Braunschweig. Seit Jahren wird in Braunschweig über Schadensersatz in Milliardenhöhe wegen der VW-Dieselaffäre verhandelt. Nun spricht Winterkorn.

Ein freundliches, aber auch etwas verkniffenes Lächeln. Der ein oder andere Gruß Richtung Journalisten. Der Gang schwer und steif, geradezu tappelig. So betritt Martin Winterkorn am Mittwochmorgen die zum Verhandlungssaal umgewandelte Stadthalle Braunschweig. Dort soll der 76-Jährige in dem milliardenschweren Anleger-Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig als Zeuge berichten, was er über den 2015 aufgeflogenen VW-Abgas-Betrug weiß. Winterkorn war seinerzeit Vorstandschef des VW-Konzerns und damit einer der, wenn nicht der mächtigste Automanager der Welt. Die juristische Aufarbeitung des Skandals kostete VW mehr als 32 Milliarden Euro.

Begleitet wird Winterkorn in Braunschweig, der wenige Tage nach Bekanntwerden des Betrugs als VW-Chef zurücktrat und damit die politische Verantwortung übernahm, von zwei Rechtsbeiständen. Die sind als Beobachter Dauergast in einem parallel laufenden Strafverfahren vor dem Landgericht Braunschweig, in dem vier zum Teil ehemalige VW-Manager wegen des Abgas-Betrugs angeklagt sind. Auch Winterkorn sollte sich in diesem Prozess verantworten, das Verfahren gegen ihn wurde aber abgekoppelt und soll separat verhandelt werden.

Der Ex-VW-Chef Martin Winterkorn beim Betreten der Braunschweiger Stadthalle.
Der Ex-VW-Chef Martin Winterkorn beim Betreten der Braunschweiger Stadthalle. © FMN | Peter Sierigk

Aus dieser Konstellation ergibt sich, dass inhaltlich wenig von Winterkorns Zeugenaussage zu erwarten war. Warum sollte er sich selbst belasten, hätte er tatsächlich Kenntnis von den Vorgängen? Daher erklärte er schon zu Beginn seiner Aussage, dass er sich nicht zu den Ereignissen zwischen dem 27. Juli 2015 und dem 23. September 2015 äußern werde – also der heißen Phase unmittelbar vor und nach Bekanntwerden des Skandals bis zu seinem Rücktritt.

Winterkorn: Vorwürfe gegen ihn unzutreffend

Und er erklärte auch: Die Vorwürfe gegen ihn seien unzutreffend, daher habe er sich stets dagegen verteidigt. An vorangegangenen Verhandlungstagen hatten schon die Ex-VW-Chefs Matthias Müller und Herbert Diess gesagt, dass sie keine Kenntnis von den Abgas-Manipulationen gehabt hätten und sich zugleich vor Winterkorn gestellt.

Die Befragung Winterkorns durch den Vorsitzenden Richter Christian Jäde dreht sich um viele technische Details zu Abgas-Reinigung und Motorentechnik. Wie schon an allen Verhandlungstagen zuvor pflegt Jäde einen freundlichen Ton, spricht Winterkorn mit all seinen akademischen Titeln an. In der Sache aber bohrt Jäde beharrlich nach, lässt nicht locker. Beobachtet wird dieser Verhandlungstag von deutlich mehr Zuschauern als sonst, auch der Medienandrang ist groß. Der Name Winterkorn zieht.

Der ehemalige Top-Manager, der schon in seiner Zeit bei VW nicht durch besondere Beredsamkeit auffiel, spricht vor Gericht konzentriert, sachlich, leicht brummelig und hölzern. Von unrechtmäßigen Akustikfunktionen will er ebenso wenig gewusst haben wie von Abschalteinrichtungen.

„Wäre mir ein vollständiges Bild von den internen Vorgängen in den verantwortlichen Fachabteilungen vermittelt worden, hätte ich nicht gezögert, die Vorgänge direkt anzugehen und aufzuklären“, sagt Winterkorn. Er wäre sogar „notfalls selbst in die USA geflogen, um vertraulich mit den Behörden zu sprechen“.

In dem zivilrechtlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig werfen Aktionäre VW und der Porsche-Holding SE vor, sie nicht rechtzeitig über den Abgasbetrug informiert zu haben. Wegen der erlittenen Kursverluste fordern sie Schadenersatz in Milliardenhöhe. Als Musterklägerin tritt die Sparkassen-Fonds-Gesellschaft Deka-Invest auf. In dem Verfahren wird nicht über Schuld oder Unschuld im Abgasbetrug geurteilt. Stattdessen werden in dem Musterverfahren die Inhalte künftiger Verfahren festgelegt, die nach Ende des Musterverfahrens von den jeweils zuständigen Landgerichten verhandelt werden.