Berlin. Ein Datum mit Symbolkraft, lang umstritten: Wofür der 8. Mai steht und warum es Forderungen gibt, den Tag zu einem Feiertag zu machen.

Sein offizielles Ende fand der Zweite Weltkrieg in Europa im Offizierskasino einer Wehrmachtsschule im Berliner Stadtteil Karlshorst. Am 8. Mai 1945 unterzeichnete dort, rund sechs Jahre nach Kriegsbeginn, das Oberkommando der deutschen Wehrmacht die bedingungslose Kapitulation.

Heute informiert und erinnert an diesem Ort das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst an die Geschichte. 2020 jährt sich das Kriegsende zum 75. Mal. In Berlin gibt es deshalb in diesem Jahr einen Feiertag – und in ganz Deutschland eine Debatte darüber, ob das Datum nicht zu einem bundesweiten, regelmäßigen Feiertag werden sollte. Was man über den 8. Mai und die Erinnerung an den Tag wissen muss:

Welche Rolle spielt der 8. Mai in der Erinnerungskultur?

Die Wahrnehmung des Tages in der kollektiven Erinnerung hat sich mit der Zeit stark gewandelt. „Das Datum des Kriegsendes hatte es schwer, sich im Erinnerungshaushalt der Deutschen festzusetzen“, erklärte der Historiker Martin Sabrow in einer Ansprache an den Brandenburger Landtag 2015. Lange habe das Datum in der Bundesrepublik nicht den „befreienden Aufbruch aus dem Kerker der Gewaltherrschaft“ bedeutet, sondern die „individuelle Leiderfahrung, die die Zeitgenossen als Ende der Ordnung, als Verlust ihrer Existenz, als hilflos erfahrene Misshandlung erlebt hatten“. Die Westdeutschen hätten sich lange in einem Zwiespalt von positivem und negativem Gedenken gefangen gefühlt, so Sabrow.

Die Rede Richard von Weizsäckers zum 40. Jahrestag des Kriegsendes 1985 stellt deshalb eine Zäsur in der Erinnerungskultur dar. Der Bundespräsident nannte den 8. Mai eindeutig einen „Tag der Befreiung“: „Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Weiszäckers Satz prägt die Erinnerung an den 8. Mai noch heute.

Der Historiker Johannes Hürter vom Institut für Zeitgeschichte warnt allerdings davor, mit der Erzählung von der „Befreiung“ der Deutschen zu sorglos umzugehen. Wenn man bedenke, dass das von Adolf Hitler angeführte „kriminelle Projekt von Millionen Deutschen aktiv unterstützt wurde, lässt sich der Begriff der ‘Befreiung’ anders hinterfragen, als das von rechtsnationalistischer Seite oft getan wird“, sagt Hürter. Die meisten Deutschen seien nicht von einem Regime befreit worden, das sie gegen ihren Willen unterdrückt und zu Untaten gezwungen habe, „sondern sie mussten mit militärischer Gewalt dazu gebracht werden, vom nationalsozialistischen Irrsinn abzulassen“. Was dennoch bleibe, ist die Befreiung von einer verbrecherischen Ideologie, die auf Krieg, Nationalismus, Chauvinismus und Rassenwahn gründete.

Ganz anders in der DDR: Dort wurde der Tag fast von Anfang an in den antifaschistischen Gründungsmythos des Staates eingebunden: Dort wurde der 8. Mai von 1950 bis 1967 als „Tag der Befreiung des deutschen Volkes vom Hitlerfaschismus“ gefeiert. Auch 1985, 40 Jahre nach Kriegsende, wurde das Datum als Feiertag begangen. Die offizielle Erinnerungskultur habe ausschließlich das Bild von der siegreichen Roten Armee und der Befreiung vom Faschismus zugelassen, sagt Hürter. Persönliche Erinnerungen an Gewaltexzesse der Sieger oder Vergewaltigungen durch Soldaten der Sowjetunion, die dieses Bild angekratzt hätten, wurden höchstens im privaten Kreis geteilt.

Ist der 8. Mai ein Feiertag?

In welcher Form des Kriegsendes gedacht wird, unterscheidet sich nach Bundesländern. In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg ist der 8. Mai ein offizieller Gedenktag. Das Land Berlin hat das Datum in diesem Jahr zu einem einmaligen Feiertag erklärt.

Immer gibt es auch Forderungen, den 8. Mai zu einem gesetzlichen Feiertag in ganz Deutschland zu machen. Esther Bejarano, Auschwitz-Überlebende und Vorsitzende des Auschwitz-Komitees, wandte sich im Januar in einem offenen Brief an den Bundespräsidenten und die Kanzlerin: „Der 8. Mai muss ein Feiertag werden!“, schrieb sie darin. Das sei überfällig seit sieben Jahrzehnten. „Am 8. Mai wäre dann Gelegenheit, über die großen Hoffnungen der Menschheit nachzudenken: Über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und Schwesterlichkeit.“

Auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, befürwortet einen Feiertag am 8. Mai. „Der Umgang mit diesem Datum hat immer auch den Umgang der deutschen Gesellschaft mit dem Zweiten Weltkrieg und den Gräueltaten des Holocaust gespiegelt“, sagte Klein. „Um die Erinnerungskultur, die wir jetzt haben, wurde in den letzten Jahrzehnten heftig gerungen.“ Ein jährlicher Feiertag würde die notwendige politische Aufmerksamkeit dafür schaffen, diese Debatten adäquat in die Zukunft zu tragen. „Dies ist vor allem deshalb wichtig, da unsere Erinnerungskultur angegriffen wird, es immer weniger Zeitzeugen gibt und wir neue Formen des Erinnerns finden müssen.“

Auch Vertreter von SPD, Grünen, der Linken und der FDP hatten in der Vergangenheit Sympathie für den Vorschlag geäußert. Dagegen ausgesprochen hatte sich Alexander Gauland, Fraktionschef der AfD im Bundestag. Er wurde scharf kritisiert für die Aussage, dass der Tag sei auch einer der „absoluten Niederlage“ gewesen sei.

Wie wird in anderen Ländern des Tages gedacht?

Als in Karlshorst die Kapitulationserklärung unterschrieben wurde, war in Moskau bereits der 9. Mai angebrochen. In Russland wird deshalb dieses Datum gefeiert, als Sieg der Sowjetunion über Hitlerdeutschland. Für den 75. Jahrestag in diesem Jahr war eigentlich eine große Militärparade geplant, doch diese wurde wegen der Corona-Pandemie abgesagt.

In Tschechien, Frankreich und der Slowakei ist der 8. Mai ein Feiertag. (tma)