Frankfurt/Main. Das Ende von Air Berlin ist Teil des großen Wandels in Europas Luftverkehrsmarkt. Das hat auch deutliche Folgen für die Flugpassagiere.

Lufthansa-Chef Carsten Spohr ist seit langem überzeugt: „Es wird in den nächsten Jahren zu einer stärkeren Konsolidierung kommen.“ Die geht in Deutschland mit der Insolvenz und Aufteilung Air Berlins vermutlich unter Lufthansa, Easyjet und Condor einen großen Schritt voran. Das zuletzt hohe Interesse verschiedener Bieter an der insolventen Fluggesellschaft hat das gezeigt. Ein Grund für dieses Interesse: Deutschland ist einer der wichtigsten Wirtschafts- und damit auch Luftverkehrsstandorte weltweit – allerdings mit einer anderen Wirtschaftsstruktur als in Frankreich oder Großbritannien.

Dort gebe es jeweils nur ein großes Wirtschaftszentrum, in Deutschland jedoch viele verschiedene, die jeweils auch verkehrstechnisch angebunden werden müssten, erklärt Eric Heymann, Analyst der Deutschen Bank Research. Die größten deutschen Fluggesellschaften sind neben der Lufthansa-Gruppe und der nun abzuwickelnden Air Berlin Condor, Tuifly und Germania.

Regionalflieger sind fast verschwunden

In puncto Konsolidierung hat sich am deutschen Markt schon einiges getan: Viele kleine Fluggesellschaften, die zuvor etwa auch im Auftrag der Lufthansa geflogen waren wie etwa Augsburg Airways oder Cirrus Airlines, haben in den vergangenen Jahren aufgegeben. „Das regionale Fliegen mit kleinen Flugzeugen in Europa, vor allem zwischen den verschiedenen Ballungsräumen, ist so gut wie verschwunden“ sagt Luftfahrtexperte Cord Schellenberg.

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    Stattdessen füllen Billigfluggesellschaften innereuropäisch nun größere Flugzeuge. Eine solche Wirtschaftlichkeit und Effizienz habe man früher im Regionalverkehr nicht darstellen können, meint Schellenberg. „Das geschieht auch über günstige Tarife, Zusatzverkäufe, kurze Bodenzeiten und hohe Effizienz.“

    Lufthansa setzte auf Marktabschottung

    Diese „Low-Cost“-Gesellschaften verdrängen also immer stärker die kleinen Fluggesellschaften – und üben Druck auf die Großen aus. Und doch hätten sie in Deutschland nur einen unterdurchschnittlichen Marktanteil, sagt Michael Gierse, Luftverkehrsexperte von Union Investment. In Großbritannien etwa dominierten sie den Markt schon mit 70 Prozent.

    „Die deutschen Fluggesellschaften haben lange versucht, den deutschen Markt abzuschotten, sodass es für Ryanair und Easyjet schwieriger ist, hier einzudringen.“ Diese abzuwehren war ein Grund, warum Lufthansa sich zunächst an Eurowings beteiligt und diese schließlich übernommen hatte, so wie 2009 schon die Eurowings-Tochter Germanwings.

    Sonderfall Italien

    Neben den Billigfluggesellschaften, die europaweit vordringen, gibt es die traditionellen Fluggesellschaften, die schon seit Jahren grenzüberschreitend auftreten: So sind 2004 Air France und die niederländische KLM zusammengegangen, 2011 wurde die IAG gegründet mit British Airways und der spanischen Iberia, zu der inzwischen auch die irische Aer Lingus und die spanische Vueling gehören. Die dritte Gruppe ist der Lufthansa-Konzern, der sich in den vergangenen Jahren Austrian Airlines, Swiss und Brussels Airlines einverleibt hat.

    Ein Sonderfall bleibt Italien. Die frühere nationale Fluggesellschaft Alitalia ist sehr schwach, sie hat ebenfalls Insolvenz angemeldet, diese Chance haben einige andere Fluggesellschaften genutzt, um Marktanteile zu gewinnen, so auch die irische Ryanair, die nun auch ein Gebot für Alitalia abgegeben hat.

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      Steigende Preise befürchtet

      In Europa decken die größten fünf, also Lufthansa, Air France, IAG, Easyjet und Ryanair) etwa zwei Drittel des Marktes ab. Das aber ist kaum vergleichbar mit der Lage in den USA: Dort decken vier Fluggesellschaften vier Fünftel des Marktes ab: „In Amerika hat das dazu geführt, dass die Flugpreise im Durchschnitt gestiegen sind und damit auch die Margen der Fluggesellschaften“, sagt Gierse.

      In Europa sind die Tickets zuzuletzt ebenfalls teurer geworden. „Aber langfristig gehen wir von sinkenden Ticketpreisen aus“, sagte Lufthansa-Chef Spohr vor wenigen Tagen. Denn die Konkurrenz am Markt bleibt durch die Billigflieger weiter hoch. Die haben in Europa einen Anteil von zwei Fünftel.

      Lufthansa will mitgestalten

      Trotz des Wettbewerbsdrucks in Europa hat die Kranichlinie es in den vergangenen Jahren geschafft – auch mit Unterstützung der niedrigen Treibstoffpreise – ihre Stückkosten zu senken und so den Gewinn zu erhöhen. Für das laufende Jahr stellt Konzernchef Spohr einen weiteren Rekordgewinn in Aussicht. Wieder wettbewerbsfähig, vor allem aber auch wieder investitions- und wachstumsfähig zu werden, das sei ein wichtiger Schritt für sein Unternehmen, sagt der Lufthansa-Chef. Das müsse für den „Aviation-Konzern Nr. 1 in der Welt“ ein Ziel sein.

      Aber das wahre Ziel sei: „Man muss die Branche wieder mitgestalten“, sagt Spohr. Es reiche für einen Luftfahrtkonzern, der einen Führungsanspruch in der Industrie habe, nicht, „nur auf Branchentrends zu reagieren und das dann schneller als andere“. Da dürften sich der Lufthansa in den kommenden Monaten weitere Möglichkeiten bieten.

      Gefahr durch den Brexit

      Denn auch der Brexit, der Austritt der Briten aus der EU, bringt Unruhe in die Branche. Die britischen Fluggesellschaften bangen, ob es rechtzeitig zu einer Einigung für die künftige Ausgestaltung des Luftverkehrs zwischen der EU und Großbritannien kommt, damit sie weiter in die EU fliegen dürfen. Solange das so ist, dürften die kontinentalen Fluggesellschaften von dieser Unsicherheit profitieren und ihre Stellung weiter ausbauen – soweit es die Kartellbehörden zulassen.