Braunschweig. Die Gewerkschaft IG Metall setzt im Ringen um Fachkräfte auf eine verkürzte Arbeitszeit. Dabei soll das Metall-Handwerk vorangehen.

Handwerker – davon gibt es schlicht zu wenig. Das zeigen nicht zuletzt die Wartezeiten. Und es könnte noch schlimmer werden. Denn vieles, was mit Zukunft zu tun hat, hat mit dem Handwerk zu tun: Ohne Handwerker keine Verkehrs-, Klima-, Energiewende. Die IG Metall hat ein sogenanntes Positionspapier mit Vorschlägen und Forderungen erarbeitet, die dafür sorgen sollen, dass der Fachkräftemangel kleiner und das Handwerk als Arbeitgeber attraktiver wird.

Nach Angaben der Gewerkschaft gibt es bereits seit 2015 bundesweit im Handwerk mehr offene Stellen als arbeitssuchende Handwerkerinnen und Handwerker. Besonders betroffen seien Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik sowie Bauelektrik. Die Gründe sind vielschichtig: Zu nennen sind unter anderem der allgemeine Trend zum Abitur, eine unzureichende Berufsorientierung, ein veraltetes Bild von Handwerksberufen.

IG Metall zum Fachkräftemangel: Lehrstellen im Handwerk oft zu weit entfernt

Um die Lücke zu schließen, hätten einige Betriebe begonnen, eine Art verkürzte Ausbildung anzubieten – ohne staatlich anerkannten Abschluss, berichtet Markus Wente, bei der IG Metall Niedersachsen/Sachsen-Anhalt Tarifsekretär für das Handwerk. „Das kann aber nicht die Lösung sein“, sagt er. Denn gesucht seien gut ausgebildete Fachkräfte.

Vor diesem Hintergrund verweist Wente darauf, dass es neben vielen unbesetzten Ausbildungsplätzen auch viele unversorgte Bewerber gebe. Im Jahr 2022 hätten zum Beispiel 7600 erfolglose Bewerber 4700 offenen Lehrstellen gegenübergestanden. Eine Ursache für diesen Missstand: Oftmals seien die Ausbildungsplätze für die Schulabgänger zu weit entfernt und damit nicht erreichbar.

Fachkräfte fehlen: Gewerkschaft will Ausbildungsfonds für das Handwerk

Um das Angebot an Lehrstellen zu erhöhen und einen Anreiz dafür zu schaffen, bringt die IG Metall einen sogenannten Zukunftsfonds ins Spiel. Wente: „In diesen Fonds würden Handwerksbetriebe 0,25 Prozent der Bruttolohnsumme ihrer Beschäftigten zahlen. Bilden Betriebe aus und schaffen Ausbildungsplätze, werden sie aus diesem Fonds gefördert.“

Nach seiner Einschätzung kann auch eine verbesserte Berufsorientierung dazu beitragen, die Fachkräftelücke im Handwerk zu verkleinern. „Viele Unternehmen und Bewerber sind mit der Berufsorientierung unzufrieden“, sagt Wente. Die IG Metall fordert daher Berufsorientierung ab der 7. Klasse als sogenanntes Ankerfach.

Mangel an Fachkräften: Handwerkskammer unterstützt Forderung nach besserer Berufsorientierung

Nach Angaben des Gewerkschaftssekretärs könnten dann Berufsschullehrer, aber zum Beispiel auch Auszubildende selbst Berufe und Ausbildungsbetriebe vorstellen. Flankiert werden sollen diese Präsentationen von Besuchen in den Betrieben und Praktika. Wente legt allerdings Wert darauf, dass sich nach Ansicht der IG Metall nur jene Betriebe in Schulen vorstellen dürfen, die tarifgebunden sind.

Eckhard Sudmeyer, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade, sagt auf Anfrage unserer Zeitung zu diesen IG-Metall-Forderungen: „Wir begrüßen grundsätzlich jede Maßnahme, die dazu führt, mehr junge Menschen für eine handwerkliche Ausbildung zu gewinnen. Wir unterstützen daher die Forderung nach einer besseren Berufsorientierung an Schulen, insbesondere auch an Gymnasien.“

IG Metall zum Thema Fachkräftemangel: Kürzere Arbeitszeit erhöht Attraktivität des Handwerks

Sudmeyer bestätigt zwar, dass Handwerksbetriebe zunehmend Schwierigkeiten hätten, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. „Das Problem ist weniger, zusätzliche Ausbildung zu schaffen, sondern vielmehr die bestehende zu besetzen“, bewertet er die Verfügbarkeit von Lehrstellen aber anders als die Gewerkschaft.

Damit das Handwerk als Arbeitgeber attraktiver wird, braucht es nach Auffassung der Gewerkschaft eine durchgehende Tarifbindung sowie bessere Tarifverträge. Zwar sind laut Wente Betriebe, die Mitglied einer Innung sind, quasi automatisch tarifgebunden, doch seien in den alten Bundesländern nur 43 Prozent der Handwerksunternehmen Mitglied in einer Innung, in den neuen Bundesländern sogar nur 32 Prozent. „Damit sind 40 Prozent der Beschäftigten nicht im Tarif“, kritisiert der Gewerkschaftssekretär.

Fachkräftemangel: Forderung nach „Öffentlichen Aufträgen nur für tarifgebundene Handwerksbetriebe“

Das erfordere ein Gegensteuern. So müssten die Innungen einerseits ihr Angebot verbessern, um für potenzielle Mitgliedsbetriebe attraktiver zu werden. Andererseits müsse Druck von außen aufgebaut werden. Wente: „Innungen sind wie Gewerkschaften steuerbefreit, weil sie Tarifverträge verhandeln sollen. Diese Aufgabe übernehmen viele Innungen aber nicht mehr. Daher sollte für diese Innungen das Steuerprivileg abgeschafft werden.“

Nicht zuletzt fordert Wente ein konsequentes Handeln des Staates. „Öffentliche Aufträge sollten nur an tarifgebundene Betriebe vergeben werden, ebenso öffentliche Fördermittel“, sagt er. „So kann Politik gute Arbeit am besten voranbringen.“

Metall-Handwerk soll Vorbild werden

Kommen wir zu den Tarifverträgen. Hier biete sich den Tarifpartnern die Chance, vor allem mit attraktiveren Arbeitszeiten zu punkten, ist Wente überzeugt. Denn die Entkopplung vom Lohnniveau in der Industrie sei zu weit fortgeschritten. Als Pilot fungiert derzeit das Metall-Handwerk in Niedersachsen.

Die IG Metall will nicht nur 7,3 Prozent mehr Lohn, sondern zugleich eine Verkürzung der Arbeitszeit von 37 auf 32 Wochenstunden – und damit de facto die Einführung der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich. Allerdings soll die Arbeitszeit nicht Knall auf Fall zurückgefahren, sondern um eine Stunde jährlich, verteilt über fünf Jahre.

Auch in anderen Gewerken soll es die Vier-Tage-Woche geben

Ein weiteres Ziel dieser Forderung: Laut Wente soll eine reduzierte Arbeitszeit dazu beitragen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranzutreiben. Durch eine Reduzierung der Wochenstunden bestehe die Möglichkeit, das Aufziehen von Kindern oder die Pflege von Angehörigen gerechter innerhalb der Familien zu verteilen.

Wente betont zwar, dass das Metall-Handwerk derzeit eine Vorreiterrolle bei dieser Forderung einnehme. „Perspektivisch ist eine 4-Tage-Woche aber auch in anderen Gewerken denkbar“, sagt er. In die Zuständigkeit der IG Metall fallen unter anderem noch das Kfz-, das Holz und Kunststoff verarbeitende Handwerk, das Sanitär- und das Elektro-Handwerk.

Handwerkskammer biete Angebote für Schulabgänger ohne Abschluss an

Das Positionspapier der Gewerkschaft listet noch weitere Punkte auf: etwa eine verbesserte Einstiegsqualifizierung für Schulabgänger ohne Abschluss sowie Zuwanderung und die Integration geflüchteter Menschen. Zudem könne eine konsequente Digitalisierung die Produktivität der Betriebe steigern und damit ebenfalls dazu beitragen, die Fachkräftelücke zu schließen.

Nach Angaben von Handwerkskammer-Hauptgeschäftsführer Sudmeyer leistet das Handwerk bereits einen großen Beitrag, wenn es um die Förderung von Schulabgängern ohne Abschluss und die Integration von Migranten geht. „Wir begrüßen Initiativen, die darauf zielen, Perspektiven im Handwerk für Schulabgänger ohne Abschluss zu bieten. Diese Menschen stellen eine durchaus bedeutsame Zielgruppe für die Fachkräftesicherung von Handwerksbetrieben dar“, sagt er.

Flüchtlinge finden im Handwerk einen Arbeitsplatz

Dazu biete das Handwerk bereits verschiedene Angebote an. Als Beispiele nennt Sudmeyer die abschlussorientierte Nachqualifizierung durch Teilqualifikationen für über 25-Jährige, Einstiegsqualifizierungen, assistierte Ausbildung sowie das Programm Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen. „Wichtig dabei ist aber, dass derartige Maßnahmen nicht zu Lasten der betrieblichen dualen Ausbildung gehen“, sagt er.

Zur Integration von Migranten ergänzt Sudmeyer: „Das Handwerk leistet seit 2015 einen überproportional hohen Beitrag zur Integration von Migranten und Geflüchteten in die deutsche Gesellschaft und den deutschen Arbeitsmarkt.“ In Niedersachsen gelte dies insbesondere für das Integrationsprojekt „Handwerkliche Ausbildung für Flüchtlinge und Asylbewerber“, an dem auch die Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade beteiligt sei. Sudmeyer: „Diese Integrationsleistung des Handwerks ist aber vor allem maßgeblich den engagierten Betrieben zu verdanken, die sich aktiv einbringen, um diesen Menschen eine Perspektive zu bieten.“