Wolfsburg. Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwälte sorgen für Spannungen mit dem Arbeitsgericht. Das sieht sich ins falsche Licht gerückt.

Razzia unter anderem bei VW, unterschwellige Vorwürfe gegen das Arbeitsgericht Braunschweig: Die jüngsten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig im Zusammenhang mit den Betriebsratsvergütungen bei VW werfen nicht nur Fragen auf, sondern sorgen für verschnupfte Reaktionen beim Arbeitsgericht. Nun könnte die Politik mit einer Reform des Betriebsverfassungsgesetzes für mehr Rechtssicherheit sorgen, wenn es um Betriebsratsvergütungen geht. Die Weichen dafür wurden am Mittwoch gestellt.

Seit Jahren schon schwelt der juristische Streit darüber, was Betriebsräte unter anderem bei VW, aber auch in anderen Unternehmen verdienen dürfen. Gerichte aller Instanzen befassten sich mit der Angemessenheit der Betriebsratsvergütungen. Stets ging es dabei auch um die Auslegung des Betriebsverfassungsgesetzes. Und: Strafrechtler bewerten das Thema anders als Arbeitsrechtler.

Im Fokus steht ein von VW und Betriebsräten geschlossener Vergleich von 2019

Zuletzt sorgte eine von der Staatsanwaltschaft Braunschweig Ende September veranlasste Razzia unter anderem bei VW für Aufsehen. Wieder ging es dabei um die Vergütungspraxis von Betriebsräten. Wieder steht der Vorwurf der Untreue im Raum. Dieses Mal drehten sich die Durchsuchungen um einen Vergleich, den VW und Arbeitnehmervertreter 2019 geschlossen haben. Nach diesem Vergleich erhöhte VW die zuvor gekürzten Betriebsratsgehälter wieder.

Auf Nachfrage unserer Zeitung, warum die Staatsanwaltschaft Braunschweig erst vier Jahre nach dem geschlossenen Vergleich ermittelt, erläuterte Oberstaatsanwalt Hans Christian Wolters, dass die Staatsanwaltschaft einen Hinweis von außen auf mögliche Unregelmäßigkeiten bekommen habe. Schon 2017 war der Fall ins Rollen gekommen, weil ein Hinweisgeber von außen Anzeige erstattet hatte. Dieser Hinweisgeber kam nach Informationen unserer Zeitung aus unserer Region.

Anfangsverdacht gegen VW

Wolters führte weiter aus, dass die erneut erhobenen Vorwürfe aus Sicht der Staatsanwaltschaft zutreffen. Die von VW praktizierten Regelungen entsprächen nicht dem Betriebsverfassungsgesetz. Gleichwohl handele es sich derzeit noch um einen Anfangsverdacht. Im Zuge der Ermittlungen müsse auch herausgefunden werden, wer bei VW 2019 für die neue Vergütungsregelung verantwortlich war. Personalvorstand war damals bereits der noch heute amtierende Gunnar Kilian.

Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft hat VW das Arbeitsgericht Braunschweig im Zuge des 2019 geschlossenen Vergleichs für seine Zwecke instrumentalisiert. Ein Vorwurf, der damit auch das Arbeitsgericht Braunschweig trifft. Das will Wolters so aber nicht verstanden wissen, sieht das Gericht wohl eher in der Rolle des Opfers.

Staatsanwaltschaft: VW hat Richter instrumentalisiert

Wie er erläuterte, ist es üblich, dass Gerichte einen Vergleich zwischen streitenden Parteien protokollieren, wenn diese sich außergerichtlich einigen. In diesen Fällen werde der Inhalt des Vergleichs von den Gerichten nicht mehr gegengecheckt. Allerdings hätte VW den Vergleich nicht schließen dürfen, weil er nach Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht dem Betriebsverfassungsgesetz entspricht. Der Autobauer habe den Vergleich aber genutzt, um den Eindruck entstehen zu lassen, er sei gerichtlich geprüft.

Die Vorwürfe gehen noch weiter – auch gegen das Arbeitsgericht Braunschweig. Das „Handelsblatt“ berichtete mit Verweis auf den Durchsuchungsbeschluss, dass VW-Bevollmächtigte zwei Richter am Arbeitsgericht dazu bewegt haben sollen, Vergleiche mit zwei Betriebsräten zu beurkunden. Träfe dies tatsächlich zu, dann hätte dieser Vorgang mindestens ein Geschmäckle.

„Keine widerrechtliche Beeinflussung der Richter“

Auch diesen Punkt will Oberstaatsanwalt Wolters anders eingeordnet wissen. „Den Richtern wurde nichts angeboten“, sagte er unserer Zeitung. „VW und die Kläger haben den Vergleich gefordert und wollten ihn protokolliert haben.“ Die Richter hätten nicht gewusst, dass sich VW später auf den Vergleich berufe. „Die Richter sind dazu gebracht worden, den Vergleich zu protokollieren, aber ohne widerrechtliche Beeinflussung.“

Wer allerdings ohne diese Erläuterungen vom Vorwurf liest, die Richter seien dazu „bewegt“ worden, den Vergleich zu protokollieren, der könnte rasch einen ganz anderen Eindruck von diesem Vorgang gewinnen – den einer Bananenrepublik, in der Bestechung und Druck zählen, nicht Recht und Gesetz.

Landesarbeitsgericht: Wortwahl ist unglücklich und irreführend

Das Landesarbeitsgericht Hannover, das in diesem Fall die Kommunikation für das Arbeitsgericht Braunschweig übernahm, äußerte sich zu den Anwürfen gegenüber unserer Zeitung angefasst. Vorsitzender Richter und zugleich Pressesprecher Timm Trapp sagte, die Wortwahl der Staatsanwaltschaft Braunschweig sei „unglücklich und irreführend“. „Die Richter haben sich nicht instrumentalisieren lassen, wie es die Wortwahl suggeriert.“ Die Protokollierung der ihm vorgelegten, gleichlautenden Vergleichsvorschlägen durch das Gericht sehe die Gerichtsordnung vor und sei gängige Praxis.

Sollte die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geplante Überarbeitung des Betriebsverfassungsgesetzes nun das Abstimmungsverfahren im Parlament bestehen, dürfte an der juristischen Front grundsätzlich deutlich mehr Ruhe einkehren. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) im Januar, das ein Urteil des Landgerichts Braunschweig aufhob, hatte Heil eine Expertenkommission eingesetzt, um Reformvorschläge für das Betriebsverfassungsgesetz zu erarbeiten. Der Gesetzesentwurf zur Änderung der Betriebsverfassung wurde am Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen, teilte die Pressestelle des Bundesarbeitsministeriums mit. Nun muss er noch durch die parlamentarische Abstimmung.