auch die Motorradspuren in der Einfahrt sind beredter Beweis des Überfalls. Doch Imkes Schilderung vom Tathergang ist unglaubwürdig. Julia Grosz bleibt skeptisch. Mehr noch: Die ruhige Oberkommissarin mag die expressive Imke nicht sonderlich, zweifelt zudem an Falkes Objektivität. Denn der gibt zu, mal eine kurze, wilde Affäre mit der Journalistin gehabt zu haben. Als intensiv beschreibt er Imke. Das war ihm damals zu viel.

Franziska Hartmann (Imke Leopold), Wotan Wilke Möhring (Thorsten Falke), Franziska Weisz (Julia Grosz).
Franziska Hartmann (Imke Leopold), Wotan Wilke Möhring (Thorsten Falke), Franziska Weisz (Julia Grosz). © NDR/Christine Schroeder

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Dennoch folgen die Kommissare Imkes Spur zu einem Makler und Anwalt, der den Baudeal eingefädelt haben soll. Sie finden ihn erschlagen in seinem Fitnessraum. Der erste Mord auf Norderney seit zwanzig Jahren. Ganz die leidenschaftliche Reporterin, wittert Imke sofort einen Zusammenhang mit ihren Recherchen. Aber Falke und Grosz bleiben verhalten. Ihre Ermittlungen führen sie in eine ganz andere Richtung.

"Tatort": Der Inselkrimi entpuppt sich als Psychothriller

"Tödliche Flut" ist eher Psychothriller mit winterlichem Lokalkolorit als die übliche "Tatort"-Kost. Für den Insel-Krimi aus der Feder von Drehbuchautor David Sandreuter findet Regisseur Lars Henning raue, dunkle Bilder von Norderney und vom Meer. Die sind meist sturmgepeitscht und aufgewühlt, wie Imkes Seele. Dazu kommt die leicht klaustrophobische Atmosphäre in ihrem einsamen Hexenhäuschen, in das sich auch Falke und Grosz einquartiert haben. Keiner weiß, ob er dem anderen trauen kann. Jeder belauert jeden.

Die von Stefan Will und Peter Hinderthür komponierte und von der NDR Radiophilharmonie grandios eingespielte Filmmusik ist der perfekte Soundtrack für die düstere, beklemmende Geschichte. Deren Hauptfigur Imke Leopold offenbart nach und nach psychische Abgründe. In einer Szene etwa hört sie es im Garten rascheln. Fluchend greift sie zum Jagdgewehr, erschießt treffsicher zwei Kaninchen. Danach zieht sie ihnen das Fell ab und lässt sie für das Abendessen ausbluten. Da stellt sich natürlich umgehend die Frage, ob Imke tatsächlich so schutzbedürftig ist, wie Thorsten Falke glaubt.

Die Fäden laufen immer wieder bei Imke zusammen. Franziska Hartmann spielt die Journalistin hochtourig emotional. Ihre Imke brennt sich in jedem Fall in die Erinnerung. Die fatale Anziehungskraft, die Imke auf alle hat, erschließt sich allerdings nicht. Optisch grenzt sie sich durch ihr eigenwilliges Styling mit Rastazöpfen von den anderen Inselbewohnern ab. Andererseits ist sie unfassbar anstrengend, übergriffig und enervierend. Immer etwas neben der Spur. Imke erklärt das mit einem Burnout im vergangenen Jahr. Da war sie im Kongo und hat an einer Reportage über Kindersoldaten gearbeitet.

Franziska Hartmann ist Imke Leopold.
Franziska Hartmann ist Imke Leopold. © NDR/Christine Schroeder

Julia Grosz zweifelt einmal mehr an ihrer Geschichte, mahnt Falke, eigene Überlegungen anzustellen. Der macht sich schließlich langsam Gedanken, wie viel Wahrheit wirklich in Imkes Worten steckt. Ein spannendes, komplexes Psychospiel bis zum Schluss.

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"Tatort: Tödliche Flut". ARD, 24. Januar, 20.15 Uhr