Braunschweig. Zum 150-jährigen Bestehen gibt es Lob aus dem Management und der Politik. Das Werk Braunschweig treibt die Bahn-Digitalisierung voran.

Die offizielle Feier zum 150-jährigen Bestehen des Siemens-Standorts Braunschweig am Donnerstag war zugleich ein kollektives Hurra auf eine glorreiche Zukunft der Eisenbahn. Zwar ist der momentane Zustand dieses Verkehrsmittels in der Gegenwart oft eher trist und unzuverlässig, doch in Zukunft soll alles anders, besser, gleißender werden. Das versprach etwa Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP), der eigens nach Braunschweig gereist war. Siemens, und insbesondere das Werk Braunschweig, sollen und wollen einen großen Anteil daran haben. Doch zunächst wurde gefeiert.

Dafür lud das Unternehmen seine Gästeschar zu einem Werksrundgang ein. Neben Wissing schlossen sich unter anderem Siemens-Konzernchef Roland Busch und später Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) an. Dabei erhielten sie einen Einblick in aktuelle und zukunftsweisende Produkte des Braunschweiger Werks, das auf die Bahnautomatisierung spezialisiert ist.

Siemens Braunschweig: Stellwerke, Relais, Cloud

Gefertigt werden in Braunschweig zum Beispiel Stellwerke. Die bestehen aus Schaltschränken in leicht überdimensionierter Spindgröße. Je nach Anwendung besteht ein Stellwerk aus vier bis 20 dieser Schränke. Produziert wird zudem seit den 1950er Jahren das nach Siemensangaben „legendäre“ Signalrelais K50. Gelötet wird dieses Relais nach Angaben einer Mitarbeiterin nach wie vor in Handarbeit.

Blick in die Siemens-Produktion.
Blick in die Siemens-Produktion. © FMN | Bernward Comes

In Braunschweig wird aber auch zukunftsgerichtete Spitzentechnologie entwickelt, die hinter dem nüchternen Namen DS3 „versteckt“ wird. Gemeint ist eine zentralisierte Leit- und Sicherheitstechnik, die digital über Server – eine Cloud – gesteuert wird.

Siemens ermöglicht Weichenstellung per Maus-Klick

Nicht mehr Mechanik löst etwa eine Weichenstellung aus, sondern ein Maus-Klick. Siemens hat sich diese Technik patentieren lassen, im Einsatz sei sie bereits in Spanien und Österreich. Unser südlicher Nachbar ist Deutschland also offenbar nicht nur im Fußball voraus, sondern auch in der Anwendung neuester Bahntechnik.

Siemens-Mitarbeiterin Sonja Steffens und Vorstandschef Roland Busch erläuterten die zukunftsweisende Bahnsteuerung DS3.
Siemens-Mitarbeiterin Sonja Steffens und Vorstandschef Roland Busch erläuterten die zukunftsweisende Bahnsteuerung DS3. © FMN | Bernward Comes

Gegründet wurde der Siemens-Standort Braunschweig 1873 von den in unserer Region bestens bekannten Industrie-Pionieren Max Jüdel und Heinrich Büssing. Andre Rodenbeck, Chef für den Bereich Schienen-Infrastruktur bei Siemens, sprach von einer 150-jährigen Tradition als „Denkfabrik für den Schienenverkehr“. Er wie auch Siemens-Vorstandschef Busch und Siemens-Mobility-Geschäftsführer Karl Blaim betonten, dass die inzwischen etwa 4000 Beschäftigten im Werk stolz sein könnten auf die Ergebnisse ihrer Arbeit.

Siemens-Beschäftigte machen „die Welt ein kleines Stück besser“

Sie trügen dazu bei, dass die Bahn weltweit leistungsfähiger und umweltfreundlicher werde – und „die Welt damit jeden Tag ein kleines Stück besser“. Das Werk Braunschweig sei der weltweit größte und älteste Fertigungs- und Entwicklungsstandort für Bahnsignal- und Bahnautomatisierungs-Technologien.

Was das Wort Denkfabrik im Ergebnis bedeutet, verdeutlichte Rodenbeck. 150 Patente jährlich würde die gesamte Mobilitätssparte des Konzerns jährlich anmelden. Siemens ist damit ein engagierter Verteidiger des inzwischen leicht angekratzten Images Deutschlands als Land der Ingenieure und Entwickler.

Lob für Siemens von den Ministern

Voll des Lobes waren auch die Minister Wissing und Lies. Lies betonte, dass die 4000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Braunschweiger Werks aus 46 Nationen stammen. Er sprach von einem „internationalen Standort, der für die Welt entwickelt und offen ist für die Welt“. Mit der Ausbildung von 54 Lehrlingen leiste der Standort einen wichtigen Beitrag, um die Versorgung mit Fachkräften nicht abreißen zu lassen. Ohnehin seien die Beschäftigten die Verantwortlichen für die 150-jährige Erfolgsgeschichte des Werks.

Auch mit Blick auf die Stadt Braunschweig, die in ihr ansässige Bahn- und Autoindustrie und der wissenschaftlichen Mobilitätsforschung sparte Lies nicht mit Lob, sprach vom „Silicon Valley der Mobilität“ und setzte sogar noch einen drauf: Braunschweig sei die „internationale Metropole der Mobilität“. Mehr geht kaum.

Lies, der Mutmacher

Ohnehin gab sich Lies bestens gelaunt als unverwüstlicher Mutmacher und Optimist. Die von der Transformation in vielen Bereichen geprägte Gegenwart sei die „beste Zeit, in der wir leben“. Denn sie biete viele Chancen für die deutsche und niedersächsische Wirtschaft, um die Technologieführerschaft zu übernehmen. Es komme allerdings darauf an, die Veränderungen auf breiter Front nicht als Belastung zu empfinden, sondern als Erfolgsaussicht.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies bezeichnete das Siemens-Werk Braunschweig  als „internationalen Standort, der für die Welt entwickelt und offen ist für die Welt“.
Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies bezeichnete das Siemens-Werk Braunschweig  als „internationalen Standort, der für die Welt entwickelt und offen ist für die Welt“. © FMN | Bernward Comes

Schützend stellte sich der Landespolitiker auch vor seine amtierenden Kolleginnen und Kollegen in Berlin. Sie hätten viele Lösungen für aktuelle Herausforderungen gefunden, würden diese allerdings nicht geschickt verkaufen, sagte Lies, während Wissing konzentriert lauschend still nickte. Das Deutschland-Ticket zum Beispiel und auch die Generalsanierung der Bahn würden zu „Exportschlagern“ in Europa, unterstrich Lies.

Bahn zentrales Element der Verkehrswende

Sein Vorredner, Bundesverkehrsminister Wissing, gab sich nicht ganz so als sprühender Optimist, sondern als nüchtern-konzentrierter Politik-Arbeiter. Natürlich schmeichelte auch er dem Unternehmen Siemens und dessen Standort Braunschweig, nahm dann aber schnell die Weiche hin zur Verkehrswende. Diese Strategie der Bundesregierung soll ein zentraler Hebel sein, um den Klimaschutz zu verbessern.

Eine Sonderrolle kommt dabei nicht überraschend der Bahn zu – für den Güter- und Personenverkehr. In diesem Zusammenhang betonte der FDP-Politiker, dass die Bahn Rekordzahlen beim Transport erziele, auch dank des Deutschland-Tickets. Dabei redet er nicht um das Hauptärgernis für viele Reisende und Pendler herum: „Die Bahn muss pünktlicher und zuverlässiger werden.“

Das Ziel: 20 Prozent mehr Bahnverkehr

Ziel der Bundesregierung sei, bis Ende des Jahrzehnts ein digitalisiertes und leistungsfähiges „Kernnetz“ der Bahn zu schaffen, das 20 Prozent mehr Verkehr zulasse als derzeit. Um dieses Ziel zu erreichen, würde das Bahnnetz in Korridoren saniert.

Das Prinzip: Die Erneuerung erfolge nicht mehr „unter dem laufenden Rad“, also bei gleichzeitigem Bahnbetrieb. Stattdessen würden Bahnkorridore komplett gesperrt, Trassen und Oberleitungen entfernt und neu aufgebaut. Die Vorteile: Eine Kompletterneuerung mit modernster Technik bei gleichzeitig großer Zeitersparnis durch die Korridorsperrung. Wissing bezeichnete die Korridorsanierung als eine der drängendsten Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland.

Bahn-Sanierung kostet 40 Milliarden

Der Haken: Der Minister sprach von 40 Milliarden Euro, die benötigt würden – kein Pappenstiel also. Ein Teil des Geldes sollte aus dem Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung kommen. Allerdings stehen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der daraus resultierenden Haushaltssperre deutlich weniger Mittel zur Verfügung.

Doch trotz der Haushaltsprobleme gab sich Wissing überzeugt, dass sich die geplanten Sanierungen nicht verzögern werden. Im Nachgang schränkte der Minister vor Journalisten jedoch ein, dass diese Einschätzung für 2024 gelte. Mit Lösungen für die Folgejahre befasse sich derzeit die Bundesregierung. Wissing: „Das ist alles nicht einfach.“

Zum Tarifkampf zwischen der Lokführergewerkschaft GDL und der Bahn äußerte sich Bundesverkehrsminister Wissing mit Verweis auf die Tarifautonomie nicht. Er appellierte aber an die GDL, den „Weihnachtsfrieden“ einzuhalten – sprich: auf Streiks zu verzichten.

Ein besonderes Jubiläumsgeschenk hatten Vertreter der Bahn im Gepäck: Künftig wird der Süd-Ausgang des Braunschweiger Hauptbahnhofs nach Siemens benannt.