Wolfsburg. Während der Dax kräftig zulegte, verloren die VW-Aktien an Wert. Aktionärsvertreter fordern Veränderungen – nicht nur bei der Technik.

Es geht in allererster Linie ums Geld, aber auch ums Prestige und nicht zuletzt um das Ansehen als Arbeitgeber: VW-Chef Oliver Blume will Volkswagen attraktiver für Anleger machen. Sie sollen mit ihrem Geld den Aktienkurs steigen lassen. Im vergangenen Jahr organisierte das Unternehmen am legendären Hockenheimring einen sogenannten Capital Markets Day, um sich Investoren zu präsentieren. Am 24. April folgt eine vergleichbare Veranstaltung in der chinesischen Hauptstadt Peking.

VW-Aktien fahren Dax-Trend weit hinterher

Der VW-Aktienkurs allerdings zeigt sich wenig beeindruckt: Einer langen Talfahrt folgt seit November zwar eine Erholung. Dennoch fahren die VW-Aktien der allgemeinen Entwicklung weit hinterher. Während der wichtigste deutsche Aktienindex Dax seit Ende März vergangenen Jahres um rund 17 Prozent zulegte, verlor die VW-Vorzugsaktie rund 3 Prozent an Wert, die VW-Stammaktie sogar knapp 10 Prozent. Kein Wunder also, dass Aktionärsvertreter unzufrieden sind.

Der Kursverlauf der VW-Stamm- und Vorzugsaktien in den vergangenen fünf Jahren.
Der Kursverlauf der VW-Stamm- und Vorzugsaktien in den vergangenen fünf Jahren. © FMN | Jürgen Runo

Das gilt etwa für Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) in Düsseldorf. Er sagte unserer Zeitung, dass sich der Wert der im VW-Konzern versammelten Marken nicht im Aktienkurs widerspiegele. Angemessen wäre aus seiner Sicht ein Preis von wenigstens 300 Euro je Anteilsschein. „Das wäre angebracht“, sagt Hocker.

Aktionärsvertreter kritisiert späten Einstieg von VW in die E-Mobilität

Die von ihm genannte Zahl übertrifft die aktuellen Kurse der Stamm- und der Vorzugsaktien um weit mehr als das Doppelte. Die mit Stimmrecht verknüpfte Stammaktie notierte am Dienstag bei 144 Euro, die Vorzugsaktie bei rund 123 Euro. Im Gegensatz zur Stammaktie können Inhaber der Vorzugsaktie nicht auf der Hauptversammlung über Unternehmensfragen abstimmen, erhalten im Gegenzug aber eine etwas höhere Dividende als die Inhaber von Stammaktien.

Nach Einschätzung von DSW-Präsident Hocker kommen die VW-Aktien nicht so recht in Schwung, weil VW in der Vergangenheit schwere Fehler gemacht habe. Als Beispiele nennt er den aus seiner Sicht zu späten Einstieg in die E-Mobilität.

Eine weitere Kritik: VW-Modelle seien zu teuer

Zudem hätten die Wolfsburger mit ihren E-Modellen auf dem wichtigsten Markt China technisch den Anschluss verpasst, daher verkauften sich die Autos nicht wie erhofft. „Die Chinazahlen haben Anleger verunsichert“, sagt Hocker. Ein weiterer Kritikpunkt: Die VW-Modelle seien für viele Kunden zu teuer.

Um in China den Anschluss zu den Konkurrenten wieder herzustellen, fordert Hocker vom Autobauer eine Aufholjagd in Sachen Technik. Zudem müsse VW seine Kosten senken, um günstigere Autos anbieten zu können. Er setzt aber noch auf einen weiteren Effekt: So werde wegen des schleppenden Anlaufs der E-Mobilität ein „Zurücksetzen auf Verbrennermodelle“ wahrscheinlicher. „Das könnte zu einer Belebung des Aktienkurses führen“, meint er.

Zweifel an VW-Strategie

Technische „Schwachpunkte“ macht auch Marc Liebscher, Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger in München, für den aus seiner Sicht enttäuschenden Verlauf der VW-Aktienkurse verantwortlich. Als Beispiele nennt er ebenfalls den seiner Meinung nach verspäteten Einstieg in die E-Mobilität sowie eine falsche Strategie zur Digitalisierung der Autos.

Zwar habe VW richtig gehandelt und den Kurs des ehemaligen Vorstandschefs Herbert Diess verlassen, der vor allem auf digitale Eigenentwicklungen gesetzt hatte. „Wir haben aber die Sorge, dass die jetzige Strategie, für die Entwicklung externe Partner zu suchen, nicht konsequent und richtig umgesetzt wird“, sagt Liebscher. Er unterstellt dem Unternehmen einen „mangelnden Willen zur Transformation“.

„Doppelrolle als VW- und Porsche-Chef kann nicht funktionieren“

Viel schwerwiegender als die technischen Versäumnisse seien aber die Verfehlungen in der Unternehmenskultur von VW und den VW-nahen Unternehmen, sagt Liebscher. So kritisiert er etwa scharf, dass in den Aufsichtsrat der Porsche-Holding SE, die die Mehrheit der VW-Stammaktien hält, Mitglieder der VW-Eignerfamilien Porsche und Piëch berufen würden, die fachfremd seien und damit nicht über vertiefte Kenntnisse der Autoindustrie verfügten.

Er kritisiert ferner die Doppelrolle von Oliver Blume als Chef des Sportwagenbauers Porsche und zugleich des VW-Konzerns. „Das kann nicht funktionieren“, sagt er. Blume könne nicht den Bedürfnissen beider Unternehmen gleichermaßen gerecht werden. Interessenkonflikte seien unausweichlich.

VW will Kosten deutlich senken

Eine weitere Verfehlung aus Sicht Liebschers: VW habe nach wie vor den Abgas-Betrug nicht richtig aufgearbeitet. So bemängelt er, dass ehemalige Vorstände nicht in Haftung genommen würden. „Es fehlt noch immer eine Fehlerkultur bei VW und die Bereitschaft, offen mit Verfehlungen umzugehen“, beklagt er. Die Summe dieser „Schwachpunkte“ führe dazu, dass VW bei Investoren nicht besonders gefragt sei. Liebscher: „Das Potenzial der VW-Aktie gibt eigentlich 10 bis 20 Prozent mehr her.“ Weil VW als Großkonzern Vorbild sei, schwäche das Unternehmen mit seinem Verhalten sogar den gesamten Kapitalmarkt in Deutschland.

Um für Investoren attraktiver zu werden, belässt es Volkswagen nicht bei den oben erwähnten Präsentationen. Das Ende vergangenen Jahres mit dem Betriebsrat vereinbarte „Performance-Programm“ soll dafür sorgen, dass beim Autobauer die Kosten nachhaltig um Milliarden gesenkt werden. Dazu gehört auch der Abbau von Arbeitsplätzen hauptsächlich über die Altersteilzeit.

Stellantis könnte für VW Vorbild sein

Diese „strukturellen Anpassungen“ hält auch Frank Schwope für angemessen, damit der Konzern schlanker und damit attraktiver für Investoren wird. Als Vorbild könne der niederländische Stellantis-Konzern dienen, dessen Rendite von 12,8 Prozent fast doppelt so hoch ist wie die des VW-Konzerns. Schwope war einst als Autoanalyst für die Norddeutsche Landesbank tätig und wirkt nun als Lehrbeauftragter für Automobilwirtschaft an der Fachhochschule des Mittelstands in Hannover.

Der Autobauer müsse aber nicht nur auf der Kostenseite schlanker werden, sagt Schwope. „Für viele Investoren ist der Konzern mit seinen zahlreichen Marken unübersichtlich. Daher stellt sich die Frage, ob der Anspruch von Ferdinand Piëch, das gesamte Mobilitätsportfolio anzubieten, noch zeitgemäß ist.“ Schwope: „Muss die Nutzfahrzeugsparte wirklich noch dazugehören?“

Gewinn von VW ist ein „starkes Ergebnis“

Ein weiterer Aspekt, der den Börsenkurs der VW-Aktien bremst, ist laut Schwope die E-Mobilität. So seien längst nicht alle Aktionäre von dieser Strategie überzeugt und fürchteten Verwerfungen in der Autoindustrie mit schwerwiegenden finanziellen Folgen auch für Investoren. Ein weiterer Aspekt, den Schwope beobachtet hat: Nicht alle Investoren seien von der Elektro-Strategie der Wolfsburger überzeugt und gäben daher zum Beispiel eher dem VW-Konkurrenten Tesla den Vorzug.

Trotz aller Sorgen und Probleme will Schwope aber nicht in Schwarzmalerei verfallen. „VW hat im vergangenen Jahr ein operatives Ergebnis von 22,6 Milliarden Euro eingefahren, das ist trotz allem ein starkes Ergebnis.“