Berlin. Die Werbung verspricht Kühe auf Wiesen, die Realität ist eine andere. Das haben die Soko Tierschutz und Foodwatch in Ställen entdeckt.

Kühe grasen auf saftigen, grünen Wiesen. So vermittelt es die Werbung von vielen Milchmarken. Doch die Realität sieht oft anders aus. Angebunden am Hals stehen junge Kühe mit kotverschmierten Hinterläufen im Stall auf Stahlrosten. Die Melkräume sind verdreckt und unhygienisch. Diese Zustände belegen Fotos der Tierschutzorganisation Soko Tierschutz und der Verbraucherorganisation Foodwatch, die sie in Ställen von insgesamt 8 Betrieben in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen aufgenommen haben.

Nach ihren Recherchen werden dort Tiere unter „tierschutzwidrigen Bedingungen angekettet und auf engem Raum gehalten“. Bekannte Hersteller und Marken wie Exquisa, Weihenstephan, Minus L würden von diesen Höfen ihre Milch beziehen – und sogar Bio-Firmen wie Andechser Natur, berichten Foodwatch und Soko Tierschutz. „Die Verbraucher im Supermarkt erfahren davon nichts“, kritisiert Annemarie Botzki von Foodwatch.

So entdeckte die Soko Tierschutz Kühe in einem Stall: angebunden, auf engstem Raum in einem verschmutzten Stall.
So entdeckte die Soko Tierschutz Kühe in einem Stall: angebunden, auf engstem Raum in einem verschmutzten Stall. © Soko Tierschutz | Soko Tierschutz

Beide Organisationen fordern die Unternehmen auf, keine Milch mehr aus Kettenhaltung zu verarbeiten. Diese sei eine Qual für die Tiere. Zudem sollte die Bundesregierung diese Praxis im neuen Tierschutzgesetz grundsätzlich verbieten. Zwar habe die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag versprochen, die Anbindehaltung spätestens in zehn Jahren zu beenden. Der Referentenentwurf dazu komme jedoch nicht voran und stecke in der Kabinettsabstimmung fest.

Soko Tierschutz klagt „erschütternde Zustände“ an

Die Tierschützer sprechen sich auch gegen einen möglichen Kompromiss aus, wonach sich die Tiere 120 Tage im Jahr bewegen dürften und 245 Tage fixiert würden. Auch dies sei ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz, so die Organisationen. Denn dieses schreibe vor, dass Tiere „verhaltensgerecht“ untergebracht werden müssten.

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Insbesondere Bayern wehrt sich gegen ein Verbot der Anbindehaltung. Laut bayerischem Bauernverband hält jeder zweite Betrieb seine Tiere in Anbindehaltung – oft sogar das ganze Jahr über. Das Verwaltungsgericht Münster hatte 2020 unterdessen in einem Urteil eine ganzjährige Anbindehaltung untersagt.

Kühe und Kalb auf engstem Raum im Stall, mit Fäkalien verschmiert.
Kühe und Kalb auf engstem Raum im Stall, mit Fäkalien verschmiert. © Soko Tierschutz | Soko Tierschutz

„Kühe, die angekettet und von Fäkalkrusten bedeckt sind und sich kaum bewegen können – unsere Recherchen dokumentieren erschütternde Zustände“, sagt Friedrich Mülln von Soko Tierschutz. Dies zeige aus seiner Sicht einmal mehr: „Die Anbindehaltung ist klar rechtswidrig und gehört verboten. Wie kann es sein, dass Deutschland die schlechteste Rinderhaltung der Welt hat? Es darf keine Übergangsfristen oder Ausnahmeregeln für solche Straftaten geben.“

Peta-Video: So sieht es in Schweineställen der Initiative Tierwohl aus

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    Tierschutz: Das sagen die betroffenen Unternehmen dazu

    Deutschland ist der größte Produzent von Kuhmilch in der Europäischen Union. Etwa jeder dritte Milchviehbetrieb in Deutschland hält seine Kühe laut Foodwatch in Anbindehaltung. Betroffen sind mehr als eine Million Milchkühe, Bullen und auch junge Rinder in der Mast. Besonders erschreckend: Einer der beobachteten Höfe ist sogar vom Bioverband Naturland zertifiziert, so Foodwatch. Selbst in Öko-Haltung sei die Anbindehaltung für kleine Höfe weiterhin erlaubt.

    Der Öko-Verband Naturland verteidigt unterdessen grundsätzlich die Öko-Kombinationshaltung von Kühen. Der betroffene Naturland-Betrieb, bei dem verschmutze Kühe entdeckt wurden, habe mittlerweile die Belieferung mit Milch eingestellt. Der Kleinstbetrieb mit 13 Milchkühen habe sich zum vermutlichen Zeitpunkt der Fotoaufnahmen in einer Sondersituation befunden, erläutert Naturland in einer Stellungnahme. Nach dem Tod des Betriebsleiters hatte auch der angestellte Betriebshelfer gekündigt. Daraufhin habe die Familie entschieden, die Milchviehhaltung aufzugeben. Die Tiere seien aber ungeachtet der Verschmutzung in einem guten Gesundheitszustand, wie in den vergangenen Tagen der Amtstierarzt festgestellt habe.

    Das Unternehmen Andechser Natur hat sich von den Vorwürfen distanziert. Der von den Tierschützern genannte Betrieb mit Öko-Kombinationshaltung habe seit Anfang Januar die Milchlieferung an die Andechser Molkerei eingestellt, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit. „Bio-Kühe müssen Weidezugang oder Auslauf haben. Eine reine Anbindehaltung ist im Bio-Bereich verboten“, so das Unternehmen. Nur bei kleineren Milchviehbetrieben sei in Ausnahmefällen die sogenannte Öko-Kombinationshaltung erlaubt. Die Andechser Molkerei verarbeite zu 100 Prozent Bio-Milch.

    „Um zu erkennen, dass Tiere leiden, wenn beinahe alle ihre natürlichen Verhaltensweisen unterdrückt werden, sind keine besonderen tiermedizinischen Kenntnisse erforderlich. Die dauernde Anbindehaltung ist nicht nur tierschutzrechtlich unzulässig, sondern regelmäßig strafbar”, ist auch Jens Bülte, Strafrechtsprofessor an der Universität Mannheim überzeugt. Rinder leben eigentlich auf Weideflächen in Herden und laufen täglich mehrere Kilometer. In Anbindehaltung ist dies unmöglich. Milchkühe, die in Ställen fixiert sind, litten laut Studien zudem besonders häufig unter schmerzhaften Euterentzündungen.