Wolfsburg. Betriebsratschefin Cavallo fordert solch ein Einstiegsmodell. In Deutschland würde es wegen zu hoher Kosten aber wohl nicht gebaut.

Die Zukunft fährt elektrisch. Dieser Strategie folgt seit einigen Jahren der VW-Konzern. Dafür hat die Marke VW eine neue Modellfamilie geschaffen, die ID-Modelle. Nur der E-Up wurde von einem Verbrenner abgeleitet. Für diesen elektrifizierten Kleinwagen verlangt der Autobauer einen Basispreis von 29.995 Euro. Für das elektrische Golf-Pendant ID.3 müssen die Kundinnen und Kunden schon 10.000 Euro mehr auf den Tisch legen - ohne Berücksichtigung der staatlichen Förderung. Spätestens 2026 soll ein kleiner Stromer der Konzern-Kernmarke die Modellpalette nach unten ergänzen. Er soll nicht mehr als 25.000 Euro kosten. Arbeitstitel ID.2all - ein ID für alle. Doch VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo reicht das nicht. Im Interview mit unserer Zeitung sagte sie: „Aus meiner Sicht brauchen wir auch ein Auto um die 20.000 Euro, ein wirkliches Einstiegsmodell.“ Welche Chancen hätte solch ein Auto? Und könnte es VW zu diesem Preis überhaupt produzieren? Die Antworten der von uns befragten Auto-Experten lauten: Ja, aber...

Nachfrage nach E-Autos schwächelt

Ein Stromer für 20.000 Euro, das wäre wohl ein „echter“ Volkswagen von Volkswagen. Zumal in Zeiten hoher Inflation, die die Kauflust der Autofahrer stark bremst. Wegen schwacher Nachfrage drosselt das VW-Werk Emden seine E-Auto-Fertigung. Zwar verdienen die Autobauer vor allem mit höherwertigen Fahrzeugen richtig Geld. Ein erschwingliches Auto käme aber womöglich trotzdem zur richtigen Zeit und hätte das Zeug zu einem Sympathieträger.

„Ein Sympathieträger ohne Rendite ist aber langweilig“, kontert Professor Ferdinand Dudenhöffer, der das Car-Center in Duisburg leitet. Nach seiner Einschätzung ließe sich solch ein günstiges Einstiegsmodell mit Blick etwa auf die Lohnkosten in Deutschland derzeit nicht herstellen. „Das VW-Korsett passt nicht“, sagt er.

Realisierbar sei solch ein Auto nur, wenn VW dem Beispiel Teslas folgen würde. Als Schlagworte nennt Dudenhöffer eine neue Fabrik mit neuen Produktionsabläufen, hochautomatisierter Fertigung und daher weniger Mitarbeitern. Außerdem müsse solch ein Auto auf eine Variantenvielfalt verzichten. Ein Thema, das VW ohnehin seit vielen Jahren angehen will.

Spagat zwischen Komfort und Preis

Dudenhöffer will sich aber nicht missverstanden wissen. Ein Einstiegsmodell dürfe nicht eine schmucklose Blechdose mit Sitzen sein. Das Auto müsse gefallen, mit seiner Reichweite überzeugen und auch digitale Anwendungen bieten. Diese Aufzählung macht noch einmal den Spagat zwischen Komfort und Preis deutlich. Und: Solch ein Auto müsste erst entwickelt beziehungsweise auf die Straße gebracht werden. Es wäre also kein rascher Helfer in Zeiten magerer Bestelleingänge. Grundsätzlich ist er aber überzeugt: „Wenn der Preis stimmt, dann sind die Marktchancen für solch ein Einstiegsmodell gut.“

Professor Stefan Bratzel, der das Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach leitet, ist ebenfalls vom Markterfolg eines kleinen VW-Stromers überzeugt. Für die Marke VW sei es wichtig, ein Auto anzubieten, das für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich sei. „VW arbeitet daran, aber es kommt sehr spät“, kritisiert er.

Die Chancen, solch ein Modell in Deutschland zu produzieren, seien eher gering. „Das wäre zwar gut, es ist aber extrem schwer, ein Auto für 20.000 Euro zu designen, mit dem man Geld verdient“, sagt Bratzel. Dafür sorgten hohe Lohn- und Energiekosten. Bratzel stützt den von Konzernchef-Chef Oliver Blume vorgegeben Kurs. „Die Kosten müssen runter, damit VW mit der E-Mobilität Geld verdient“, fordert er. Zumal Tesla nun einen Preiskampf eingeläutet habe, dem sich die Wolfsburger nicht entziehen könnten.

Bratzel: VW muss sich auf eigene Stärken besinnen

Der Autoexperte appelliert an die Entscheidungsträger und die Beschäftigten bei VW, sich auf ihre eigenen Stärken zu besinnen. Der Autobauer habe in schwierigen Zeiten dank seiner Expertise immer wieder die richtigen Antworten geben können. Als Beispiel nennt er den Modularen Querbaukasten (MQB), mit dem Teile und Produktion vereinheitlicht werden. „VW hat doch tolle Ingenieurinnen und Ingenieure“, sagt er.

Die sollten verstärkt über das Auto hinaus denken, um den Kunden zusätzlichen Mehrwert bieten zu können. Bratzel nennt etwa das bidirektionale Laden. E-Autos können mit dieser Technik Strom aufnehmen und abgeben und so als Pufferspeicher genutzt werden. Für Einstiegsmodelle sollten zudem kleinere Batterien entwickelt werden, die aber auf Dauer schnell geladen werden können. „Sie wären Voraussetzung für die Basismobilität“, sagt er. Denn Batterien seien der größte Kostenfaktor in E-Autos.

„VW muss wieder eine Angreifermentalität entwickeln. Das Unternehmen ist nicht mehr der Gejagte“, fasst Bratzel seine Eindrücke zusammen. Die Wolfsburger müssten nicht nur technisch und beim Preis überzeugen, sondern die Herzen der Menschen erreichen. Der Elektro-Bulli ID.Buzz zum Beispiel bringe die Menschen zum Lächeln. „Aber er ist zu teuer“, sagt er.

„Die Chinesen haben gelernt, sie sind gut“

Ein weiterer Aspekt: VW sei in vielen Belangen zu langsam. „Und das in einer Zeit, in der Geschwindigkeit immer wichtiger wird.“ Absehbar sei, dass sich der Wettbewerb auch in Europa verschärfe - vor allem, weil chinesische Unternehmen ihre Autos anbieten. „Die Chinesen haben gelernt, sie sind gut, und sie werden perspektivisch über den Preis angreifen“, sagt Bratzel.

VW-Betriebsratschefin Cavallo kündigte im Interview mit unserer Zeitung durchaus kämpferisch an: „Was ist unsere Stärke als Unternehmen? Wir haben mit Käfer und Golf-Generationen die Mobilität gebracht. Das werden wir in die elektrifizierte Welt übertragen.“ Dazu müsse auch der 20.000-Euro-Stromer gehören. Dieses Auto würde sich dann preislich auf dem Niveau eines Basis-Polo mit Benzin-Maschine bewegen.

Zwar gelten Käfer und der frühe Golf bei vielen Menschen auch aus preislicher Sicht nach wie vor als günstige und damit „echte“ Volkswagen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sowohl der neueste Golf als auch der ID.3 gemessen am Durchschnittseinkommen in Deutschland nicht oder nicht wesentlich teurer sind als 1955 ein Käfer.

Der kostete seinerzeit als Standardmodell 3790 D-Mark. Gemessen am durchschnittlichen Jahreseinkommen von 4548 D-Mark zu dieser Zeit musste ein Autokäufer etwas mehr als zehn Monate für seinen neuen Käfer arbeiten. Bei einem rein elektrischen ID.3, der in der Basisversion 39.995 Euro kostet, sind dies bei einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von derzeit 43.142 Euro rund elf Monate, bei einem Standardgolf, für den VW 31.145 Euro aufruft, 8,6 Monate.