Berlin. Die Metall- und Elektroindustrie startet in eine neue Tarifrunde. Es bahnt sich ein harter Kampf an – vor allem beim Thema Arbeitszeit.

Die großen Arbeitskämpfe dieses Jahrzehnts haben meist die Kleinen geführt – Spartengewerkschaften wie die der Lokführer, der Piloten und Fluglotsen mit höchstens ein paar Zehntausend Mitgliedern. Die IG Metall mit ihren 2,3 Millionen Mitgliedern gestaltet ihre Verhandlungen dagegen seit Langem recht geräuschlos. Laut Konfliktbarometer des Internationalen Währungsfonds (IWF) waren die Gespräche für das Jahr 2017 die harmonischsten der letzten zwölf Jahre. In der aktuellen Runde jedoch schlagen die Parteien einen ungewöhnlich scharfen Ton an.

Vor der ersten Verhandlungsrunde in einigen Pilotregionen am Mittwoch reizte die IG Metall den Arbeitgeberverband Gesamtmetall mit einem Begriff, der dabei ist „die Büchse der Pandora zu öffnen“, wie Gesamtmetall-Chef Rainhard Dulger schon im Juli im „Handelsblatt“ drohte. Es geht um die 28-Stunden-Woche.

Arbeitgeber nennen Forderungen „völlig überzogen“

Denn neben sechs Prozent mehr Geld will die IG Metall durchsetzen, dass jeder der 3,9 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie seine Arbeitszeit ohne Begründungszwang verkürzen kann, wenn er oder sie das für nötig hält. Für maximal zwei Jahre solle man seine Wochenstunden auf 28 herabsetzen können und danach entweder in den Vollzeitjob zurückkehren oder eine neue Vereinbarung treffen dürfen. Wird die Arbeitszeit heruntergeschraubt, um beispielsweise Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen, solle es außerdem einen Entgeltausgleich geben.

Die Arbeitgebervertreter nannten die Forderungen in ersten Reaktionen „unverträglich“ und „völlig überzogen“. Vor allem der an die Arbeitszeitverkürzung gekoppelte Entgeltausgleich dürfte in den Verhandlungen besonders kontrovers besprochen werden. Über Flexibilität könne man sprechen, „nach oben wie nach unten“, sagt Gesamtmetall-Chef Rainhard Dulger. „Aber nicht über kürzere Arbeitszeiten mit Lohnausgleich. Mehr Geld fürs Nichtstun wird es mit uns nicht geben.“

Arbeitszeit war zuletzt 1984 Thema

Um die Arbeitszeit wurde zuletzt 1984 gestritten. Die Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche gipfelte damals in einem der längsten Flächenstreiks in der Geschichte der Bundesrepublik. Sieben Wochen legten die Metaller die Arbeit nieder, die Arbeitgeber reagierten mit Aussperrungen, die Fließbänder standen still, der wirtschaftliche Schaden war enorm. Am Ende hatte sich die Gewerkschaft durchgesetzt und den Einstieg in die 35-Stunden-Woche erzwungen.

Bei der aktuellen Forderung geht es nicht um kürzere, sondern um flexiblere Arbeitszeiten. „Das Ziel ist mehr Selbstbestimmung. Die Flexibilisierung in den Betrieben darf nicht weiter einseitig zulasten der Beschäftigten gehen, sie muss ihnen auch nutzen“, sagt IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann.

Ab Januar sind Warnstreiks möglich

Der Professor am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, Enzo Weber, findet, „die Forderungen der Gewerkschaften treffen den Nerv der Zeit“. Arbeitnehmer seien immer mehr auf Flexibilität angewiesen. „Für Arbeitnehmer, die irgendwann in eine Teilzeitbeschäftigung gegangen sind, ist der Wiedereinstieg in die Vollzeit bisher sehr schwierig. Dabei gehen enorme Potenziale verloren“, sagt er. Hier müsse auch die Politik ran. Bei der Anpassung der Arbeitszeit müssten auch betriebliche Belange berücksichtigt werden, sagt Weber.

Der bisherige Tarifvertrag läuft zum Jahresende aus, bis dahin gilt die Friedenspflicht. Ab Januar sind Warnstreiks möglich, die Gewerkschaft drohte schon prophylaktisch mit 24-Stunden-Streiks.