Wolfsburg. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt wegen des Verdachts der Untreue gegen Volkswagen. Hatte VW-Personalchef Gunnar Kilian Kenntnisse?

Ende September führten Ermittler der Braunschweiger Staatsanwaltschaft eine Razzia in den Büros des VW-Markenhochhauses in Wolfsburg durch, dann berichtete vergangene Woche das „Manager Magazin“, dass offenbar der VW-Personalvorstand Gunnar Kilian im Visier der Ermittler steht. Kilian, seit 2018 Personalchef bei VW, wird demnach Untreue im Zusammenhang mit der Vergütung von VW-Betriebsräten vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig erklärte nun am Montag, keine Angaben zu bestimmten Personen machen zu können. Auch VW hatte schon am Freitag keine Namen bestätigt. Die Ermittler sprechen nur von dem „Beschuldigten“ und konkretisieren jetzt die Verdachtsmomente.

Der Haupteingangsbereich der Staatsanwaltschaft in Braunschweig. Sie hat Anhaltspunkte dafür, dass VW versuchte, Einfluss auf externe Gutachten zu Betriebsratsgehältern zu nehmen.
Der Haupteingangsbereich der Staatsanwaltschaft in Braunschweig. Sie hat Anhaltspunkte dafür, dass VW versuchte, Einfluss auf externe Gutachten zu Betriebsratsgehältern zu nehmen. © dpa | Moritz Frankenberg

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass „Akteure auf Seiten der Volkswagen AG“ Einfluss auf die Erstellung von externen Gutachten genommen hätten, die VW selbst in Auftrag gegeben hatte. Außerdem gibt es laut Staatsanwaltschaft Anhaltspunkte dafür, dass VW-„Akteure“ die Arbeitsgerichtsbarkeit für ihre Zwecke instrumentalisiert haben könnten. „Ob der Beschuldigte von diesen Umständen Kenntnis hatte, ist Gegenstand der Ermittlungen und bedarf der sorgfältigen Prüfung“, erklärte die Staatsanwaltschaft am Montag auf Anfrage unserer Zeitung. Es gelte zunächst die Unschuldsvermutung. Mit „Beschuldigter“ ist mutmaßlich Kilian gemeint.

14 Betriebsräten bei VW wurde anderthalb Jahre lang das Gehalt gekürzt

Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ermittelte seit dem Frühjahr 2017 wegen des Verdachts der Untreue gegen ehemalige und aktuelle Personalverantwortliche des VW-Konzerns, darunter Karlheinz Blessing. Sie standen im Verdacht, Betriebsräten von 2011 bis 2016 zu hohe Gehälter und Boni gewährt zu haben, unter anderem etwa dem Ex-Betriebsratschef Bernd Osterloh. Osterloh hatte in der Spitze bis zu 750.000 Euro im Jahr inklusive Boni verdient.

Ende des Jahres 2017 kürzte VW dann 14 von 262 Betriebsräten – darunter Osterloh – vorsorglich das Gehalt. Von einem Grundgehalt in Höhe von rund 200.000 Euro pro Jahr rutschte damit zum Beispiel Osterloh auf ein Monatsbrutto von 8000 Euro herunter. Zu diesem Zeitpunkt hatte Volkswagen schon Gutachten von renommierten Arbeitsrechtlern eingeholt, die bestätigten, dass die bisher von VW praktizierte Vergütung der Betriebsräte korrekt sei.

Streit um Betriebsratsvergütung: VW strebte Rechtssicherheit an

VW war aufgrund der Ermittlungen aber bestrebt, weitere Rechtssicherheit mithilfe von Schiedsverfahren zu erlangen, an denen zwei ehemalige Vorsitzende Richter des Bundesarbeitsgerichts beteiligt waren. Diese Schiedsverfahren kamen zu dem Ergebnis, dass die Gehälter bei fast allen Betriebsräten rechtens seien, nur wenige sicherheitshalber leicht nach unten korrigiert werden sollten. Unter anderem das von Osterloh, laut „Handelsblatt“ um 30.000 Euro im Jahr, es bleibe aber „deutlich sechsstellig“. VW einigte sich mit allen Betriebsräten vor dem Arbeitsgericht Braunschweig dazu und erhöhte im Mai 2019 nach anderthalb Jahren wieder die Gehälter.

Der Streit entbrannte sich auch an seinem Gehalt: Der frühere Betriebsratschef des VW-Konzerns, Bernd Osterloh.
Der Streit entbrannte sich auch an seinem Gehalt: Der frühere Betriebsratschef des VW-Konzerns, Bernd Osterloh. © Wolfsburger Nachrichten | VW Betriebsrat

Das ist offenbar nun der Casus knacksus: Die Ermittler haben eigenen Angaben zufolge Hinweise darauf, dass VW Einfluss auf die Gutachten nahm und Arbeitsgerichte instrumentalisierte. Im Durchsuchungsbeschluss für die Razzia im September heißt es laut „Handelsblatt“, dass Bevollmächtigte des Konzerns zwei Richter am Arbeitsgericht Braunschweig im Frühjahr 2019 dazu bewegt haben sollen, Vergleiche mit Betriebsräten zu beurkunden, um dem Vorgehen einen legalen Anschein zu verleihen.

BGH-Urteil: Gutachten von VW brauchen besonders kritische Würdigung

Wie unsere Zeitung erfuhr, sollen Vertreter von VW vor der Wieder-Aufstockung der Gehälter auch der Staatsanwaltschaft Braunschweig von ihren Plänen berichtet haben. Diese habe die Absicht wohl zur Kenntnis genommen. Allerdings erhoben die Ermittler nichtsdestotrotz Ende 2019 Anklage gegen ehemalige und aktuelle VW-Personalchefs wegen des Verdachts der Untreue im Zusammenhang mit Betriebsratsgehältern. 2021 hatte das Landgericht die Personalverantwortlichen freigesprochen, weil es bei ihnen keinen Vorsatz erkennen konnte. Im Januar dieses Jahres hat nun der Bundesgerichtshof auf Revision der Braunschweiger Staatsanwälte das Urteil des Landgerichts aufgehoben und es an das Braunschweiger Landgericht zurückverwiesen.

„In seinem Urteil hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass eine eingeholte rechtliche Empfehlung einer besonders kritischen Würdigung bedürfe“, erklärte die Staatsanwaltschaft Braunschweig jetzt auf Anfrage. Die Gutachten sowie die Entscheidung zur Rückkehr zum Gehalt auf Managementniveau für Betriebsräte fallen auch schon in die Amtszeit von VW-Personalvorstand Gunnar Kilian. Er wurde im April 2018 als Personalverantwortlicher in den Konzernvorstand berufen und folgte in dieser Funktion auf Blessing. Zuvor war Kilian Generalsekretär des Betriebsrats und ein enger Vertrauter von Ex-Betriebsratschef Osterloh.

Streit um Betriebsratsvergütung: VW drängt auf Reform des Betriebsverfassungsgesetzes

In Wolfsburg betont man, dass die Entscheidung zur Gehaltsaufstockung 2019 mitnichten eine Einzelentscheidung gewesen sei, sondern eine des gesamten Vorstands. Auch der Aufsichtsrat soll selbstredend von der heiklen Angelegenheit gewusst haben. Dem Konzern sei es beim Thema Gehälter für Betriebsräte um größtmögliche Rechtssicherheit gegangen.

Seit das BGH-Urteil vorliegt, drängen VW und VW-Betriebsrat darauf, dass das Betriebsverfassungsgesetz reformiert werden soll. Denn der Konzern ist in einer Zwickmühle: Geregelt ist die Vergütung von Betriebsräten eigentlich im Betriebsverfassungsgesetz – dieses lässt aber Fragen offen. Strafrechtlich setzt sich der Konzern bei hohen Betriebsratsgehältern dem Verdacht der Untreue aus, arbeitsrechtlich wird er von Gerichten dazu angehalten, die Gehaltskürzungen aufzuheben. Erst in jüngster Vergangenheit gab es dazu entsprechende Urteile, viele auch am Arbeitsgericht Braunschweig.

Gehälter für Betriebsräte: Bundesarbeitsminister berief Expertenkommission

Eine von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) berufene Experten-Kommission hat inzwischen Vorschläge für eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes ausgearbeitet. Aus dem Bundesarbeitsministerium hieß es zuletzt: „Die Koalitionspartner sowie die Sozialpartner haben jetzt die Gelegenheit, sich die Vorschläge anzuschauen und zu bewerten.“

Der von Arbeitsminister Heil berufenen Experten-Kommission gehören Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts, die frühere Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, sowie Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn, an. Thüsing ist für VW kein Unbekannter: Der Bonner Professor hatte nach einem Bericht des „Handelsblatts“ vor einigen Jahren schon ein vertrauliches Gutachten für VW erstellt, in dem er sich allein mit Osterlohs Gehalt beschäftigte und auf einige Verfehlungen hinwies. Bei einer ersten Razzia im Zusammenhang mit den Betriebsratsgehältern im Jahr 2017 sei den Ermittlern demnach genau dieses Gutachten in die Hände gefallen.