Wolfsburg. Qualitätsprobleme müssen behoben werden. Nur dann seien Kunden bereit, mehr für einen VW zu zahlen, fordert die Betriebsratschefin.

Am Mittwoch kommt die VW-Belegschaft in Wolfsburg zum letzten Mal in diesem Jahr zu einer Betriebsversammlung zusammen. Im Vorfeld sprach Betriebsratschefin Daniela Cavallo im Interview über die Krise beim Autobauer und Lösungsansätze. „Wir wissen: Vor uns liegen schwierige Jahre“, sagte sie.

Frau Cavallo, wie geht es Volkswagen?

Durchwachsen. Auf der einen Seite haben wir Krisen wie Corona, Chipmangel, Unwetterkatastrophen und steigende Kosten gut
hinter uns gebracht. Das Unternehmen ist nach wie vor ziemlich robust und in der Lage, Krisen abzufedern. Übrigens sogar mit Rekord-Ergebnissen, auf die wir im Konzern auch 2023 wieder zusteuern. Wir merken aber, dass der Branchenwandel, unsere dafür nötige Transformation und Krisen auf uns lasten. Wir wissen: Vor uns liegen schwierige Jahre.

Golf-Produktion in Wolfsburg. Nach Angaben von VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo werden im Stammwerk in diesem Jahr um die 500.000 Autos produziert.
Golf-Produktion in Wolfsburg. Nach Angaben von VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo werden im Stammwerk in diesem Jahr um die 500.000 Autos produziert. © dpa | Julian Stratenschulte

Hinzu kommt die Absatzkrise: Das Unternehmen kommuniziert mittlerweile ganz offen, dass die Bestellungen für die E-Autos deutlich hinter den Erwartungen bleiben.

Ja, das trifft aber die ganze Branche. Wir erleben, dass die Elektromobilität eben nicht so hochfährt, wie wir uns das alle gedacht haben. Auch die Bundesregierung weiß, dass wir in 2030 nicht die geplanten 15 Millionen vollelektrischen Fahrzeuge erreichen, wenn es so weitergeht.

Woran liegt es?

Es gibt unterschiedliche Ursachen. Dazu gehören auch interne Gründe bei uns – bei den Produkten. Wir müssen weiter daran
arbeiten, dass das seit der Dieselgate-Krise belastete Image gedreht wird. Ein weiteres Problem ist, dass sich viele Kunden bei der Elektromobilität zurückhalten. Dafür sorgen die Inflation und die hohen Stromkosten. Außerdem ist die Ladeinfrastruktur immer noch nicht so, wie wir uns das wünschen. Im ersten Schritt der Elektromobilität haben sich viele Elektrofahrzeuge gekauft, die wissen, wie und wo sie laden können. Diese Sicherheit haben aber viele andere Autokäufer nicht, da gibt es noch viel zu tun. Ein weiterer Aspekt ist das Zurückfahren der staatlichen Fördermaßnahmen.

Fordern Sie neue Fördergelder des Bundes?

Uns ist klar, dass das auch aufgrund der aktuellen Haushaltssituation unrealistisch ist. Aber es war zu früh, die Förderung zu kappen. Das betrifft vor allem die Geschäftsfahrzeuge. Wir haben viele Flottenkunden, die sich nun Richtung Verbrenner umorientieren. Das kann ja eigentlich nicht das Ziel der Bundesregierung sein. Wir haben innerhalb der Automobilindustrie und gemeinsam mit der IG Metall ein Positionspapier erarbeitet, in dem wir eine öffentliche Förderung des Ladestroms und den Ausbau der Ladeinfrastruktur von der Politik fordern. Sie muss auch dafür sorgen, dass in alternative Energien investiert wird. Nur ein Strommix, der konsequent immer regenerativer wird, überzeugt für Elektroautos.

Muss VW seine Produktpolitik anpassen? Sie haben in unserem letzten Gespräch gefordert, dass VW einen günstigen Stromer anbieten müsse. Solch ein Auto zum Preis von 25.000 Euro ist zwar inzwischen angekündigt, kommt aber erst 2026. Ist das nicht reichlich spät?

Ja, es muss mehr passieren. Aus meiner Sicht brauchen wir noch ein Einstiegsmodell darunter. Es wäre zwar schön, wenn solch
ein Fahrzeug schnell käme, aber es kann nicht einfach so hergezaubert werden. Unabhängig davon ist wichtig, dass wir auch mit unseren Verbrennerfahrzeugen die Kunden überzeugen: mit dem neuen Tiguan oder nächstes Jahr mit dem neuen Passat und dem überarbeiteten Golf. Denn wir dürfen uns nichts vormachen: Die Transformation können wir nur finanzieren, wenn wir in der Verbrennerwelt weiter so erfolgreich sind.

Können die E-Autos im Einstiegssegment in Europa produziert werden? Oder kommen sie dann aus China?

Dass diese Fahrzeuge aus China kommen, sehe ich nicht. Gebaut werden soll das Modell, das VW 2025 vorstellen will und dessen Produktion ab 2026 hochlaufen soll, in Spanien. Wir werden uns auch in Zukunft für eine Produktion in Deutschland und Europa einsetzen. Ohnehin ist es die Philosophie des Unternehmens, lokal zu produzieren. Vor diesem Hintergrund ist die neue Chinastrategie zu sehen.

Was wiegt schwerer in der Absatzkrise: die VW-internen Fehler oder die äußeren Bedingungen?

Die Welt hat sich verändert, viele Veränderungen kommen von außen, hinzu kommen eigene Fehler. Beides vermischt sich. Wegen der Inflation gucken alle Menschen genau auf ihre Ausgaben. Früher gab es eher die Bereitschaft, für einen Volkswagen aus guten Gründen mehr auszugeben als für einen Wettbewerber – Stichwort VW als Premium-Volumen. Diese Bereitschaft schwindet. Das hat auch damit zu tun, dass wir ein Image-Thema hatten. Wenn wir zeigen, dass Volkswagen wirklich ein Volkswagen ist und die Kunden mehr zu erwarten haben als beim Wettbewerb, dann werden uns die Kunden die Treue halten.

Was können die Kunden mehr erwarten?

Wir müssen mit der Qualität wieder dahin, wo wir mal waren. Wir haben jetzt ein Vorstandsteam, das wieder sehr stark auf die
Produkte guckt und kurzfristig Veränderungen veranlasst. Diesen Schub sieht man schon bei unseren aktuellsten Modellen, aber auch bei Prototypen und Entwicklungsfahrzeugen. Das ist notwendig, denn wenn die Produkte nicht passen, brauchen wir kein Performance-Programm.

Wird auch bei den Elektrofahrzeugen nachgesteuert? Es ist immer wieder zu hören, dass VW mit der ID-Familie in der Formensprache sein Alleinstellungsmerkmal aufgegeben hat. Die VW-Verbrenner sind auf einem Parkplatz als VW zu erkennen, die E-Modelle sind dagegen verwechselbar.

An dieser Kritik ist etwas dran, und das wurde erkannt. Unser neuer Design-Chef Andreas Mindt hat genau diese Diskussion im
Markenvorstand geführt und jetzt ist klar, dass wir zu unserem Wiedererkennungswert zurückkehren müssen. Der Vorstand hat bereits angekündigt, dass wir unsere Ikonen wie Golf und Tiguan nicht aufgeben in der Elektro-Welt. Auch die Namen werden wir behalten: Golf und Tiguan werden in der elektrifizierten Welt weiter angeboten.

Die ID-Familie wird parallel weiter angeboten?

Klar. Die Produkte sind teils schon neu auf dem Markt oder entscheidend aufgewertet. Sie bekommen bestimmt auch wieder Namen, mit denen die Kunden mehr verbinden als zwei Buchstaben und eine Zahl. Jetzt brauchen wir aber natürlich noch mehr Aufträge.

Im Zusammenhang mit dem Performance-Programm verhandeln Vorstand und Betriebsrat über einen Personalabbau. Wann kommen die konkreten Ergebnisse?

Das hängt davon ab, wann wir uns einigen.

Kommen die Ergebnisse noch in diesem Jahr oder 2024?

Wir sind es der Belegschaft schuldig, auf der Betriebsversammlung am 6. Dezember zu sagen, wie es weitergeht. Auch wenn wir
bis dahin mit den Verhandlungen noch nicht durch sind, wollen wir zumindest sagen, wo wir stehen. Derzeit kann ich mir schwer vorstellen, dass wir ein komplettes Programm für die nächsten drei Jahre definieren. Dafür ist das Thema zu komplex. Wir haben diese 10 Milliarden Euro, die bis 2026 eingespart werden sollen, und es wird nicht möglich sein, das jetzt auf einen Schlag alles im Detail zu definieren. Das wird ein Prozess werden.

Personalvorstand Gunnar Kilian hat angekündigt, Altersteilzeit und Ruhestandsregelungen „maximal“ nutzen zu wollen. Reicht das, oder denken Sie auch über eine Vier-Tage-Woche nach?

Nein, es gibt keine Überlegungen zur Vier-Tage-Woche. Ich habe auch deutlich gesagt, dass wir nicht über tarifvertragliche Themen sprechen und dass wir nicht die Beschäftigungssicherung antasten. Die Altersteilzeit ist dagegen ein sehr wichtiges Instrument. Nun zeigt sich, wie wichtig es war, dass wir das in der vergangenen Tarifrunde verteidigt haben.

Fallen im Zuge der Sparvorgaben Nachtschichten komplett weg?

Nein, dazu gibt es keine grundsätzliche Abstimmung. Außerdem steht und fällt das immer schon mit dem Volumen, also auch
mit der Auftragslage, und liegt nicht an starren Festlegungen bei Sparplänen. Und im Durchschnitt haben wir ja bereits eine Zweischicht-Fahrweise. Das liegt daran, dass das Produktionsvolumen leider gefehlt hat. In Wolfsburg haben wir in
der Fertigung nur noch die Montagelinie 4 mit Nachtschicht. Dort werden der Tiguan und der Touran gebaut. Wenn das Volumen wieder zunimmt, bekommen wir auch die Nachtschichten zurück.

Um wie viele Köpfe geht es in den Plänen zum Personalabbau?

Wir haben keine Köpfe definiert. Das Unternehmen hat bekannt gegeben, dass es über Personalkosten im indirekten
Bereich sprechen will. Deshalb reden wir nicht über Kopfzahlen, sondern über Kostenhebel.

Zum Beispiel?

Denkbar sind Anpassungen der Management-Strukturen. Wenn wir weniger Manager beschäftigen, dann ist das Verhältnis, wie viele Kosten eingespart werden, ein anderes, als wenn es um Tarif-Mitarbeiter geht.

Das heißt, die Zahl der Führungskräfte soll verringert werden?

Zum Beispiel, es gibt aber auch andere Stellhebel, die wir gerade diskutieren.

Wie wirkt sich der Spardruck auf das Werk Wolfsburg aus? Die geplante Trinity-Fabrik ist bereits vom Tisch, was ist mit dem Campus Sandkamp?

Das Aus für die Trinity-Fabrik hängt nicht mit Einsparungen zusammen, sondern damit, dass sich der Zeitplan für den Trinity
geändert hat. Die Fabrik sollte gebaut werden, um die Produktionsprozesse im Stammwerk nicht zu stören. Durch den veränderten Zeitplan gibt es dieses Problem nicht mehr.

Bis wann soll final über den Campus Sandkamp entschieden werden?

Ich gehe davon aus, dass es bereits in den nächsten Tagen dazu Neuigkeiten geben wird.

Stichwort Haushaltssperre: Betrifft das Thema Volkswagen?

Nicht direkt, und die Batteriezell-Fabrik in Salzgitter bauen wir ohne Subventionen auf. Betreffen wird uns das Thema am
Ende schon, wenn jetzt zum Beispiel bei anderen Unternehmen, die auf Subventionen gesetzt haben, Projekte in Gefahr geraten. Ich denke an Stahl- und an die Halbleiterindustrie. Die Politik muss dafür sorgen, dass die Planungssicherheit gewährleistet ist.

Muss die Planungssicherheit nicht auch für die Verbraucher gelten? Ab Januar kann die Stromzufuhr für Wärmepumpen und private Ladestationen bei Versorgungsengpässen gedrosselt werden. Ist das nicht ein zusätzlicher Dämpfer für die E-Mobilität?

Genau das sind Dinge, die zusätzlich belasten. Die Politik muss den Menschen mehr Sicherheit geben. Wir merken doch, was die
Unsicherheit mit der Gesellschaft macht. Wir sehen, dass sich immer mehr Menschen Rechtspopulisten zuwenden. Es gibt zu viel, was verunsichert. Es gelingt der Politik nicht, den Menschen in der breiten Masse deutlich zu machen, dass sie diese Krisensituation im Griff hat. Das macht mir Sorgen. Diese Entwicklung hat nicht nur Auswirkungen auf das Kaufverhalten, sondern auf das gesellschaftliche Klima. Diese Entwicklung ist eine große Gefahr für unsere Demokratie und unser gesellschaftliches Miteinander. Deshalb blicke ich mit Sorge auf die nächsten Wahlen. Das gilt auch mit Blick auf Europa, wo in vielen Ländern Rechtspopulisten immer mehr Zuspruch erhalten, die auch das europäische Miteinander ablehnen. Dieses Denken in Grenzen schadet der Wirtschaft und den Arbeitsplätzen. In Europa arbeiten 73 Prozent unserer Beschäftigten. Wir müssen noch viel stärker deutlich machen, wie gefährlich Populismus ist. Deshalb wollen wir im Unternehmen vor der Europawahl zum Beispiel darüber informieren, wie wichtig Europa für Volkswagen ist und was es bedeuten würde, wenn es Europa in dieser Form nicht mehr geben würde.

Zurück zum Unternehmen: Inwieweit bremsen die schleppenden Absatzzahlen der E-Autos den Aufbau der Batteriezell-Produktion?

Wir bewerten laufend die Geschwindigkeit des Hochlaufs der Batteriezell-Produktion in Salzgitter. Wir würden natürlich keine
Kapazitäten bereits aufbauen, wenn wir sie erst später wirklich brauchen. Deswegen ist es so wichtig, dass die Politik keine Zweifel aufkommen lässt, dass die Elektromobilität der Weg ist, der in die Zukunft führt. Und klar ist auch: Wenn der Strompreis für die Industrie hierzulande nicht sinkt, wird es schwieriger, unsere Forderung nach einer Erweiterung der Gigafabrik in Salzgitter umzusetzen.

In den vergangenen zwei Jahren wurden in Wolfsburg jeweils um 400.000 Autos produziert. In Spitzenzeiten waren es
doppelt so viele. Wie viele sind es in diesem Jahr und wie viele Fahrzeuge braucht das Werk, um die Beschäftigung nachhaltig zu sichern?

Die exakte Zahl für dieses Jahr kennen wir noch nicht, rechnen aber mit einer Zahl in Sichtweite der 500.000 Autos. Im Moment
haben wir befristete Beschäftigte an Bord, um die Produktion zu sichern. Sollte die aktuelle Stückzahl höher werden, entsteht sogar Personalbedarf. Unser grundsätzliches Produktionsziel ist eine hohe sechsstellige Stückzahl. Mitte September lagen wir bei 355.000 Fahrzeugen.

Haben die Leihbeschäftigten angesichts des Sparkurses eine Perspektive?

Wenn die Stückzahl auf dem derzeitigen Niveau bleibt, dann brauchen wir sie möglicherweise noch länger.