Braunschweig. Ein Waldökologe erklärt, wie nach dem Feuer „Pionierbäume“ wachsen können und welche Lehren Förster und Wissenschaftler endlich ziehen müssen.

Er lehrt in Brandenburg, verfolgt die Oberharzer „Totholz-Debatte“ aber genau. Ein Telefoninterview mit Prof. Pierre Ibisch.

Der Großbrand am Brocken war ein besonders dramatischer von vielen Waldbränden. In der anschließenden Diskussion kommt aus meiner Sicht der Aspekt zu kurz, was genau so ein Feuer mit dem mitteleuropäischen Waldboden macht. Sie haben genau das bei Treuenbrietzen untersucht. Was haben Sie festgestellt?

„Mitteleuropa“ ist ein gutes Stichwort. Natürlich kommt es darauf an, welcher Wald auf welche Weise brennt. Aber da die Brandgefahr in den Forsten, die von Nadelbäumen dominiert sind, generell besonders groß ist, spreche ich lieber von „Forstbränden“. Hier sind ja die ökologischen Zustände generell und die Bedingungen für den Boden sehr ungünstig…

…was an den Nadeln liegt, die herumliegen, oder an dem, was Nadelbäume dem Boden entziehen?

Unter anderem liegt das dem leicht brennbaren Nadel-Rohhumus auf dem Boden. Das Problem ist, dass die Nadeln unvollständig abgebaut werden, was chemische Folgen für den Boden hat. Er ist sehr sauer, was auch das Bodenleben beeinträchtigt. Der Boden hat auch eine geringere Wasserspeicherfähigkeit. Beim Brand verschwindet der Rohhumus, es kommt zu pH-Wertveränderungen, der Boden wird basisch, Nährstoffe werden freigesetzt und konzentrieren sich in einer Ascheschicht. Der Waldboden ist dann gefährdet, kann sich aber ganz anders entwickeln.

So könnte man – mit den gebotenen Einschränkungen angesichts der Gefahren durch den Brand selbst und die Kosten seiner Bekämpfung – sogar sagen, dass ein Waldbrand ökologisch auch etwas Gutes an sich hat?

Es gibt viele negative Folgen und Risiken, aber in Südbrandenburg haben wir festgestellt, dass das Feuer ökologisch auch eine Chance ist. Es wachsen relativ schnell viele neue Bäume auf, zuerst die so genannten „Pionierbäume“. Es kommen auch Krautpflanzen, es bildet sich Moos. Das Ökosystem wird biologisch vielfältiger.

Welche Arten treten als „Pionierbäume“ hervor – die Birke?

Die Baumarten, die leicht fliegende Samen haben und schnell und günstig mit Pilzen und anderen Organismen zusammenwirken, nutzen die Gelegenheit – keine Konkurrenz, viele Nährstoffe. Es gibt unter anderem Birken, Kiefern oder Salweiden, die häufigste Baumart ist die Zitterpappel. Die Pappel wird auf solchen Flächen nicht unbedingt Jahrhunderte alt, doch sie trägt zur Humusbildung bei und bereitet den Boden für andere Arten. Nach kurzer Zeit stellten sich auf der Fläche sehr viele Bäume ein; sie wurden nach drei Jahren bereits mehrere Meter groß. Nach ein bis zwei Vegetationsperioden kann man feststellen, dass die Erosionsgefahr geringer wird. Bei den Krautpflanzen gab es ein Kommen und Gehen, sie wechseln sich regelrecht ab, während der junge Wald reifer wird. Insgesamt kann man sagen, dass der Wald nach dem Brand mehr Chancen hat, wenn er nicht „aufgeräumt“ wird. Es gab eine bessere Bodenbedeckung und ein günstigeres Mikroklima. Auch die umgestürzten Bäume, also das Totholz, die Wurzelteller, die Löcher der ausgebrannten Stubben erhöhen die Vielfalt im Lebensraum. All dies trägt dazu bei, dass sich wieder ein echter Waldboden entwickeln kann und keine kahle Fläche entsteht, auf der das Wasser gleich wieder abläuft und die ungeschützt der Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist. Denn alles, was Schatten spendet und Wasser zurückhält, hilft.

Wenn Sie das Wort „Totholz“ erwähnen, sind wir natürlich gleich bei der derzeit recht scharf geführten Kontroverse um die Frage, inwieweit die „Totholz-Strategie“ im Nationalpark Harz das Brandrisiko erhöht hat. Haben Sie das verfolgt?

Durchaus. Die Diskussion ist oft nicht differenziert genug. Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass totes Holz brennt. Das tut es jedoch nicht besser als lebende Nadelbäume in ausgetrockneten Beständen. Die Brandgefahr ist eine Spätfolge des forstlichen Modells, das diesen Raum lange Zeit geprägt hat. Das schützt den Boden vor Erwärmung und Austrocknung und bewahrt auch junge Bäume vor Verbiss. Hauptsächlich geht es darum, dass der Boden genügend Wasser speichern kann, um die langen und extremen Hitzephasen zu überstehen, mit denen wir es jetzt zu tun bekommen. Dazu braucht der Boden viel Kohlenstoff, mehr Humus. Und wo soll dieser Humus herkommen, wenn nicht aus sich zersetzendem Holz? Insofern werbe ich dafür, das Holz auf der Fläche „verrotten“ zu lassen. Das ist ökonomisch scheinbar ein Verlust, langfristig jedoch eine notwendige Investition in den Boden, in die Wasserspeicherfähigkeit, in die Mikroorganismen und damit auch das Wiederbewaldungspotenzial. Das dauert einige Jahre, das muss allen klar sein. Doch wenn wir die Bäume wegräumen, machen wir nichts besser, wirklich gar nichts. Die Böden und das Wiederbewaldungspotenzial verschlechtern sich. Gleichzeitig brauchen wir den Wald mehr denn je. Es ist das Ökosystem, das uns hilft. Als Schwamm, als Puffer gegen jegliche Extreme.

Sie haben mal geschrieben, wir müssten in puncto Wald lernen, „liebgewordene Errungenschaften loszulassen“. Damit haben Sie bestimmt auf die Holzwirtschaft angespielt, womöglich aber auch auf tief verwurzelte Ideen, welche Art verwunschener Waldidylle wir im Sinne unserer Naherholung schön finden, oder?

Ja, das stimmt schon. Ich möchte in keiner Weise wirtschaftlichen Interessen die Legitimation absprechen. Ich möchte auch niemanden für seine Wunschvorstellungen kritisieren. Ich bin selbst empfänglich für die Ästhetik von wildem Wald. Aber darum geht es nicht. Wir sind jetzt sehr gut beraten, die Klimakrise ernst zu nehmen und uns etwa zu überlegen, wo in Zukunft das Wasser herkommen soll. Es lässt sich leider vielerorts beobachten, wie Landschaften austrocknen, die keinen Wald haben. Für Waldbesitzer und Förster ist das eigentlich ja auch eine gute Nachricht. Wald wird gebraucht! Dennoch: Das Plädoyer für einen wilderen Wald ist nicht romantisch motiviert. Es geht um vitale Funktionen, um das allgemeine Interesse. Die Bedingungen, unter denen das Ökosystem Wald funktioniert, haben sich kontinuierlich verschlechtert. Wir greifen den Wald von allen Seiten an. Übrigens auch im Wortsinne, wir haben den Wald zerstückelt, wir haben viel zu viele Waldinseln, deren Ränder offene Flanken und Schwachpunkte sind. Waldränder sind Gift in der Klimakrise. Wir stehen einer Zuspitzung gegenüber. Insofern ist es allerhöchste Zeit, als Gesellschaft generell und im Gespräch mit den Waldeigentümern den Ernst der Lage zu begreifen, umzusteuern sowie auch zu einer gerechten Honorierung von Ökosystemleistungen zu kommen.

Sie haben länger in Südamerika geforscht. Was können wir aus anderen Ländern lernen?

Es lohnt sich sehr, auf Gebiete zu schauen, die länger schon mit Waldbränden zu tun haben, sowohl was Bekämpfungsstrategien angeht als auch bezüglich der Frage, was im ungünstigen Falle droht. Ein Waldbrand in einem Gebirge ist ein spezielles Problem, da es um ein mehr oder minder ungeschütztes Ökosystem geht, etwa wenn Starkregen folgt. Forschungen belegen das immense Risiko für Erosion, das entstehen kann. Es kann eine Nährstoff- und Bodenauswaschung in Gang geraten, die unumkehrbar wird. Die Walderholung findet nicht mehr statt, es bleibt der nackte Fels. Ich habe so etwas in Kalifornien gesehen, da ist dann irgendwann kein Wald mehr. Wir nennen das in der Ökologie „Biomwechsel“. Es schlägt dann die Stunde der eher stressresistenten und opportunistischen Arten. In unserem Fall würde es bedeuten: Steppe statt Wald. Bestimmte Gräser können mit Dürre gut umgehen, sie trocknen überirdisch einfach aus – und wenn wieder Wasser da ist, machen sie weiter. Aber sie können als Ökosystem den Wald mit seinen Funktionen nicht ansatzweise ersetzen. Es lohnt sich auch, nach Ostmittel- und Südosteuropa zu blicken. Ich schaue mir seit langer Zeit in den Karpaten den Urwald an, der inzwischen auch mit mehr Trockenheit zurechtkommen muss. Hier lässt sich erkennen, welche Art Wald mit einer längeren Dürre besser zurechtkommt. Wir müssen grundsätzlich weg von unbedachten Ad-hoc-Entscheidungen wie dem Kahlräumen von Waldflächen. Stattdessen sind für die Heißzeit langfristige Strategien gefragt, auch wenn wir uns immer wieder korrigieren müssen und niemals so tun sollten, als wüssten wir genau, wie alles zu laufen hat oder welche Bäume mal eben da oder dort anzupflanzen wären, damit alles wieder gut ist. Das heißt jedoch auf keinen Fall, dass wir nichts tun könnten. Wir brauchen allerdings in der Forstwirtschaft wie in der Wissenschaft mehr Bereitschaft, auch aus Fehlern zu lernen. Ökosysteme sind nie berechenbar gewesen, im Moment können wir nicht einmal fünf oder zehn Jahre seriös vorausschauen, weil sich die Rahmenbedingungen so schnell verändern. Das ist auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verstörend. Ich tendiere zur Zeit eher dazu, „Daumenregeln“ zu formulieren als klare „Kochrezepte“, und immer wieder zu betonen, dass man auf den Boden achten muss. Wald besteht nicht nur aus Bäumen.

Beobachten Sie als Hochschullehrer steigendes Interesse in dieser Hinsicht, auch als Anzeichen einer allgemeinen Bewusstseinswende? Gibt es Aufbruchstimmung? Immerhin lehren Sie an einer Hochschule, die sich seit 2010 „Hochschule für nachhaltige Entwicklung“ nennt – und niemand wird bestreiten, dass derlei im Trend liegt…

Ja, das beobachte ich unbedingt, ja, bei vielen jungen Menschen ganz ausgeprägt. Auch bei Förstern stelle ich immer mehr Bereitschaft fest, Dinge anders zu machen. Auf der politischen Ebene freue mich über das Programm der Bundesregierung zum „natürlichen Klimaschutz“, welches auch vielfältige Wälder unterstützen soll. Alles das macht auch Hoffnung.

Sie sind sehr gefragt. Ihr Spezialgebiet boomt – leider, wie man wohl hinzufügen muss. Wann schreiben Sie den Bestseller zu unser aller Herz-Schmerz-Thema Wald?

Wir bemühen uns um den Vorschlag einer „sozialökologischen Waldbewirtschaftung“. Und wenngleich ich da noch nichts Genaues sagen kann: Auch einen Plan in Richtung Buch gibt es…