Braunschweig. Im Podcast spricht der Ex-VW-Betriebsratschef und -Vorstand über die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Er vermisst Leistungsbereitschaft.

Die Wirtschaft schrumpft, die deutsche Autoindustrie gerät als Aushängeschild der deutschen Wirtschaft massiv unter Druck, Energie ist teuer, Fachkräfte fehlen, die Bundespolitik vermittelt mitunter das Bild eines wild durcheinander gackernden Hühnerhaufens, und im Sport ist auch nur noch wenig los. Die deutschen Frauen und Männer sind bei den Fußball-Weltmeisterschaft früh rausgeflogen, bei der Leichtathletik-WM gab es keine Medaille. Im Leuchtturm der Hoffnung sitzen allein die deutschen Basketballer mit ihrem Triumph bei der WM. Angesichts dieser Fakten ist die Frage durchaus erlaubt: Wie wettbewerbsfähig ist Deutschland eigentlich noch?

Osterloh: Zu viel Bürokratie

In der neuen Folge des Podcasts „Streitpunkte“ unserer Zeitung stellt sich Bernd Osterloh dieser Frage. Und der ehemalige VW-Betriebsratschef und spätere Personalvorstand der VW-Nutzfahrzeug-Holding Traton liefert Antworten. Um Deutschland nach vorne zu bringen, brauche es eine bessere politische Fokussierung, gezieltere staatliche Subventionen, eine Entschlackung der Bürokratie, schnellere Entscheidungen, Verlässlichkeit und eine höhere Leistungsbereitschaft gerade bei den nachwachsenden Generationen.

Subventionen: „Jede Industrieansiedlung läuft nur noch mit staatlicher Förderung“, sagt Osterloh. Als Beispiele nennt er die USA und Kanada. In Kanada steigt VW dank staatlicher Milliarden-Subventionen groß ins Geschäft der Batterieproduktion für E-Autos ein. „Wenn wir in Deutschland sagen, wir subventionieren nichts mehr, dann kommt hier gar nichts mehr, auch keine Arbeitsplätze mehr.“ Vor diesem Hintergrund kritisiert er unterschiedliche Rahmenbedingungen für staatliche Förderung in Europa.

„Ist das tatsächlich notwendig?“

Bürokratie: Nach Einschätzung Osterlohs bremst eine überbordende Bürokratie sowohl den Staat als auch Unternehmen. Dafür sorgten zum Beispiel gut gemeinte, aber zu strenge Transparenzvorgaben in den Unternehmen – Stichwort Compliance. Osterloh: „Wir haben mittlerweile ein System, dass jede Entscheidung durch fünf, sechs unterschiedliche Stufen muss und geprüft wird.“ Er frage sich vor diesem Hintergrund, „welches Vertrauen habe ich eigentlich in meine Mitarbeiter, ist das tatsächlich so notwendig?“ Der Aufwand sei zu groß.

Beschleunigung: Nach Auffassung Osterlohs ist der Bundestag mit seinen 736 Abgeordneten überfrachtet. „Brauchen wir das eigentlich ist. Ist der Apparat nicht eigentlich viel zu groß?“, fragt er. Zugleich macht er sich für eine Entschlackung von Verwaltungsprozessen stark.

Entscheidungsstaus bremsen

Als Beispiel nennt er Genehmigungsverfahren unter anderem für den Autobahnbau. Die Verfahren würden sich oft über Jahre ziehen, dadurch entstünden Genehmigungsstaus. Doch nicht nur bei Großprojekten müsse die Effizienz gesteigert werden, sondern auch im Kleinen. So sei die digitale Zulassung eines Autos noch längst nicht überall möglich.

Osterloh: Durch eine Straffung könnten Zeit und Steuergelder gespart werden. Bei der Verschlankung helfen könne der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der staatlichen Verwaltung. „Wenn jetzt Zuhörer sagen, der will wahrscheinlich hier chinesische Verhältnisse haben, wo das Haus hier bitte stehen bleibt und die sechsspurige Autobahn rechts und links drum rum gelegt wird: Darum geht es mir nicht, aber wir brauchen schon eine Beschleunigung“, bekräftigt er.

„Da verändert sich etwas“

Leistungsbereitschaft: Osterloh ist überzeugt, dass die Leistungsbereitschaft gerade bei den nachwachsenden Generationen abnimmt. „Ich glaube, da verändert sich etwas“, sagt er. Als eine Ursache nennt er die Bundesregierung. Sie vermittele keinen Gemeinschaftssinn. „Also ich finde den Lindner, den Scholz oder meinetwegen auch den Habeck nicht so schlecht, aber Teamspieler sind die nicht. Jedenfalls vermitteln sie in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck.“

Eine zweite Ursache sei die Erziehung im Elternhaus. Dort werde oft die Gefahr gesehen, die Kinder und Jugendliche in ein Korsett zu pressen. „Aber ohne Leistung gibt es keinen vernünftigen Lohn. Das muss man ganz einfach sagen. Ich glaube schon, dass durch die Generation, die jetzt gerade 15, 16, 20, 22, 24 ist, eine andere Denke mitbekommt, dass es da nicht mehr darum geht, durch Leistung zu überzeugen“, sagt Osterloh.

Wer kennt die Unterschiede?

Zugleich fehlten Kenntnisse über das Gefüge der Welt. Osterloh: „Ich weiß nicht, ob den Kindern heute vermittelt wird, wie gut es ihnen eigentlich geht. Ich habe manchmal den Eindruck, dass durch dieses ganze Thema Internet, durch Tiktok und welche Blasen es da alles gibt, den Kindern gar nicht klar ist, dass es Riesenunterschiede innerhalb der Weltbevölkerung gibt, nämlich ganz arme Menschen, die weder lesen noch schreiben können, und Kinder, die hier in diesem Wohlstand leben.“

Vielen Menschen sei auch nicht mehr bewusst, wie der Wohlstand in Deutschland entstanden ist. „Nämlich durch Leistung, durch Leistung der Gesellschaft, die damals da war, der Mütter und Väter, der Großeltern.“

Der Spaß ist weg

Ein weiterer Punkt: Vielen Menschen sei der Spaß an der Arbeit abhandengekommen. „Arbeit muss Spaß machen. Mir kommt das mittlerweile so vor, als wenn viele Menschen bei der Arbeit nicht mehr so richtig Spaß haben“. Das liege auch an Corona und der Einführung des Homeoffice. „Homeoffice ist ganz wichtig, aber meiner Meinung nach geht damit die Identität mit dem Unternehmen verloren“, betont er.

Fachkräfte: Osterloh kritisiert ein zu enges Denken, wenn es um das Schließen der Fachkräftelücke geht. „Wir gucken immer noch viel zu viel auf Formalqualifikationen. Wir gucken gar nicht auf die Fähigkeiten, die die Menschen haben.“ Das sei aber dringend geboten, da der Fachkräftebedarf kurzfristig nicht durch Zuwanderung gedeckt werden könne. „Deshalb sollte man vielmehr darauf gucken, was Menschen eigentlich außerhalb ihrer Formalqualifikation können. Wo könnte man ihre Fähigkeiten besser einsetzen?“

Kein Trend zum Besseren

Ausblick: Osterloh drängt darauf, rasch zu handeln. „Wir haben Abwanderungen aufgrund von zu hohen Abgaben, Preisen und Strompreisen. Man kann klar sehen, dass sich da nichts positiv verändert hat in den letzten Jahren – eher negativ.“

Wie Osterloh zur Vermögensteuer steht, zur Besteuerung von Pensionen und warum er nicht daran glaubt, dass sich Männer durch Elternzeit und New Work zu besseren Väter entwickeln, erfahren Sie im Podcast, der auf den Internetseiten unserer Zeitung und bei den gängigen Anbietern gehört werden kann.